Die Griechenlandkrise

Seit Jahren gibt es EU-weit und national Schlichtungs- und Mediations-Gesetze, wie man sozialökonomisch vernünftig Streit zwischen Interes­sensvertretern beenden kann. Höchste Zeit, diese Gesetze jetzt auch in der Politik und bei der Griechenlandkrise anzuwenden!

Der deutsche Fraktionsführer der LINKEN Gysi entrüstete sich und bezeichnete den Kampf des Parteilinken Tsripas’ als den David’s gegen Goliath. Aus anderer Sicht allerdings betrachtet: könnte man nicht, so wie die Verhandlungen gelaufen sind, die EU als David bezeichnen?

In keinem Fall und von keiner Seite ist ein solcher Vergleich zur Beilegung der aktuellen Krise zuträglich. Denn er belegt nur eines: Es geht offenbar nicht um Verhandlungen, es geht um einen Kampf! Man mag sich fragen, um welchen genau und wer den Kampf ausgerufen hat. Man sollte sich aber vor Augen halten, dass er mit keiner ‚Steinschleuder‘ zu gewinnen ist, egal wer sich ihrer bedient. Das auf ein Ungleichgewicht der Kräfte abstellende Bild erscheint unpassend. Auch wenn die EU als Goliath erscheinen mag, sie ist hilflos. Auch das Referendum hat zweifellos eine Bedeutung. Aber ganz sicher nicht jene, die ihm zugeschrieben wird.

Aus mediativer Sicht kann man nur raten, nicht allzu viel in das Referendum hineinzuinterpretieren.

Alberto Moravia, ein italienischer Schriftsteller, sagte einmal: „Der Unwissende hat Mut, der Wissende hat Angst!“ Diese beiden Einschätzungen finden sich in der Abstimmung über das Referendum wieder. Viel mehr als ein Bauchgefühl (wofür?) gibt es nicht her. Auch die Bürger Griechenlands, die für ein „Ja“ stimmten, haben sich nicht etwa für Sparmaßnahmen ausgesprochen aber dafür, dass Griechenland Unterstützung von außen benötigt, um zu überleben. Diejenigen Bürger, die für „Nein“ gestimmt haben, haben sich gegen irgendetwas, im Zweifel gegen Sparmaßnahmen ausgesprochen – oder etwa nur gegen solche, die als wirtschaftlich eher schädlich anls nützlich erlebt wurden? geht es dann um Nachvollziehbarkeit? Faktisch wurde – so beteuern die Verhandler – sowieso nur ein ausgelaufenes Programm abgelehnt. Gilt ihr ‚Nein‘ nun auch für neue Verhandlungen? Oder wenn es sich herausstellt, dass es den Nein-Sagern wegen des Neins  schlechter geht als zuvor? Gilt das Nein auch, wenn Kredite auf dem Niveau von Almosen statt von Investitionshilfen gewährt werden? Kann das überhaupt irgendjemand einschätzen ohne zu spekulieren?

Die Zeit ist reif für mediatives Denken – und Handeln!

Open Eyes ist ein Projekt der integrierten Mediation, bei dem wir in der ‚Integrierten Mediation‘ beispielsweise Presseinformationen im meditativen Sinne analysieren, um in diesem Verständnis den verlässlich grundsätzlichen Kern der Informationen herauszustellen und von Polemik zu trennen (um Eskalation zu verhindern). Korrekte Aufklärung ist ein Schlüssel für ein besseres einander Verstehen.

Von außen betrachtet, geht es in dem Streit drunter und drüber – wie in jedem Konflikt. Anders als die öffentlichen Diskussionen, Proklamationen und Rechtfertigungen richtet sich der Blick der Mediation allerdings ausschließlich auf den Prozess, die Prozessoptionen und die zielführenden Fragen.

Wie in jedem Streit soll die Mediation es ermöglichen, den ‚Streitbeilegungs- und Lösungsrahmen‘ selbst zu finden. Und wenn schon im Ansatz keine Mediation möglich sein sollte, dann ist wenigstens ein mediatives Denken angebracht. Schon Albert Einstein bemerkte, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, wie sie entstanden sind. Die Mediation erfordert ein anderes Denken. Mithin ist die Mediation ein ‚Tool‘, mit dem sich die Politiker wenigstens auseinandersetzen sollten, selbst wenn sie sich noch nie mit Schlichtungs- und Mediationsverfahren beschäftigt haben und sie möglicherweise überhaupt nicht kennen.

Wie eine Mediation im Fall Griechenland eine Problemlösung herbeiführen mag, soll im Folgenden als Gedankenskizze‘ zumindest rudimentär vorgestellt werden.

Die Bedeutung des Referendums

Das Referendum ist ein erster Angriffspunkt nicht nur um die Griechenlandkrise sondern auch den verhandlungsprozess besser zu verstehen. Schon die Sicht auf das Referendum und seine Bedeutung werden völlig gegensätzlich verstanden. Tsipras meint, das Referendum gebe den Willen des Volkes wieder, der weniger zu ignorieren sei als der Wille der Regierungen. Nach der Einschätzung des EU-Parlamentspräsidenten Schulz beantwortet das Referendum eine Grundsatzfrage über die Zukunft der Eurostruktur. Ob die Bürger Griechenlands das auch so sehen?

Offenbar gehen die Parteien auch von ganz unterschiedlichen Optionen aus und dem was machbar ist. Der griechische Karikaturist Arkas persiflierte das Referendum in der linksliberalen Tageszeitung „To Ethnos“ wie folgt: „Wie hoch ist das Pro-Kopf-Einkommen der Einwohner Ugandas? Ja oder nein?“. Tatsächlich zeigt das Referendum irrationale Züge. Seine Antwort belegt gar nichts – außer Unmut und dem Hinweis, dass es so nicht weiter gehen kann. Unmut haben aber auch diejenigen, die für ein „Ja“ gestimmt haben. Auch sie leiden unter den Sparmaßnahmen und halten diese nicht für richtig. Das sollte nicht übersehen werden. Ebenfalls sollte nicht übersehen werden, dass das Referendum als Teil einer Verhandlungsstrategie ausgewiesen war und vielleicht auch nur aus innenpolitischen Gründen eingesetzt wurde, um die Verantwortung für eine Zukunftsentscheidung auf mehrere Verantwortliche zu verteilen. Nach dem daraus entstandenen Kopf-an-Kopf-Rennen und der Tatsache, dass die Bürger Griechenlands nicht mehr als ein Bauchgefühl dokumentieren konnten, ist dieser Zweck verfehlt. Die Umfrage reicht nicht, um für irgend etwas Verantwortung zu übernehmen. Ebenso wenig trägt sie zur Verbesserung einer Verhandlungsposition bei, geschweige denn dazu, den Willen des Volkes zu ergründen. Trotzdem hat das Referendum eine Bedeutung nicht nur für die zu klärenden Themen sondern auch für die Art und Weise der weiteren Verhandlungsführung.

‚Schach matt’ – oder Agonie-Zumutung?

Für den Mediator deutet die eingeforderte Ja-oder-Nein-Entscheidung auf ein Verhandlungsmodell im „Nullsummenspiel“ hin. Statt ein Puzzle zu spielen, bei dem man sich zusammensetzt, um als Lösung das perfekte Bild zu zeichnen in dem sich Alle wiederfinden können, spielen die Akteure gleichsam Schach und verschleißen dabei die Spielfiguren. Die Verhandlungen wurden irgendwann eine Entscheidung für den Kampf und gegen ein mühseliges Verstehen des Anderen und seiner Bedürfnisse umgewandelt. In dem ‘Schachspiel‘ um weitere Finanzierungen hat die griechische Regierung mit dem Referendum quasi die ‚Bauern’ vorgezogen. Sie sieht darin eine Chance, die Wirkungsoptionen der gegnerischen Türme auszuschalten und dann den König zu schlagen. Der Gegner reagiert, indem er seinen Gegenzug zunächst aussetzt. Das Spiel steht aktuell im ‚Remis‘ – aber nicht im Unentschieden: denn nach dem Referendum (was einer Atempause mit Lageverschärfung gleichkommt) wird ein neues Spiel beginnen müssen. Ob daraus ein win-win, ein win-lose oder ein lose-lose Ergebnis produziert wird, gibt der Spielcharakter vor. Win-Win-Lösungen sind im Nullsummenspiel nicht herstellbar. Ohne die Erfahrungen um die bisherigen Verhandlungen und das Referendum zu verarbeiten, und ohne Befreiung der weiteren Verhandlungen von ihrer Polemik wird es wieder ein ‚Schachspiel’ sein, allerdings mit anderen Ausgangs- und Fragestellungen. Das Problem bleibt das Gleiche, wenn auch zu verschärften Bedingungen.

Wenn Sie für die Schachfiguren ‚König‘ und ‚Dame‘ die von der EU bzw. Griechenland vertretenen Auffassungen verstehen, in den Schachfiguren Turm, Läufer und Springer unterschiedliche Mitstreiter aus Politik, Wirtschaft oder Medien und bei den ‚Bauern‘ das Volk, dann wäre der gewählte Vergleich ‚Schachspiel‘ und ‚Politik‘ auch dahingehend verwendbar, bei dem sich nur wenige Züge vorberechnen lassen. Es macht wenig Sinn, wenn David gegen Goliath Schach spielen. Dort wie hier geht es um ein interaktives Spiel, bei dem die Reaktionen der jeweils anderen Seite nur mit einem geringen Wahrscheinlichkeitsgrad als zutreffend einzuschätzen sind – und totzdem werden sie zur Entscheidungsgrundlage gemacht. Jedem Schachspieler ist bewusst: ein falscher Zug, nur einmal eine Position des Gegners falsch eingeschätzt oder auch nur übersehen – und man hat das Spiel voll und ganz verloren! Warum also nicht die Interaktionen aufeinander abstimmen und sich für ein Spiel entscheiden, das diese Interaktionen kalkulierbarer macht, indem sie vereinbart werden? Das wäre ein unglaublicher Nutzen, der sich in jedem Konflikt über das Denken der Mediation herstellen liesse.

Anders als in manchen Praxisfällen kann sich der Mediator in diesem Prozess darauf verlassen, dass niemand den Verhandlungstisch endgültig verlassen wird. Unklar sind lediglich die Themen- und Fragestellungen, wobei zu befürchten ist, dass siese nun einseitig vorgegeben werden, damit David und Goliath weiter Schach spielen können. Ob gewollt oder nicht: die EU ist so konzipiert, dass die Lösung nur mit und in einer Einigung gefunden werden kann. Selbst der von manchen Wirtschaftsweisen und Politikern vielbeschworene ‚Grexit‘ – oder auch ‚Grexident‘ – erfordert einen Konsens, der, wenn die Verhandlungen nicht anders gestaltet werden, allerdings durch Fakten herbeigeführt wird.

Votum für die Mediation

Die Mediation bietet das erforderliche andere ‚Spielszenario‘ an. Schon deshalb, weil sie sich außerhalb von Nullsummenspielen bewegt. Es scheint auch für den Fall Griechenland ./. EU das Passendere zu sein. Denn Streit führt besonders dann nicht zu vernünftigen Lösungen, wenn niemand die Lösung kennt, weil sie – darauf deutet Vieles hin – außerhalb des ‚Streitziels‘ im Nullsummenbereich liegt. Ein Mediationsstart wäre möglich „zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jeder Lage.“

Dann ginge es im ersten Schritt darum, sich ein Bild über den Stand der Verhandlungen und die Verhandlungsoptionen zu machen. Es wäre herauszustellen, dass die Streitparteien nicht zwingend identisch sind mit den Konfliktparteien. Das Referendum hat deutlich gezeigt, dass die Frage eine solche ist, die letztlich die Bürger betrifft und zwar nicht nur die Bürger Griechenlands. Der Mediator würde einen Konsens über die zugestanden ‚verfahrene Situation‘ herstellen. Dabei würde er gleich die Behauptung Tsripas zu neutralisieren haben, dass bei einem Bevölkerungsvotum „Nein“ binnen 48 Stunden eine Einigung erzielt werden könne. Es war eine gewagte Behauptung von Tsripas, die leicht als ‚Wahlbetrug’ herausgestellt werden kann, indem die Banken nicht mit zusätzlichen Mitteln versorgt werden, damit dem griechischen Volk vor Augen geführt wird, wozu die Einigung über Kreditvergaben notwendig sind. Es wäre ein gefährlicher Weg, weil diese Politik als Fortsetzung von Unterdrückung und Machtspielen gewürdigt werden kann und eher zur weiteren Polarisierung beiträgt als sie zu verhindern. Zu einer Einigung gehören zwei. Die andere Seite hat mehrfach ihren Verhandlungsunmut und veränderte Fragestellungen herausgestellt. Es scheint von Griechenland anders eingeschätzt worden zu sein. Kommt es darauf an wer recht hat?

Dass es einen Grexit so schnell nicht geben wird, dürfte unstreitig sein. Das hatten auch jene Spieltheoretiker ‚vorausberechnet‘, die zuvor den Griechen ‚sichere Verhandlungspositionen‘ versprochen haben. Allerdings war das möglicherweise die falsche Fragestellung. Denn es geht nicht um den Grexit, sondern um die Gewährung von Krediten. Hier sollte man sich zunächst darüber verständigen, unter welchen Bedingungen sie überhaupt zu gewähren sind. Es macht auf beiden Seiten wenig Sinn, das Unmögliche zu verlangen. Dass eine schnelle Einigung nicht möglich ist, könnte bösartiger Weise von der EU-Seite sogar forciert werden. Denn im Schachspiel führt diese Frage dazu, Tsripas Lügen zu strafen. Was geschieht, wenn die Banken trotz der Versprechungen von Tsripas und Varoufakis nicht öffnen, wenn es keine schnelle Einigung gibt? Würde Tsripas immer noch als David gesehen werden oder nicht eher als Verräter des Volkes? Was sagt uns der Rückzieher von Varoufakis? Geschah er wirklich nur, um das „Kapital des Referendums“ auszuschlachten? Offenbar hat man noch nicht begriffen, dass es nichts zu schlachten gibt, außer sich selbst. Ein erster Schritt in ein besseres Verständnis voneinander beginnt an dem Punkt, wo man sich darüber bewusst wird. Ist es nicht so, dass eine Gesundung die Schlachtung abwendet und dass die zukunftsgerichtete Frage „Wie kommen wir da raus“ zielführender ist als die Frasge „Wer hat das alles verbrochen?“. Ein Mediator würde die Gespräche so gestalten, dass politische Spielchen nicht mehr notwendig sind. Diese Spielchen stehen einem konstruktiven Ergebnis nur im Wege.

Der Weg aus der Polarisierung ist nicht unbedingt der Austausch der Verhandlungspartner oder der Übung von Exempeln. Der Weg heraus führt über ein neues Spiel. Dort können die Karten neu gemischt werden. Ein Mediator würde sich fragen, wie die Verhandlungen zu gestalten sind, ohne dass es zu Gesichtsverlusten oder Angriffen kommen muss und so, dass die neuerlichen Verhandlungen von Altlasten befreit wären. Um die Parteien aus ihren ‚polemisch-strategischen Denk-Korsetten‘ zu befreien, müsste nicht nur ein neues, sondern auch ein anderes ‚Verhandlungs-Spiel‘ eingeleitet werden. Wieder lassen sich die Erkenntnisse der Mediation für die Verhandlung nutzen, denn genau das ist der Grund, warum die Mediation als ein ‚isoliertes Verfahren‘ geführt wird: es erlaubt ‚Kooperation innerhalb der Konfrontation‘!

Wäre es denn so schlimm, wenn neue Verhandlungen mit zwei erfahrenen Mediatoren einmal ‚hinter verschlossenen Türen‘ geführt würden ohne das übliche rabulistische Medienspektakel? Das wäre die zeitlich kürzeste, also schadensmindernd preiswerteste Methode! Befindlichkeitssensible Politiker könnten auch überlegen, dass ein ‚Beirat‘ mit den Erkenntnissen der integrierten Mediation – der in ‚Verhandlungspausen‘ abgefragt werden könnte – wohl auch sinnvoll sein dürfte!

Als nächsten zielführenden Verhandlungsschritt würde es völlig genügen, wenn alle Seiten einräumen, aus Fehlern gelernt zu haben und sich dazu bekennen, Wiederholungen vermeiden zu wollen. Man habe gelernt, dass es viele Spekulationen gegeben hat, die doch die Unterschiedlichkeit der bisherigen Standpunkte offen gelegt habe. Es sei ein Aufeinander-Zugehen erforderlich, das aber nicht nur Griechenland, sondern die EU als Ganzes und die einzelnen Mitgliedsstaaten einbezieht. Man kann ohne Gesichtsverlust zugeben, dass die Aussage des Referendums keine Klärung gebracht, aber Hinweise aufgezeigt hat, worauf zu achten ist damit das Referendum von beiden Seiten zur ‚Optimierung des Prozesses‘ statt zu seiner Destruktion zu retten ist. Wichtig ist, dass das ‚gemeinsame Suchen‘ einer umsetzbaren Lösung herausgestellt wird, welche die Interessen (Motive) aller Betroffenen, nicht nur der Griechen, berücksichtigt.

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