Angeblich sind alles echte Fälle und wahre Begebenheiten. In diesem Jahr stehen die beiden Weihnachtsmediatoren wieder vor einer neuen Herausforderung. Sie müssen sich mit dem Konflikt zwischen dem Weihnachtsmann und den Weihnachtselfen auseinandersetzen. Die Leserinnen und Leser mögen entscheiden, ob und wo sie sich und die Mediation in der fantastischen Geschichte wiederfinden. Die Fußnotenverweise helfen bei der Suche nach der wahren Mediation. Natürlich meistern Medi & Ator auch diesen Fall auf ihre eigene, wundersame Art und Weise. Wir befinden uns in der Weihnachtszeit des Jahres 2021.

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Die Meuterei der Weihnachtselfen

„Lässt Dich das eigentlich völlig kalt?“, fragte Ator. „Was?“, erkundigte sich Medi. „Nun ja“, erklärte er: „Es ist Weihnachten und statt uns friedlich zusammenzusetzen, tun wir uns die Stresshormone streitwütiger Weihnachtswesen an. Die spielen sich zwar gerne als die Behüter der Weihnacht auf, haben aber mal gerade vergessen, dass Weihnachten das Fest der Liebe, der Freude und des Friedens ist. Das erscheint mir doch irgendwie kontraproduktiv, oder nicht?“ Ator hatte offensichtlich wieder einmal seine philosophischen Minuten. Deshalb war es kein Trost für ihn, als Medi ihre belehrenden Plattitüden abspulte: „Aber das ist doch nicht Dein Ärger. Es ist der Ärger der Streitparteien. Du weißt doch, dass Konfliktdiebstahl strafbar ist. Also lass den Konflikt dort, wo er hingehört“. Bla, bla, bla. Erst nach einer kurzen Gedankenpause fuhr sie etwas einfühlsamer fort: „Aber natürlich hast Du recht. Manchmal ist es schon sehr belastend. Ich verstehe auch nicht immer, warum sich gerade die Weihnachtsbekenner so fürchterlich streiten“. Damit konnte Ator wesentlich besser umgehen. Er erwiderte deshalb in einem sehr nachdenklichen Ton: „Es scheint ihnen zu gefallen. Sonst würden sie es nicht tun“. „Ich glaube eher, sie werden von dem Weihnachtsakuma überfallen. Ich denke nicht, dass die das freiwillig tun“, sinnierte Medi. Diese Herleitung des täglich zu beobachtenden Konfliktwahnsinns war ihr ganz persönlicher Trost. Er bewahrte ihren Glauben an die Kreaturen dieser Welt, zumindest an einen Teil davon. „Deshalb kommen die auch ganz freiwillig in die Mediation“, stichelte Ator. Er wusste, dass ein Akuma ein limbischer Dämon ist, der den Weg zur Mediation trefflich zu verhindern weiß. „Man geht ja auch nicht freiwillig zum Zahnarzt“, erläuterte er seinen Gedanken. Er hatte keine Ahnung, was ein Akuma mit dem Zahnarzt zu tun haben kann. Deshalb ergänzte er vorsorglich: „Auch ein Virus muss sich freiwillig bekämpfen lassen“. Hm? Im Grunde wollte er nur seiner fatalistischen Stimmung Ausdruck verleihen. Einen wirklichen Sinn sah er selbst nicht in dem, was er gerade gesagt hat. So ging es auch Medi. Sie ließ sich vorsorglich nicht auf Ators …istische Anwandlung ein. Als erfahrene Mediatorin lenkte sie stattdessen den Blick auf den Nutzen. Phase drei war jetzt angesagt. Medi machte es kurz: „Ehrlich gesagt, entschädigt es mich, wenn es uns gelingt, den Parteien zu helfen, selbst eine Lösung zu finden. Die Freude, die sich dann einstellt, vermittelt sich auch mir. Und das ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich mir vorstellen kann“. „Puh, Freude!“, seufzte Ator im Windows zwei. Ihm war gerade gar nicht nach Freude zumute. Das passte ganz und gar nicht in seine Stimmung. Deshalb erwiderte er spöttisch: „Du teilst also nicht das Leid der Medianden, wohl aber deren Freude? Und Du freust Dich, wenn der Dämon seinen Wirt verlässt? Ist das nicht recht dämonistisch?“. Ator wollte unbedingt ein …istisch loswerden. Er wusste gar nicht, ob es einen Dämonismus überhaupt gab. Wohl hatte er in diesem Jahr gelernt, dass sich die vorwurfsvollen …isten und …imusse sehr gut als Killerphrasen missbrauchen lassen. Du bist ein …ist. Mit dieser Endung passt alles in eine Schublade. Das Sein des Menschen wird auf ein …ist reduziert. Du bist ein Feminist, ein Rassist, ein Chauvinist, ein Egoist. Ist das ein fundamentaler Attributionsfehler? Aber selbst wenn die Zuschreibung zuträfe ist der Mensch doch eher eine Kommode als nur eine Schublade. Der …ismus lenkt davon ab. Er erleichtert die Abgrenzung und begünstigt zugleich die Ablehnung. Mit Dämonisten verhandelt man nicht. So einfach ist das, selbst wenn das generische man wieder einen anderen Abgrenzungsbedarf hervorrufen mag. Ator wusste zwar, wie diese …istische Verurteilung einer Mediation im Wege stehen kann. Sie erleichtert das Argumentieren jedoch ungemein, weil die Komplexität auf der Strecke bleibt. Ator wollte nicht diskutieren. Er wollte nur seinen Frust loswerden. Deshalb führte er ganz unmediativ hinzu: „Deine Einstellung ist alles andere als akumafreundlich. Der Dämon hat sicher keine Freude, wenn er vertrieben wird. Denk an das Rumpelstilzchen. Das hat sich vor Wut selbst zerrissen. Kannst Du mit Deiner akumafeindlichen Einstellung überhaupt leben?“. Medi überhörte den Frust. Deshalb merkte Ator auch nicht, dass seine Simplifizierung bei Medi genau das Gegenteil erreichte. Mediatoren lassen sich eben nicht so leicht reinlegen. Spontan wollte Medi zwar noch darauf hinweisen, dass der böse Akuma doch keine Konfliktpartei sei. Die Weihnachtsmediatoren haben aber gelernt, anders zu denken. Sie denken rekursiv. Deshalb fragte sich Medi, ob ihr erster Gedanke wirklich zutrifft. „Warum eigentlich nicht?“, dachte sie für einen kurzen Moment. „Haben Akumas nicht auch eine Existenzberechtigung? Dürfen die sich nicht auch freuen?“, überlegte sie kurz. War sie vielleicht doch keine Dämonistin, wie Ator ihr boshafterweise unterstellt hat? Leider hatten die beiden keine Gelegenheit, sich in der Widersprüchlichkeit ihrer Gedanken zu verlieren. Auch ihre Psychohygiene musste warten. Business geht vor! Die nächste, streitwütige Partei stand nämlich bereits vor der Tür.

Der so aufwändig installierte und an die Phasen der Mediation erinnernde 5-Tongong ertönte: Ding, dong, dingeling, ding, dong. Ator öffnete die Tür. Medi & Ator wussten natürlich, worum es gehen sollte. Das haben sie schon bei der Terminvereinbarung erfragt, als sie mit dem Auftraggeber die Honorare ausfeilschten. Es ging um eine Donatormediation. Aber von einem Stifter konnte keine Rede sein. Die Verhandlungen gestalteten sich jedenfalls recht zäh. Der Auftraggeber wollte doch tatsächlich eine billige Lösung. „Habe gehört, die Mediation sei dazu in der Lage“, behauptete er. Auch beteuerte er, dass er ein Weihnachtsarbeitsgerichtsverfahren unbedingt vermeiden wolle. Er müsse Zeit gewinnen, zumindest bis nach Weihnachten. Die Elfen würden ihn unter Druck setzen. Das sei nicht gut für das Weihnachtsgeschäft und seine Reputation. Schließlich sei so ein Prozess auch sehr teuer und langwierig. Nach Weihnachten könne er sich dem aber ohne Weiteres stellen und den Elfen einmal zeigen, wer den Sack hat. Ator, der die Vertragsverhandlungen geführt hatte, sagte daraufhin nur: „Wir sind so teuer wie Ihr Konflikt“. Er hoffte, damit den Preis zu treiben, ohne auf die mediationsfeindlichen Motive des Auftraggebers näher einzugehen. Zeitgewinn ist kein gutes Motiv zur Teilnahme an einer Mediation und Kosteneinsparung auch nicht. Ator wusste das. Der Auftraggeber wusste aber nicht, wozu die Weihnachtsmediatoren in der Lage sind. Vielleicht war das der Grund, warum Ator dem Auftraggeber zu seiner eigenen Überraschung stattdessen ein Sonderangebot unterbreitete. Er wollte die Mediation wohl um jeden Preis an Land ziehen. Das passte gar nicht zu dem, was er zuvor gesagt hatte. Medi bemerkte den Widerspruch. Sie war auch ganz und gar nicht mit dem Preisnachlass einverstanden. Das war kontraproduktiv in ihren Augen. „Ein Konflikt macht schließlich auch kein Sonderangebot“, dachte sie bei sich. Auch wusste sie, dass sich Konflikte im arbeitsrechtlichen Bereich oft mehrdimensional gestalten. Sie vermutete schließlich, dass der angekündigte Zickenkrieg ganz sicher kein Spaziergang sein wird. Medi kannte sich bestens aus damit. Sie war ja schließlich auch … Darauf wollte sie jedoch nicht festgelegt sein. Ihr Auftraggeber war der Weihnachtsmann. Er sprach von einer Meuterei der Weihnachtselfen. Also doch kein Zickenkrieg? Egal. Medi wusste, dass schon die Schilderung des Konfliktes eher nach einer Gefahrenzulage als nach einem Sonderangebot schrie. Sie wusste aber auch, dass viele Menschen den Konflikt eher als ein notwendiges Übel ansehen und nicht als ein teures Luxusgut. Das schlägt sich natürlich direkt proportional auf ihre Investitionsbereitschaft nieder. So zog sie es vor, ihre Einwände zurückzuhalten. Sie wollte später mit Ator über das Schmerzensgeld sprechen.

Der Weihnachtsmann erschien in seiner üblichen Arbeitskleidung. Er war 1,88 m groß und 150 kg wichtig. Er trug einen langen weißen Bart, der hinter dem breiten, schwarzen Ledergürtel über seinem dicken Bauch eingeklemmt war. Man konnte nur erahnen, was sich alles hinter dem aufgesetzt leidvollen Gesichtsausdruck verbarg. Medi wurde neugierig. Es dauerte auch nicht lange, bis der 5-Phasengong ein zweites Mal ertönte. Vor der Tür stand jetzt ein Wesen, das nicht einmal halb so groß war wie der Weihnachtsmann und nicht nur im Vergleich zu ihm recht schmächtig wirkte. Medi erkannte sofort das Machtgefälle. Der starke Mann, die kleine Frau, sie passte ihre Konflikthypothese an. Die wich jetzt allerdings beträchtlich von dem Bild ab, das ihnen der Weihnachtsmann zuvor geschildert hatte. Ator hingegen bemerkte die auffällig spitzen und langen Ohren der Weihnachtselfe. „Solche Spitzen prädestinieren geradezu zum Sticheln“, war sein Eindruck. Das mit der Unbefangenheit mussten die Mediatoren noch üben. Ator fiel die bunte Kleidung der Elfe auf. Das wirkte irgendwie kindisch auf ihn. Für ihn roch die Mediation in jeder Hinsicht nach einem Kontrastprogramm. „Könnte spannend werden“, sagte er zu sich. Ja, Mediatoren sind Optimisten. Und ja, es muss auch solche …isten geben. Immerhin wuchs jetzt seine Neugier. Das ist eine gute Ausgangsbedingung für Mediatoren, denn die lieben Widersprüche, so wie andere Anbieter behaupten, Lebensmittel zu lieben.

„Mein Name ist Elfi“, sagte die Elfenführerin. „Herzlich willkommen“, antwortete Ator. „Sie kommen alleine?“. „Ja?“, antwortete Elfi etwas verunsichert. „Sollten nicht auch Ihre Kolleginnen hinzukommen?“, erkundigte sich Ator. So wenigstens war es abgemacht. Elfi wirkte irgendwie verzweifelt. Sie schaute nach unten, als sie kleinlaut antwortete. „Die haben sich nicht getraut“. „Aha“, dachte Medi ohne zu fragen, was damit gemeint war. „Der Fluch der Freiwilligkeit“ war, woran Ator dachte. Er wusste jetzt auch, dass es nicht um eine Meuterei ging, wie der Weihnachtsmann behauptet hatte, sondern eher um einen Deckungskrieg. Er fragte sich, wie die Mediation durchzuführen sei, wenn die Streitparteien nicht die Courage haben, sich an Gesprächen zu beteiligen. Positiv war für ihn, dass sie jetzt keine Platzprobleme mehr hatten. „Alles hat immer zwei Seiten und niemand weiß, wofür es gut ist“, sinnierte er. Ator erkannte durchaus den allgemeinen Nutzen, der sich hinter den Weisheiten der Mediation verbarg.

Die Mediatoren rechneten mit insgesamt 12 Elfen. Geplant war eine Gruppenmediation oder war es eine Mehrparteienmedietion? Ator musste nachdenken. Er wollte sich auch mit Medi besprechen. Also bat er die Elfe, erst einmal hereinzukommen. Der Weihnachtsmann und die Elfenführerin nahmen in dem Mediationszimmer Platz. Die Flexwand im Hintergrund zeigte eine von hinten beleuchtete Schneelandschaft mit Rentieren am Nordpol. Medi & Ator glaubten, dass dieses Motiv einen beruhigenden Einfluss auf die Medianden habe. Offenbar haben sie die Wirkung ihres ausgeklügelten Settings überschätzt. Die Streitparteien setzten sich so weit auseinander, wie es das Mobiliar erlaubte. Sie wandten sich auch demonstrativ voneinander ab und sahen sich nicht einmal an. Von einer Begrüßung ganz zu schweigen. Die Rentiere auf der Flexwand schauten ihnen ungläubig von hinten über die Schulter.

„Möchten Sie einen Glühwein?“ fragte Medi. Sie dachte, das sei das passende Getränk zur Schneelandschaft im Hintergrund. Glühwein macht auch redselig. Bei ihr war das wenigstens so. Auch wollte sie die weihnachtliche Stimmung unterstreichen. Wer weiß, wofür das gut ist. „Nein“, lautete die übereinstimmend schroffe Antwort der Konfliktparteien. Es war die falsche Antwort. Medi brauchte doch einen Vorwand, um sich mit Ator zu besprechen. Sie wäre gerne mit ihm in die Küche gegangen, um zu prüfen, ob die Mediation gegebenenfalls als eine Stellvertretermediation durchgeführt werden könnte. Ohne einen Anlass wollte sie die beiden aber auch nicht sich selbst überlassen. Etwas resigniert setzten sich Medi & Ator an den runden Besprechungstisch. Sie waren so irritiert, dass sie sich nicht einmal selbst Getränke holten. Auch der Spekulatius blieb in der Küche zurück. „Schade“, dachte Ator. Er hatte gelernt, dass es dem Mediator immer gut gehen müsse. Den Spekulatius hätte er dafür gut gebrauchen können. Von dem Glühwein ganz zu schweigen. Der hätte ihn sicher inspiriert. Jetzt lernte er stattdessen, dass das mit dem Gutgehen nicht immer gelingt.

Die Mediatoren waren nicht nur sichtlich irritiert. Sie waren auch sprachlos. Medi benutzte die Technik des Umwidmens, um sich ihre Sprachlosigkeit als eine paradoxe Intervention zu erklären. Das wirkte nicht so hilflos und klang wenigstens für sie wie eine professionelle Herangehensweise. So konnte sie mit sich zufrieden sein. Es war eine knisternde Stimmung. Der Weihnachtsmann war der erste, der sie nicht mehr aushielt. „Das ist unerträglich“, blökte er. Medi & Ator wussten nicht, was er damit meinte. War es etwa eine Kritik gegen sie, gleich zu Beginn? Sie kamen nicht dazu, weiter an sich zu zweifeln, weil sich die kleine Elfe dem Weihnachtsmann sofort entgegenstellte und mit einer geradezu hysterisch hohen Fistelstimme zurückschrie: „Das musst Du gerade sagen. Du alter Vergewaltiger! Wunderst du Dich nicht, dass meine Kolleginnen Angst haben, Dir zu begegnen?“. „Hoh, hoh, hoh“, höhnte der Weihnachtsmann im tiefen Bass. „Oh, oh, oh“, dachte Medi. Das passt ins Bild. Medi überlegte, ob sie die Polizei rufen soll. Vergewaltigung ist immerhin eine Straftat. Jetzt dachte sie, ist dafür noch Gelegenheit. Sie hatten ja noch nicht über die Verschwiegenheitspflicht gesprochen. Ihr ging alles Mögliche durch den Kopf: Vergewaltigung, Missbrauch, Unterdrückung, Ausnutzung Abhängiger, … und natürlich, die Männer. Me too fiel ihr ein, als sie Ator anschaute. Der schien ganz entspannt zu sein. „Typisch Mann“, dachte Medi bei sich. „Das ist ja kein Wunder“. Medi war bereit, sich für die Frauen einzusetzen. Sie musste auch gar nicht nachfragen, was Elfi mit Vergewaltigung gemeint hat. Das war doch völlig klar. Die Mediation sollte ihr Schlachtfeld werden. Mediation hin oder her. Es gibt schließlich Prioritäten. Ups.

Zum Glück meldete sich Ator zu Wort, um die mediationsfeindlichen Gedanken zu unterbinden. „Ja, wir wurden von dem Weihnachtsmann vorgewarnt, dass es sich um einen recht hoch eskalierten Konflikt handeln müsse. Das wird jetzt offenkundig. „Was sind das für Gefühle, die Sie uns zeigen?“, fragte er. „Ist das Wut, Hass, Verzweiflung?“. Ator versuchte seine Beobachtung zu verbalisieren. Medi war überrascht, so etwas aus dem Munde eines Mannes zu hören. Sie erinnerte sich vage daran, dass Ihr Ausbilder einmal darauf hinwies, dass Männer nur über einen rudimentär ausgeprägten, emotionalen Wortschatz verfügten. So jedenfalls hatte sie das bei sich gespeichert. Es wirkte schlüssig auf sie. Wie auch immer. Ators Frage bewirkte, dass alle etwas herunterfahren konnten. Man einigte sich darauf, dass es von all den doofen Gefühlen etwas sei. Ator spiegelte den Gefühlscocktail, der offenbar keinem der beiden guttat“. Alle nickten. „Wollen Sie den loswerden?“, vergewisserte er sich scheinheilig. Da stand doch etwas vom Vergewissern im Mediationsgesetz. Das hat er dann ja wohl jetzt schon einmal erledigt. Ator war stolz auf sich. Und wieder nickten alle, diesmal sogar auch Medi. Sie nickte besonders heftig. Ator wunderte sich über ihr Engagement. Seine Gedanken behielt er aber lieber für sich. Zu den Parteien gerichtet sagte er mit betont forscher Stimme und fast in einem Befehlston: „Dann lassen Sie uns daran arbeiten!“. „Das kann er“, dachte Medi bei sich. Forsch sein, meinte sie. „Wie wäre es für Sie, wenn Sie sich in Zukunft stressfrei begegnen können?“, fragte Ator jetzt in einer suggestiven, fast hypnotisch wirkenden Stimmlage. Die Weihnachtsmediatoren beherrschten eben alle Stilanforderungen. Das war in ihrem Anwendungsfeld der Mediation auch unerlässlich. „Guter Witz“, antwortete der Weihnachtsmann. Er ließ sich von dem geschickten Vorgehen offenbar nicht beeindrucken „Mit dem etwa?“, fragte Elfi. Auch sie ließ sich nicht beeindrucken. Sie pointierte ihre Zweifel auch noch, indem sie mit dem Mittelfinger auf ihr Gegenüber zeigte. Medi überlegte, ob das der elfische Zeigefinger war oder auch für Elfen der Stinkefinger ist. Aber Ator kam einer Antwort zuvor. Er insistierte: „Die Frage war, ob Sie das wollen“. Die Betonung lag auf dem Wort wollen. „Unterstellen Sie einfach, dass es gelingt“. Darauf konnten sich die Beteiligten einlassen, auch wenn diese Unterstellung für sie völlig unrealistisch war. „Wenn Sie es schaffen, den Verstand bei den winzigen Frauen einzuschalten“, stichelte der Weihnachtsmann, indem er Ator direkt ansprach. Männer verstehen die Frauen halt besser. Das wusste der Weihnachtsmann, als er sich an Ator wandte. Ator hingegen wusste, dass Elfen weibliche Fabelwesen mit menschlicher Gestalt sind. „Aber sind das dann notwendigerweise auch Frauen?“, überlegte er. Ator wagte nicht zu fragen. Er kannte zwar die überaus gute Wirkung der naiven Fragen in der Mediation. Keinesfalls jedoch wollte er als Weihnachtsmediator unwissend erscheinen und schon gar nicht als elfimistisch. Seine Befürchtungen gingen ohnehin in der Reaktion der Elfenführerin unter. „Wenn es Ihnen gelingt, den vollschlanken Weihnachtsmann von seinem hohen Ross zu hieven“, antwortete sie. „Das klingt wie Mission impossible bei der Körperfülle. Und wenn das nicht weihnachtsmannistisch ist?“, dachte Ator. Zu den Parteien gewandt sagte er jedoch: „Ich fürchte, das müssen Sie selbst erledigen“. Er zählte in Gedanken bis 23,75, natürlich bei 20 beginnend, um zu sehen, wie die Parteien darauf reagieren, wenn sie aufgefordert werden, das Unmögliche zu vollziehen. Natürlich stellte Elfi sich vor, sie müsse den schweren Weihnachtsmann jetzt selbst vom Pferd heben. Ator meinte jedoch, dass der selbst absteigen müsse. Obwohl er die Vorbehalte nur zu gut kannte, die in den Köpfen der Medianden aufkommen, unterließ er die Aufklkärung. Er meinte, das sei jetzt nicht das geeignete Windows of opportunity, um darauf einzugehen. Die Parteien würden es im Verlauf der Mediation auch selbst erkennen, hoffte er. Er traute es ihnen zumindest zu. Um es ihnen jedoch leichter zu machen, ergänzte er: „Wir helfen Ihnen gerne dabei, eine Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sind“. Die Frage, wer wen wohin hieven muss, ließ er bewusst offen. Wieder zählte er im Stillen bis 23,75, damit der Satz seine Wirkung entfalten konnte. Das war schon ziemlich professionell. Erst dann erkundigte er sich: „Wie klingt das jetzt?“. Ator überlegte sich auch noch, ob er bei dem Wort gerne wirklich authentisch rüberkam. Er selbst war sich da nicht so sicher. Er hatte beobachtet, dass viele Menschen heutzutage das Wort gerne in den Mund nehmen, ohne es zu meinen. Das wusste er von seinen vielen Restaurantbesuchen. „Gerne bringe ich Ihren Abfall weg“, hörte er in Gedanken den Kellner sagen. Was für ein Unsinn. Zwischen den Mediationsbeteiligten entfachte eine Diskussion, ob man die Kreaturen der Weihnacht überhaupt ändern kann. „Macho bleibt Macho, Zicke bleibt Zicke und dumm bleibt dumm. Das ist halt so“, meinten sie. Trotzdem ließen sie sich wenigstens auf die Frage ein, was möglich ist in der Mediation. Hier konnten die Mediatoren eine Menge positiver Beispiele aus den vergangenen Weihnachtsmediationen anführen. Sie fühlten sich dazu nach dem Mediationsgesetz nicht nur legitimiert, sondern auch verpflichtet.

Ator hielt es für eine sehr schlaue Intervention, als er wie aus heiterem Himmel heraus fragte: „Glauben Sie eigentlich an den Weihnachtsmann?“. Er fragte so, als wäre ihm der Gedanke gerade in den Sinn gekommen, was auch der Fall war. „Was für eine blöde Frage“, erwiderte Elfi ebenso spontan wie abfällig, um hinzuzufügen: „Ja natürlich, aber nicht an den da!“. „Selbstverständlich“, antwortete der Weihnachtsmann. „Die Frage ist gar nicht blöd. Sie haben ja gerade gehört, dass die da nicht an den Weihnachtsmann glaubt. Das allein wäre schon Grund genug für eine fristlose Kündigung“. „Ich habe etwas anderes gehört“, antwortete Ator unbeeindruckt, ohne sich auf die Rechtsfrage einzulassen. „Aber glauben Sie auch an den Weihnachtsmann, wenn er eine Frau wäre?“, schob Ator nach, „Was wäre dann?“. Ator erwartete keine Antwort. Aber er bemerkte das Strahlen in den Augen von Elfi und das Unverständnis in den Augen des Weihnachtsmanns. Seine zuvor nicht gestellte Frage, ob ein weibliches Elfenwesen überhaupt eine Frau sein kann, war damit beantwortet. „Wenn der Weihnachtsmann eine Frau wäre, ist er kein Mann mehr“, konstatierte der Weihnachtsmann ebenso logisch wie nüchtern. „Und wenn er eine Frau wäre, wäre er nicht so herrschsüchtig“, konterte Elfi. „Man weiß nicht, ob das Wort herrschsüchtig von Hehr oder Herr abgeleitet wird“, erklärte Ator. „Aber auch wenn Herr etwas Männliches ist, ist der Artikel für die Herrschsucht weiblich“, fügte er hinzu. „Vielleicht hat sich einer etwas dabei gedacht, wie männlich und weiblich zusammenkommt?“. Ator hoffte, dass das unbedacht verwendete Wort einer als generisches Infinitivpronomen erkannt wird. Irgendeine Art von …isten könnte sich sicher auch darüber aufregen, fürchtete er. Eine Antwort erwartete er jedenfalls nicht auf seine Frage. Er fand es lediglich erwähnenswert, darauf hinzuweisen, dass das eine im anderen vorkommt. Auch wenn es das generische man durchaus anders sehen mag. Aber so ist das mit der Komplexität. Jeder sucht sich raus, was passt. Ator sah es als seine Aufgabe, die Wahlmöglichkeit herauszustellen.

Die Mediation fing an, sich zu entwickeln. Medi & Ator besprachen deshalb im nächsten Schritt mit den Medianden, ob die Mediation möglich sein kann, obwohl ein zentrales Thema, zumindest auf der einen Seite, nur mit Repräsentanten besprochen wird. „Offenbar geht es um grundsätzliche Fragen“, bemerkten sie. „Und Elfi ist ja nur ein Teil der elfischen Belegschaft“. Alle Beteiligten kamen jedoch überein, dass es einen Sinn macht, die Mediation als ein Zweiergespräch, das in der nicht gerade mathematisch korrekten Sprache der Mediation ein Einzelgespräch bezeichnet wird, zunächst mit den Anwesenden zu versuchen. Sie wollten danach überlegen, wie die Abwesenden gegebenenfalls einzubeziehen sind, ohne die Vertraulichkeit des Einzelgesprächs zu verletzen.

In der anschließenden Bestandsaufnahme wurden die Themen Arbeitsverhältnis und Umgang miteinander ausgehandelt. Die Themenvorschläge Weihnachtsmann, Elfen, Unterdrückung, Betriebsklima, Spielzeugproduktion, Weisungsbefugnis, Weihnachten, Befehlsgewalt, Kinderliebe, Wertschätzung, Respekt, Selbstüberschätzung, Tradition, Effizienz, Mann und Frau, Gewalt, Überheblichkeit, Ausnutzung, Renitenz, Widerstand, Meuterei, Arbeitsverweigerung, Erpressung, Arbeitsbedingungen, usw. sahen die Profimediatoren als Argumente oder Motive an, die sich hinter den herausgearbeiteten Themen verbargen.

Die Phase drei der Mediation sollte mit dem Umgangsthema beginnen, in dem die Beziehung zwischen dem Weihnachtsmann und den angestellten Elfen, speziell mit Elfi, zum Ausdruck kam. Das war eine geübte Herangehensweise der Weihnachtsmediatoren. Sie folgte der Logik, dass die Gestaltung eines Weihnachtsarbeitsverhältnisses umso besser gelingt, je besser die Beziehung, also das Miteinander, funktioniert. Das eine hängt mit dem anderen zusammen wie die Henne mit dem Ei. Das wussten sie. In dem Fall begannen sie mit dem Ei. Das waren die Emotionen. Sie stimmten die Medianden warnend auf das herausfordernde Thema ein: „Da liegt noch einiges an Arbeit vor Ihnen“. Medi erinnerte sich an die Gefahrenzulage. Rein vorsorglich wies sie darauf hin, dass die Gespräche in der Mediation auf gleicher Augenhöhe zu erfolgen hätten. Sie fragte: „Sind Sie dazu in der Lage?“. Der Weihnachtsmann blickte auf Elfi herab und sagte: „Kein Problem, solange die da alleine ist“. Elfi sprang auf den Tisch und ließ sich dort im Elfensitz nieder. Es wurde mehr eine Hocke daraus, denn nur so konnte sie die Augenhöhe zum Weihnachtsmann herstellen. Das dachte sie wohl. „Jetzt geht es“, sagte sie stolz. „Jetzt muss ich nicht mehr zu dem da aufblicken“. „Müssen Sie das?“ fragte Ator. Es war wieder so eine Frage, auf die er keine Antwort erwartete, zumal Elfi die Frage ja auch nonverbal längst beantwortet hat. „Gut, dass die Parteien keine Getränke wollten“, kam Medi in den Sinn. „Die wären bei Elfis Sprung auf den Tisch bestimmt umgekippt“. Ators Gedanke war hingegen eher handwerklich ausgerichtet: „Gut dass Elfi allein gekommen war. Wenn alle Elfen auf den Tisch gesprungen wären, wäre der bestimmt zusammengebrochen“. Medi lobte die Elfe. „Das war ein sehr kreativer Einfall“, sagte sie. Ator schaute sie verwundert an. Die naheliegende Bemerkung, dass sich Elfinnen offenbar zu helfen wissen, verschluckte Medi zum Glück. „Sie sind sich gerade nähergekommen“, stellte Ator mit selektiver Wahrnehmung nüchtern fest. „Können Sie damit leben?“. „Wenn die Kleine sich dann wohler fühlt“, sagte der Weihnachtsmann ebenso gönnerhaft wie herablassend. „Klein war gestern“, sagte die Elfe mit einem betont siegesbewussten Grinsen. Medi & Ator zwinkerten sich zu. Ein Coping erübrigt sich, war ihre non-verbale Botschaft.

Ator, der natürlich einen strukturellen Konflikt im Hintergrund vermutete, fragte an beide Parteien gerichtet: „Gibt es eigentlich ein Elfigramm?“. Er meinte natürlich ein Organigramm. Er vermutete jedoch, dass Elfigramm kompetenter klingt. Immerhin geht es um die Elfen! „Das brauchen wir nicht“, sagte der Weihnachtsmann. „Ich bin hier“. Er zeigte mit der rechten, flach angewinkelten Hand ganz hoch in die Luft. „Und die sind da“, jetzt senkte er die flache Hand bis in den Schoß hinein. Gleichzeitig zeigte er mit der linken Hand auf die Elfe. „Ausgerechnet da“, sagte Elfi, indem sie auf den Schoß des Weihnachtsmannes deutete. „Das passt zu Dir, Du alter Sexist“. „Schon wieder ein …ist“, dachte Ator und erinnerte sich an die Killerphrasen. Solche Aussagen bewirken, dass der Gedanke auf den …ist gelöenkt wird nicht auf das, worum es eigentlich geht. Demzufolge reagierte der Weihnachtsmann ebenso spontan wie vorwurfsvoll und entrüstet: „Das mit dem Sex hast ja wohl nur Du im Kopf. Da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens“. „Das hättest Du wohl gerne, Du alter, geiler Bock“, antwortete Elfi. „Ob eine Mutter nicht auch solche Gedanken erzeugen kann?“, fragte sich Ator insgeheim. Er verwarf den Gedanken aber gleich wieder, weil er materistisch sein könnte. „Da sehen Sie was die da im Kopf hat“, sagte der Weihnachtsmann an Ator gerichtet. „Die denkt immer nur an das eine“. „Verdrehte Welt“, dachte Ator und überlegte: „Warum sagt der das mir und nicht Medi?“. Er antwortete dem Weihnachtsmann jedoch: „Nein, das sehe ich nicht“. „Sie sind mir ein merkwürdiger Mediator“, wunderte sich der Weihnachtsmann. Schon wieder eine Kritik? Ator überhörte sie geflissentlich. „Das müssen Sie doch sehen. Ich bin ständig solchen sexistischen Angriffen ausgesetzt. Das ist Gaslighting, Mobbing und Stalking zugleich. Ein Weihnachtsmann hat keine Frau. Basta!“. „Das ist scheinbar genau das Problem“, sagte Elfi. „Du verdrehst immer die Wahrheit, du Pseudologist, sei doch endlich mal ehrlich!“, echauffierte sie sich. „Was ich sehe“, sagte Ator, „ist, dass Sie sich wie ein altes Ehepaar benehmen“. Auch diese familistische Bemerkung erwartete keine Antwort. Es sollte ein Reframing sein oder war es eine paradoxe Intervention?

Medi schlug vor, wieder auf das eigentliche Thema zurückzukommen. „War das gerade nicht das eigentliche Thema“, überlegte Ator. Aber Medi fuhr unbeirrt fort; so als wolle sie das peinliche Thema wechseln. Dabei knüpfte sie an die initialisierende Frage der Phase drei an. Denn dafür war die ja schließlich da, oder? Jedenfalls erinnerte Medi die Anwesenden an die Frage: „Was bedeutet der Umgang (mit dem Weihnachtsmann / den Elfen) für mich?“. Der Dialog erfolgte im Ping-Pong-Format. „Wer möchte beginnen?“, fragte Medi. Der Weihnachtsmann wollte gerade loslegen, als Elfi ihn von der Seite anschrie: „Klar, dass Du anfängst. Wie immer. Alter Despotist“. „Wieder ein … ist“, bemerkte Ator im Stillen für sich. „Das musst Du gerade sagen“, verteidigte sich der Weihnachtsmann, „Du drängelst Dich doch sonst immer vor“. Das war der Auftakt zu einem folgenschweren Schlagabtausch. Die beiden wurden immer aggressiver, bis Ator den Streit unterbrach. Er wollte den Glückshormonen eine Chance geben. Für ihn waren jetzt genug Akumas im Raum. Der Streit ging definitiv in die falsche Richtung, auch wenn er sehr aufschlussreich war, zumindest für die Mediatoren. „Worüber streiten Sie eigentlich gerade?“, fragte Ator ganz unbedarft. „Über nichts“, war die eine Antwort. „Wie immer“, lautete die andere. „Sie streiten also immer über nichts“, murmelte Ator schmunzelnd, als sei ihm beim Nachdenken gerade ein Licht aufgegangen. Dann fragte er nur scheinbar völlig überraschend: „Wer ist eigentlich der dominante Teil von Ihnen“. Sofort zeigte jede der streitwütigen Parteien auf die Gegenpartei. Ator spiegelte das Bild, indem er beide Arme vor sich hielt, die sich überquerend in entgegengesetzte Richtung wiesen. Sowohl der Weihnachtsmann wie die Elfe waren erstaunt über diese Visualisierung. Das Bild entsprach ganz und gar nicht dem vorgestellten Organigramm. Da war die Frage der Dominanz recht eindeutig vorgegeben. „Wie kann das sein?“, fragte sich jeder von ihnen. „Ich bin doch das friedlichste Wesen auf der Welt. Ich bin das letzte Bollwerk einer wahren Weihnacht. Ich bin der Chef!“, betonte der Weihnachtsmann. Das Ich stellte er in den Vordergrund. „Passt das zusammen?“, überlegte Ator und „War das eine Ich-Botschaft?“. Elfi setzte ein künstliches Lachen auf. „Das hättest Du wohl gerne. Ohne uns gäbe es gar kein Weihnachten“, betonte sie. „Wir machen die Spielzeuge. Wir sind der Inbegriff von Weihnachten. Das weiß doch jeder“. Elfi betonte das Wir besonders deutlich. „War das jetzt eine Wir-Botschaft?“, überlegte Ator, „und wie verhält die sich zur Ich-Botschaft?“ „Wenn Du nicht wärst, liefe alles wie am Schnürchen. Aber Du musst Dich dauernd einmischen. Hier machen wir alles falsch, da machen wir zu wenig, dort zu viel. Dir kann man gar nichts recht machen. Und ständig diese Drohungen. So geht das die ganze Zeit. Das hat nichts mit Weihnachten zu tun. Das ist Kataklysmus“. „Endlich wieder ein …ismus“, überlegte Ator und „Waren das jetzt Du- und Dir-Botschaften?“. Ator war ständig bemüht, sich fortzubilden. Er wird diese Überlegungen in der nächsten Intervision mit Medi besprechen.

„Uns ist es wichtig, dass alles wie am Schnürchen läuft, dass die Weihnachtsidee verwirklicht wird, dass wir uns wohl fühlen und dass es darum geht, das Richtige zu tun“, waren Gedanken, die die Mediatoren in den Aussagen der Parteien aufgeschnappt haben. Die Parteien hatten sie natürlich überhört. Es wurde deutlich, dass die Elfen einen enormen Arbeitsdruck empfanden. Sie sahen den Weihnachtsmann in der Pflicht, damit umzugehen. Auch der Weihnachtsmann sah sich unter einem enormen Erfolgszwang. Er sah die Elfen in der Pflicht, damit umzugehen. Jeder wollte mehr Rücksichtnahme vom anderen. Der Weihnachtsmann bemerkte durchaus, dass die Welt immer feindseliger wurde. Umso wichtiger war es ihm, die Weihnachtsbotschaft zu verkünden. Und dazu gehörten eben auch die Geschenke. Alles andere hatte er aus dem Blick verloren, einschließlich sich selbst. Deshalb entging ihm sein widersprüchliches Verhalten, sich einerseits für die Weihnachtsbotschaft einzusetzen, um sie anderseits mit dem Elfenstreit zu leugnen. Das gleiche galt für Elfi. Dass die Geschenke ausgeliefert werden müssen, war Elfi klar. Dass die Auslieferung der Geschenke nur mit Unterstützung der Elfen gelingen kann, war dem Weihnachtsmann klar. Den Vorwurf der Unterdrückung wollte er allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Er sah sich auch nicht als Elfimist, wenn er von den Elfen sprach oder als misogyn, wenn er über Frauen sprach. Mit der Vorstellung, dass der Weihnachtsmann auch eine Frau sein könne, tat er sich allerdings schwer. „Dann bin ich ja meinen Job los“, sagte er. „Medi fiel auf, dass er nicht sagte: „Die können das nicht“ oder „Eine Frau gehört nicht an die Zügel einer Rentierkutsche“. Das meldete sie auch zurück. Elfi hob, an den Weihnachtsmann gerichtet, hervor: „Du kannst Deinen blöden Job behalten. Den wollen wir gar nicht“. Dann gab es noch eine Salve von Vorwürfen und Wutausbrüchen auf beiden Seiten. Das Übliche halt. Medi & Ator waren daran schon gewöhnt; großes Kino; jede Menge Akumas.

„Sie liegen ziemlich weit auseinander“, unterbrach Medi wahrheitswidrig. „Das kann man wohl sagen“, antworteten die Medianden wie aus einem Mund. „Da sehen Sie es. Unterdrückung, Vergewaltigung, Missbrauch! Was ich Ihnen ja bereits gesagt habe“, erregte sich Elfi. „Sehe ich das?“ fragte Medi. Sie wunderte sich selbst über ihre Zweifel. Und ohne eine Antwort abzuwarten, führte sie das Gespräch mit der Frage fort: „Sie hätten es lieber anders, stimmt‘s?“. „Ja klar“, sagte Elfi ohne zu zögern. „Der soll endlich mal sehen, was er an uns hat und selbst tun, was er von anderen erwartet. Der Inbegriff von Weihnachten ist Friede, Freude …“. „Eierkuchen“, unterbrach der Weihnachtsmann voller Sarkasmus. „Da sehen Sie es. Weihnachten ist für den nur eine Makulatur“, sagte Elfi an die Mediatoren gerichtet. „Der steht nicht hinter den Werten. Der vergewaltigt doch Weihnachten und damit auch uns Elfen. Wir stehen hinter der Weihnachtsbotschaft. Wir haben soooo viel beizutragen. Wir kennen die Wünsche der Kinder genau. Die wollen Computerspiele keine Bauklötzchen. Und anstatt uns mit PCs auszustatten, damit wir den Kindern eine wirkliche Freude machen können, kriegen wir Raspeln, um Bauklötzchen zu feilen. Keiner will das. Das ist doch total out“. „Das ist gegen das Verderben der Jugend“, belehrte der besserwisseristische Weihnachtsmann. Weihnachten ist nicht zur Suchtbefriedigung geschaffen worden, sondern zur Freude“. „Ja genau“, erwiderte Elfi, „aber nicht zu Deiner Freude. Es geht dabei auch nicht um Deine Endorphine, Du alter Egoist“. „Wieder ein …ist. Die Schubladen werden immer voller“, kam Ator in den Sinn. Elfi bekräftigte ihren Vorwurf, indem sie sich auf eine vermeintliche Expertenmeinung berief: „Dolphi, das Rentier, hat auch gesagt, dass Du ein bipolar gestörter Narzisst bist“. „Interessant“, sagte der Weihnachtsmann: „Mir hat Dolphi gesagt, dass Ihr unter dem Geisterfahrersyndrom leidet. Aber mal ehrlich. Glaubt Ihr etwa, es käme auf Eure Freude an? Wie egoistisch ist das denn? Ihr sollt arbeiten!“, warf der Weihnachtsmann ein. In dem Moment glaubte er noch, dass es sich um einen erkennbar abwegigen Gedanken handelte, wenn die Elfen beim Schenken ebenfalls Freude empfinden wollen. Schließlich war er es doch, der den Sack trägt und die Geschenke überbringt.

Es folgte ein ebenso heftiger wie lautstarker Streit wer was besser weiß und wer besser Freude vermitteln kann. Ator erinnerte sich an das, was er eingangs gesagt hat. „Warum tun wir uns das unselige Gezänk nur an?“. Medi erkannte an seinem verzweifelten Blick sofort was in ihm vorging. Es wird Zeit für ein Eingreifen, entschied sie: „Sie streiten sehr heftig“, sagte sie an die Parteien gewandt. „Niemand hört zu. Umso mehr schreien Sie sich an. Sie tauschen Argumente aus, die ich so verstehe, dass jeder von Ihnen sein Engagement für Weihnachten hervorheben will, ebenso wie seine Empathie und den Blick auf die Nöte der Menschenkinder. Je mehr Sie das Gefühl haben, dass diese Botschaft beim Gegenüber nicht ankommt, umso lauter werden Sie. Sie möchten Freude bereiten. Bei dem Streit, wer das am besten kann, bleibt ihre eigene Freude auf der Strecke. Kann man das so sagen?“. Die Parteien waren etwas verblüfft über die Rückmeldung. Sie mussten Medi aber nach kurzer Überlegung zustimmen. „Dass Sie Freude bringen und die Weihnacht nach vorne bringen wollen, darin sind Sie sich sehr einig“, mischte sich jetzt Ator ein. Er zählte in Gedanken bis 28,95. „Bei der Frage, wie Sie das machen, geraten Sie in Streit“. Das Wie sind die Lösungen. Um die Gedanken von den Lösungen wieder wegzunehmen und um die Parteien besser auf den Nutzen einzustellen, wandte sich Ator nun mit der Technik des reflecting Teams an seine Co-Mediatorin. Er fragte Medi: „Was meinst Du, lassen sich, wenn Freude mit Stresshormonen beladen ist, überhaupt noch Glückshormone bei wem auch immer produzieren?“. „Hmm“, antwortete Medi, die sich spontan auf das Gedankenspiel einließ. „Wenn Du mir etwas schenkst, von dem ich weiß, dass es Dir Unbehagen oder Stress bereitet, möchte ich Dein Geschenk gar nicht haben. Bei einem Geschenk geht es nicht um den Gegenstand. Wenn es nur noch darum geht, sind Geschenke nichts mehr wert“. Ator wunderte sich, woher diese Weisheit wohl kommen mag. „War die etwa Medi eingefallen?“, überlegte er. Aber der Gedanke war sicher mediistisch und ganz und gar nicht wichtig. Wichtig war, dass es sich um eine Erkenntnis handelte, die auch den Parteien weiterhalf. Die Parteien sind auf Erkenntnisse angewiesen, wenn sie selbst die Lösung finden sollen.

Die Intervention zeigte Wirkung. Denn tatsächlich wurden die Parteien etwas nachdenklich. Sie erkannten das Law of Attraction, wonach gleiches das Gleiche anzieht und dass Freude nur herauskommen kann, wo Freude reingesteckt wird. Der Weihnachtsmann war zwar immer noch der Meinung, dass Mindcraft nicht das richtige Geschenk für kleine Kinder sei, obwohl davon nie die Rede war. Er war jetzt allerdings bereit, sich über die Modernisierung der Geschenke mit den Elfen auseinanderzusetzen. Dolphi das Rentier sollte als Elfenrat fungieren und sicherstellen, dass die Elfen bei der Arbeitsgestaltung und der Spielzeugproduktion besser zu Wort kommen und gehört werden. Mit Dolphi könne der Weihnachtsmann von einer Art Mann zu Mann reden. Sex spiele dabei ganz sicher keine Rolle meinten alle und das Rentier schien beide Seiten auch gut zu kennen. Die genaue geschlechtliche Einordnung von Dolphi ersparten sie sich. Das sei eventuell coiphobistisch, meinten sie. Grammatikalisch jedenfalls sei es ein Neutrum, auch wenn das mit dem Geschlecht, entgegen der Auffassung vieler, nicht zwingend einher gehen muss. Elfi wollte mit ihren Kolleginnen reden. „Ich bin ja eigentlich ganz froh, dass Ihr Euch so engagiert“, sagte der Weihnachtsmann plötzlich. „Aha!“ dachte Medi. „Und wir freuen uns eigentlich auch, dass Du unsere Spielsachen an das Kind bringst“, sagte Elfi. Jetzt dachte Ator: „Aha!“. „Ja, aber nur den braven“, betonte der Weihnachtsmann. „Die bösen dürfen sich nicht freuen?“, überlegte Medi. Sie erkannte eine Parallele zu dem, was Ator über ihre Akumaeinstellung sagte. „Darf der sich wirklich gar nicht freuen?“, erinnerte sie sich an die noch ungelöste Frage. „Vielleicht sind Akumas wichtig, um auf Probleme und Gefahren hinzuweisen. Wenn das so ist, verdienen sie auch eine Belohnung. Erst recht, wenn sie das so hinkriegen, dass daraus kein Schaden entsteht. „Vielleicht freuen die Akumas sich sogar, wenn sie nicht mehr böse sein müssen“, überlegte Medi.

Alle Beteiligten merkten, dass eine Wertediskussion noch aussteht. Medi & Ator waren froh, dass sie das Wertethema nicht ganz oben auf die Themenliste geschrieben haben und auch das Strukturthema nur beiläufig ansprachen, obwohl beides auf ihrer Konfliktlandkarte auftauchte. Werte geben eine gute Orientierung, wenn sie nicht in einem …ismus landen und dafür benutzt werden, die Ablehnung anderer zu rechtfertigen oder gar um Feindschaften zu begründen. In solchen Fällen ist zu hinterfragen, ob der behauptete Wert wirklich im Mittelpunkt des Denkens steht und nicht zum Opfer irgendwelcher Akumas wird. Ein echter Wert sollte es ertragen können, wenn er in Frage gestellt wird. Davon waren die Mediatoren überzeugt und die Infragestellung sahen sie als Teil ihrer Aufgabe. Die Medianden waren von der Metaebene aber noch weit entfernt. Sie mussten sich erst klar darüber werden, inwieweit es die Werte der Weihnacht sind, die sie von Gesprächen abhielten oder die persönliche Ablehnung des Anderen, woher die auch immer kommen mag. Sie waren jetzt dazu in der Lage, denn sie merkten, dass sie weniger über die Werte, sondern über ihre Realisierung in Streit gerieten. Sie merkten auch, dass sie durchaus darüber reden können; wenigstens in Gegenwart der Mediatoren. Ator wusste, dass es schwierig ist, mit Feinden über Werte zu diskutieren. „Das ist Validismus“, überlegte er, ohne zu wissen, ob es das Wort überhaupt gab. Ator spürte, dass es für dieses Phänomen auch einen …ismus geben muss. Letztlich war das aber auch egal, denn hier schien er sich zu eignen, die Wertediskussion nicht um sich selbst willen zu führen.

„Es ging doch um Freude“, wandte Medi ein. Die versierte Mediatorin wollte den gedanklichen Fokus wieder auf den Punkt lenken, um den es eigentlich ging. Das war der erwartete Nutzen, wo es überraschend viel Übereinstimmung gab. „Wenn der Nutzen eine friedliche, freudvolle Weihnacht ist, sollte ihr Wert nicht missbraucht werden, um genau das zu verhindern“, sagte Medi an die Parteien gerichtet. „Die Lösung, also die Frage, wie der Nutzen zu erreichen ist und wie sich die Werte dafür einbeziehen lassen, kommt erst in der Phase vier zur Sprache“. Das hat sie so gelernt. Medi wollte verhindern, dass die Diskussion die Parteien wieder in die zweite Phase zurückwirft. Sie befürchtete, dass die Nutzenerwartung in den Köpfen der Medianden noch nicht ausreichend etabliert sei. Zudem müssen für die Werteauseinandersetzung erst die feindlichen Motive und Emotionen aus dem Weg geräumt sein. Solange die im Vordergrund stehen, führt das Gespräch in den Streit und nicht in eine fruchtbare Auseinandersetzung. Das ist die Logik der Mediation.

Medi erinnerte sich an den Realitycheck. „Wenn Sie keinen Stress mit den Elfen haben, könnten Sie sich dann mit ihnen über die Frage, wie Freude zu bereiten ist, an Weihnachten besser auseinandersetzen?“. „Ja, klar“, sagte der Weihnachtsmann, „aber …“  Medi hielt das „Ja“ fest und unterbrach den negierenden Gedanken in das Aber. „Wir wollen uns auf die Freude konzentrieren. OK?“, betonte sie. „Ja“, sagten beide etwas kleinlaut. „Daran müssen wir noch arbeiten“, erkannte der Weihnachtsmann. „Jedenfalls ist der Weihnachtsfriede vorerst einmal gesichert“. „Ja“, stimmte Elfi zu, „aber dann musst Du …“. Medi fiel jetzt auch ihr mit der Aber-weg-Technik ins Wort. Ein Aber verdrängt ein Ja und das ja sollte nicht verloren gehen. Obendrein ermahnte sie die Parteien: „Dann müssen Sie beide …“, ohne den Satz zu beenden und zu sagen, was sie müssen. Das sollen die schließlich selbst herausfinden. „Wir helfen Ihnen, wenn Sie auf dem Weg ins Straucheln geraten“. Medi & Ator waren sich sicher, dass sie in der Mediation die zielführenden Gedankenimpulse setzen konnten. Das Denken konnten und wollten sie den Parteien nicht abnehmen. Das galt auch für den Konflikt, den jeder nur selbst bewältigen kann. Die mit der Mediation ermöglichten Erkenntnisse genügten den Medianden jedoch, um brauchbare Ideen zur Umsetzung der zuvor erarbeiteten Lösungskriterien zu finden. Die Kriterien wurden in der dritten Phase erarbeitet.

Medi & Ator waren mit sich zufrieden. Weil sie erfahrene Mediatoren waren, wussten sie, dass die Lösung von den Parteien umzusetzen ist und dass es dabei noch zu Schwierigkeiten kommen kann. Das größte Bug ist der User. Deshalb warnten die Mediatoren eindringlich vor der Rückfallgefahr und appellierten daran, dass die vor den Parteien liegende Beziehungsarbeit nur von ihnen selbst geleistet werden kann. Die Medianden wollten das Weihnachtsfest nutzen, um in sich zu kehren und sich zu versöhnen. Jetzt war auch den Mediatoren klar, dass die Medianden verstanden haben, worum es ging. Die Verstehensvermittlung war erfolgreich. Die Abschlussvereinbarung war nur noch eine Formalität. Sie wurde auf Weihnachtspapier geschrieben und mit Elfenstaub versiegelt.

Nachdem die Parteien gegangen waren, sagte Medi zu Ator: „Siehst Du?“. „Was sehe ich?“, fragte Ator. „Es geht darum, Freude zu teilen“. „Ehrlich gesagt, bin ich müde. Aber ja, ich freue mich, dass die Weihnachtsakumas jetzt alle raus sind. Also mach mich froh!“, sagte Ator. „Ignorant“, erwiderte Medi. „Sind etwa doch noch Akumas hier?“, fragte Ator scherzhaft. Er wollte darauf hindeuten, dass Ignorant ein Wort war, das nicht gerade froh macht. Aber wenigstens war es kein … ismus. Er wusste aber auch, dass es zum Spaß gemeint war. Jetzt mussten beide lachen. „Gut gemacht!“ sagten sie und stießen die Fäuste gegeneinander. Von Schmerzensgeld, Ich-, Du, Wir-, und Dir-Botschaften und den anderen Fragen zur Mediation war keine Rede mehr. Dann wünschten sie sich auch eine frohe Weihnacht und viel Freude an der Mediation. Sie muss anderen Freude bescheren, damit sich auch die Mediatoren freuen können. „Das ist etwas für’s Leben“, meinten sie, „und nicht nur für Weihnachten“. Jetzt freute sich auch der Weihnachtsakuma.

Arthur Trossen