Eine Bestandsaufnahme

Es ist nicht ganz klar wann die Mediation Einzug in Deutschland gefunden hat. Gerne werden der 30-jährige Krieg und die Schlichtungsbemühung Contarinis als die erste offizielle Erwähnung der Mediation zitiert. Dann werden die Friedensbemühungen Carters in Camp David als Mediation bezeichnet. Aber war das wirklich eine Mediation oder war es nur eine geschickte Schlichtung?

Die Mediation verändert die Verfahrenslandschaft und nicht nur die. Früher galt die Schlichtung als die umfassende Alternative zur Streitentscheidung. Heute ist es die ADR, die einmal mit Alternative Dispute Resolution, einmal mit Amicable Dispute Resolution oder mir Appropriate Dispute Resolution übersetzt wird. Der deutsche Gesetzgeber übersetzt ADR mit außergerichtlicher Streitbeilegung, was die Einordnung des später noch zu erwähnenden Güterichters erschwert und Auswirkungen auf die Frage der Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften nimmt. Heute muss man die Schlichtung als ein mit der Mediation konkurrierendes Verfahren ansehen, das wie diese ein Verfahren der Streitvermittlung ist. Im Gegensatz zur Schlichtung, wo die dritte neutrale Person die Lösung vermittelt, vermittelt der Mediator Verstehen als Grundlage zur eigenen Lösungsfindung. Mithin ist die Mediation ein Verfahren der Verstehensvermittlung, wohingegen die Schlichtung ein Verfahren der Lösungsvermittlung ist und sich von der die Lösung vorgebenden Streitentscheidung abgrenzt.

Die Mediation im heutigen Verständnis wurde in Deutschland erst Anfang der 90-er Jahre bekannt. Der Kongress in Tübingen im Jahre 1998 machte deren Ankunft deutlich. Die Pioniere hatten im Sinn, die Verhandlungskultur zu verbessern und damit das menschliche Miteinander. Die Mediation findet ein Zuhause in allen Disziplinen. Man bezeichnet sie als interdisziplinär. Bei genauem Hinsehen ist sie jedoch multidisziplinär und multiprofessionell. Die Entwicklung in Deutschland mag symptomatisch sein für die Frage, wie die Mediation als eine Option der Streitvermittlung zu implementieren ist – oder eben nicht. Die Pioniere jedenfalls hatten große Mühen, ihren Kollegen einerseits aber auch den Streitparteien zu erläutern, was Mediation ist. „Wie kann man kooperieren“, fragten sich die Klienten, „wenn der Gegner uneinsichtig ist und warum sollte ich nach einer Lösung suchen, wenn der Anspruch doch klar auf der Hand liegt und nur Gerechtigkeit einzufordern ist, um ihn durchzusetzen“. Eine andere Herausforderung war, dass Viele nicht nur glaubten zu wissen was Mediation ist, sondern sogar behaupteten, darin erfahren zu sein. „Das machen wir doch schon immer so“, war deren abweisende Antwort. Angesprochen fühlten sie sich in ihrer Kompetenz, Vergleiche herbeiführen zu können. Im deutschen Recht ist der Vergleich ein in § 779 BGB geregelter Vertragstyp, der durch ein gegenseitiges Nachgeben gekennzeichnet ist. Genau betrachtet beschreibt die gesetzliche Definition einen Kompromiss. Wenn das gegenseitige Nachgeben allerdings ein resignatives Element beinhaltet, wird die Mediation vom § 779 BGB nicht korrekt erfasst. Die Mediation kann zwar in einem Kompromiss enden; angestrebt wird jedoch ein Konsens. Gemeint ist eine Einigung, bei der es keine Verlierer geben soll. Im idealtypischen Modell der Mediation lässt sich der Lösungsrahmen stets erweitern, so dass statt eines so genannten Nullsummenspiels, bei dem der Eine auf Kosten des Anderen gewinnt, ein Positivsummenspiel ausgerufen wird. In einem Positivsummenspiel gewinnt jeder unabhängig voneinander. Um dies zu erreichen, gibt die Mediation eine win-win Lösung vor. Weil § 779 BGB durchaus auf die Abschlussvereinbarung der Mediation anzuwenden ist, trägt die sprachliche Ungenauigkeit zur Unschärfe bei, wenn es darum geht, die Mediation abzugrenzen und zu implementieren. Hier stoßen wir auf ein Problem, das für die Mediation nicht nur in Deutschland kennzeichnend ist. Ihre Anwendung ist unpräzise. Sie dringt mit der so genannten sondierenden Mediation in Angebotsbereiche ein, die nicht wirklich eine Mediation erfordern. Ihre Anwendung ist marktorientiert und eher semiprofessionell. Selbst der Gesetzgeber gesteht ihr lediglich einen nebenberuflichen Charakter zu.

Der deutsche Gesetzgeber fühlte sich ganz ohne Not veranlasst, ein Mediationsgesetz zu erlassen. Angeblich war das Gesetz erforderlich, um die EU Direktive umzusetzen. Genau betrachtet hätte das deutsche Recht alle Bedingungen der EU Direktive erfüllt, ohne dass es der Umsetzung in einem neuen Gesetz bedurfte. Die Hemmung der Verjährung bei Verhandlungen beispielsweise war gem. § 204 BGB bereits Bestandteil unseres Rechts. Auch die Möglichkeit, die Vereinbarung durch notarielle Beurkundung vollstreckbar zu machen, war dem deutschen Recht nicht neu. Die Verschwiegenheit kann und konnte durch Prozessverträge vereinbart werden. Eine Option, die noch weiter geht, als es schließlich durch das Mediationsgesetz vorgesehen wurde. Tatsächlich hat das Mediationsgesetz die noch im Entwurf herausgestellten Umsetzungen der EU Direktive nach der Beratung in den parlamentarischen Ausschüssen wieder zurückgenommen. Abgesehen von der Verschwiegenheitspflicht des Mediators hat es keine wesentlichen Rechte etabliert. Trotzdem wurde das aus nur 9 Paragraphen bestehende deutsche Mediationsgesetz als ein Meilenstein beschrieben. Die Politiker haben ihm eine ähnlich wichtige Bedeutung zugeschrieben wie die Einführung des BGB. Von allen Normzwecken, die das Gesetz erfüllen sollte, war nach den Beratungen im Parlament lediglich die diffuse Absicht übrig geblieben, die Mediation stärken zu wollen. Von einer Verbesserung der Streitkultur ist die Rede. Was damit aber gemeint ist, wie sich die Verbesserung der Streitkultur auf die Friedenskultur auswirkt und wie man die Mediation mit dieser Zielsetzung stärken kann, wird nicht erwähnt. Deshalb hat jeder eine eigene Vorstellung, wie er den unspezifischen Zweck des Gesetzes zu verstehen hat. Obwohl das Mediationsgesetz in § 1 die Mediation definiert, ist das Verständnis von Mediation diffuser als je zuvor. Einen Beleg für die begriffliche Diffusion liefert der Gesetzgeber selbst, indem er bereits im § 2 Abs. 2 Mediationsgesetz vom „Mediationsverfahren“ spricht, obwohl er in § 1 die Mediation als Verfahren definiert hatte. Offenbar ist die Mediation also auch im Verständnis des Gesetzgebers mehr als nur ein Verfahren. Die begriffliche Verdopplung wäre nicht notwendig, wenn die Definition versucht hätte, die Komplexität der Mediation abzubilden. Ohne dass dies explizit herausgestellt wurde, ist das Mediationsgesetz nicht auf alle Mediationen anwendbar. Eine Unterscheidung zwischen der Mediation im materiellen und im formellen Sinne ist angezeigt, wobei die formelle Mediation als reine Mediation im Sinne des Gesetzes anzusehen ist und wo weiterhin zwischen der formellen Mediation im Sinne des Gesetzes und der formellen Mediation im Übrigen zu unterscheiden wäre, wenn man die gesamte Bandbreite der Mediation erfassen will.

Ohne die begriffliche Unterscheidung zwischen materieller und formeller Mediation aufzugreifen, hat sich der Gesetzgeber selbst wohl eher unbewusst auf eine derartige Differenzierung eingelassen. Zumindest hat er die Grundlagen für eine solche Unterscheidung gelegt. Anlass war der Streit um die Richtermediation. Hintergrund war die Anwaltschaft, die über eine starke Lobby verfügt und sich sorgte, dass sich die Gerichtsmediation als ein konkurrierendes Angebot präsentieren könnte. Im Gegensatz zum Gesetzesentwurf hatte der Bundestag zunächst die Richtermediation verhindert, indem er die sie ermöglichenden Vorschriften aus dem Entwurf des Gesetzes gestrichen hat. Erst die Intervention im Bundesrat hat einen Kompromiss ermöglicht, der zwar nicht zur begrifflichen Einführung der gerichtsinternen Mediation führte, wohl aber den sogenannten Güterichter etablierte. Er wurde explizit ermächtigt, die Methoden der Mediation anzuwenden. Die aktuelle Rechtslage in Deutschland ist deshalb die, dass das Mediationsgesetz die Gerichtsmediation zwar explizit ausschließt, der Richter aber über § 287 V ZPO ermächtigt wird, die Methode der Mediation anzuwenden. Gleichzeitig wurde der sogenannte Güterichter eingeführt, der von Vielen als ein Synonym für den Richtermediator verstanden wird. Eine wesentliche Folge des Gesetzes zur Förderung der Mediation, wie es korrekt heißt, ist weiterhin, dass der Güterichter ein Richter im Sinne des Gesetzes ist. Die Mediation wird deshalb – wenn auch nur methodisch – zu einer Aufgabe des Gerichts.

Kritiker bezeichnen die Einführung des Güterichters mit den Aufgaben des Mediators als einen Etikettenschwindel. Systematisch betrachtet ist die Unterscheidung gar nicht schlecht, denn sie erlaubt die Abgrenzung von Mediationen, die als ein eigenständiges Verfahren vorgehalten werden zu solchen, die als methodische Implikation in einem anderen Verfahren verwendet werden; mithin die Unterscheidung zwischen materieller und formeller Mediation.

Untersuchungen haben ergeben, dass die Mediation in Deutschland schon relativ gut bekannt ist. Immerhin haben 65% der Bevölkerung bereits von der Mediation gehört. Seit dem Mediationsgesetz erfahren wir auch eine gesteigerte Nachfrage und ein gestiegenes Interesse am Verfahren. Überall wird versucht, die Mediation zu implementieren. Mitunter wird sie als eine Wunderwaffe gehandelt, mit der sich selbst unlösbare Konflikte beilegen lassen. Leider kann diese Erwartung nur bedient werden, wenn man auf einen Mediator trifft, der sein Handwerk gut versteht. Damit ist das Thema Ausbildung angesprochen. Die aktuelle Rechtslage erlaubt es in Deutschland jedermann, sich Mediator zu nennen und Mediationen anzubieten, wenn er nur irgendeine nicht näher spezifizierte Ausbildung nachweisen kann. Um zumindest Mindeststandards festzulegen, hat sich der Gesetzgeber dazu berufen gefühlt, den sogenannten zertifizierten Mediator einzuführen. Das Ministerium der Justiz wurde ermächtigt, eine Rechtsverordnung zu erlassen, die den Umfang der Ausbildung zeitlich und inhaltlich festlegen soll. Vorgegeben wurde eine Ausbildung von 120 Stunden. Die Rechtsverordnung ist bis heute nicht in Kraft. Somit darf sich aktuell auch niemand als zertifizierter Mediator bezeichnen. Die Verbände sehen die 120 Stunden Ausbildung als unzureichend und bieten in eigener Regie höherwertige Ausbildungen an, wobei die Orientierung bei 200 Stunden liegt. Eine offizielle Schätzung besagt, dass wir in Deutschland etwa 7.500 Mediatoren haben. Eine inoffizielle Schätzung belegt, dass wenigstens 70.000 Menschen in Mediation ausgebildet wurden. Etwa 4.000 Mediatoren bieten professionelle Mediationen an. Auch das ist eine Schätzung. Die Realität ist, dass  die Nachfrage bei weitem nicht ausreicht, diese Mediatoren mit Arbeit zu versorgen. Die Mediation ist ein Marktfaktor geworden, auch wenn sie ökonomisch betrachtet noch völlig unbedeutend ist. Die EU möchte erreichen, dass 50% der Fälle mit einer formellen Mediation i.S.d. Mediationsgesetzes erledigt werden. Die Erfolgsmesser sind Fallzahlen und Abschlussvereinbarungen, wobei unterstellt wird, dass die Abschlussvereinbarung stets eine mediative Qualität besitzt, also ein echter Konsens ist. Nicht beachtet wird auch eine Tendenz der Märkte, sich zu bewahren. Niemand fragt sich, wie sich der Markt verändert, wenn tatsächlich 50% der Fälle in einer formellen Mediation enden. Es ist ein Fakt, dass die Mediation die Konflikte mit geringeren Fallzahlen und geringerer professioneller Beteiligung abwickeln kann. Ein Familienkonflikt, aus dem sich beispielsweise ohne Weiteres 10 Streitfälle vor Gericht produzieren lassen, kann mit nur einer Mediation beigelegt werden. Kannibalisierungseffekte sind zu beobachten, wo so genannte Anwaltsmediatoren damit werben, dass ihre Beauftragung die weitere Einbeziehung von Anwälten erübrigen könne. Auch die Rechtsschutzversicherungen scheinen davon auszugehen, dass die Mediation eine parteiliche Rechtsberatung ersetzen könne. Abgesehen davon, dass diese Werbung nicht nur unlauter ist, sondern auch falsch, wird sie vom Gesetzgeber durch § 2 Abs. 3 Ziff. 4 RDG gefördert, indem Anwaltsmediatoren eine Rechtsberatung in der Mediation zugebilligt wird, den übrigen Mediatoren aber nicht. Das Ministerium der Justiz wurde im § 8 Mediationsgesetz aufgefordert, die Entwicklung der Mediation zu evaluieren. Es ist gut beraten, dabei nicht nur die Nachfrage nach Mediation, sondern auch die dadurch beeinflusste Entwicklung des gesamten Marktes und die möglichen Marktverschiebungen im Blick zu haben, denn nur so lässt es sich erkennen, wie sich die Mediation bei den Versuchen der eigenen Existenz- und Marktsicherung verändert.

Was das Gesetz erreicht hat, ist eine gesteigerte Aufmerksamkeit für Mediation und ein Angebot, das von den Professionen beachtet und ernst genommen wird. Ob es korrekt verstanden wird, ist eine andere Frage. Was noch zu tun ist, ist eine fachliche Aufbereitung, eine methodologische Durchdringung und eine systematische Einordnung der Mediation. Einen Lösungsansatz bietet übrigens die so genannte integrierte Mediation, indem sie die Kompetenz der Mediation in den Mittelpunkt stellt und das Verfahren lediglich als einen gegebenenfalls austauschbaren oder kombinierbaren Container betrachtet. Wie aber sagte Laotse noch? „Der Weg ist das Ziel“. Die Mediation mag den Weg mediativ beschreiten und dabei zeigen was sie kann. Das ist in einer Welt des marktorientierten Wettbewerbs die wohl größte Herausforderung. Die Mediation kann sich nur dann wesensgerecht und als solche etablieren, wenn sie sich in dem Gerangel um Markt und Nachfrage nicht selbst verrät und sich davor bewahrt, zum Objekt der Begierden zu werden. Verstehen hilft überall und Verstehen ist die Kompetenz des Mediators. Sie sollte sich nicht auf das Verstehen anderer beschränken.