Oder: Warum die Mediation ein Ausweg wäre

Manche nennen es BREXIT, andere BREGRET. Man könnte es auch BRAME nennen, das Britain Game. Der Name des Spiels lautet: „Bleib mir treu, damit ich mich trennen kann“. Die EU spielt das Spiel: „Trenn‘ Dich erst, dann überlege ich inwieweit ich Dir noch treu sein kann“. Wie sähe die Scheidung aus, wenn man den Prozess mit den Augen und Ohren eines Mediators betrachtet? Die mediative Sichtweise zeigt den politischen Ausweg.

Geht es nach Presseberichten, wäre die Entscheidung der Briten auf falsche Wahlversprechen gestützt worden. Viele der Berichte gehen davon aus, dass der BREXIT ein Fehler sei. Ob dem so ist, hängt davon ab, wie die Chancen eines Alleinganges eingeschätzt werden. Offenbar gehen die Parteien von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Die Zukunft kennt niemand. Glaubt man der Presse, dann zeigen sich die BREXIANER orientierungslos. Vielleicht sind sie aber auch nur geschickte Pokerspieler.

Wie ginge ein Mediator mit dem BREXIT-Poker um?

Die Frage stellt sich nicht, sagen Sie zu Recht. Niemand denkt an Mediation. Sie passt nicht zum Pokerspiel. Ein integrierter Mediator würde den Prozess dennoch an der Matrix einer gedachten Mediation messen, um so den optimalen Weg aus dem Dilemma zu finden. In seinem Verständnis beschreibt die Mediation stets den optimalen Weg durch eine Verhandlung, dem alle anderen Vorgehensweisen nachstehen. Konsequent fragt er sich, wie sich der optimale Prozess verwirklichen lässt.

Die erste Irritation kommt auf, weil der Mediator nicht in Lösungen sondern prozessorientiert denkt. Er würde sich zunächst also nicht dafür interessieren, wer was erreichen will. Das Einzige was ihn interessiert, ist die Frage, wie es möglich wird, sich auf ein Spiel zu einigen, das die optimalen Lösungen verspricht. Ein Pokerspiel ist angesagt. Ein solches Spiel setzt voraus, dass die Lösung bekannt ist. Ausnahmsweise geben die Politiker zu, dass sie noch keine Idee haben, wie sich der BREXIT verwirklichen lässt. Auch hinsichtlich der Auswirkungen gibt es offene Fragen auf beiden Seiten. In einer solchen Situation wäre Poker das falsche Spiel, denn es setzt ein Ja-Nein-Ergebnis voraus. Es wird mit verdeckten Karten gespielt. Auf beiden Seiten wird taktiert.

Um das richtige Spiel zu identifizieren würde ein Mediator fragen, ob das Ja- oder NEIN-Ergebnis den jeweils gewünschten Nutzen bringen kann. Er würde versuchen, den Parteien darüber eine Einsicht zu vermitteln: „Stellen Sie sich vor, der BREXIT findet statt. Was haben Sie jetzt davon?“. Unabhängigkeit? Wohlstand? Bestenfalls Chancen. Dass es eines Miteinanders bedarf ist unstreitig. Streitig ist das WIE. Schnell wird man feststellen, dass die Gegner weder BR noch EU heißen. Schon melden sich auch andere Spieler wie z.B. Schottland und Irland zu Wort. Auch was die Einschätzung der Chancen anbelangt sollte man nicht vergessen, dass 48,1 % der Wähler den BREXIT abgelehnt haben, darin also keine Chancen sehen. Lediglich 3,8 % der Stimmen haben einer so folgenschweren Entscheidung den Ausschlag gegeben. Ob sich die 27,8 % der Nichtwähler dadurch repräsentiert fühlen, sei dahingestellt.

Nein, der Gegner heisst nicht EU. Er heisst Politik.

Schaut man auf den Prozess, dann wird deutlich, dass die Demokratie, die angeblich gerettet werden soll, für eine fragliche und wie sich zeigt höchst streitige Lösung hingerichtet wird. Die Politik, die angetreten ist, sie zu retten, macht sich selbst zum Feind. Man fragt sich woher Politikverdrossenheit kommt. Hier findet sich die Antwort. Das Volk ist nicht der Spieler, es wird benutzt. Die Politik stellt keine Entscheidungsfähigkeit her, sie stellt sie – mitsamt dem dahin führenden Prozess – in Frage. Es ist völlig unklar, wer die Verantwortung für das übernimmt, was jetzt geschehen wird. Soll wirklich eine ganze Nation in Geiselhaft genommen werden für das streitige Votum einer falsch gestellten Frage? Wie wäre die Wahl wohl ausgegangen, wenn statt der Ja-Nein-Frage eine konditionale Frage gestellt worden wäre:

  1. Wollt ihr aus der EU auftreten?
  2. … auch dann, wenn die EU ihre Politik überdenkt und Euch Gehör schenkt?
  3. … auch dann, wenn Ihr danach keinen Einfluss mehr auf die Politik der EU habt?
  4. … auch wenn Ihr mit hohen Kosten rechnen müsst?

Die gestellte Frage suggeriert als gäbe es nur ein ENTWEDER-ODER. Gibt es wirklich keine andere Option, um sich aus einem Joch zu befreien? Muss sich eine Demokratie nicht fragen, was es bedeutet, wenn die Abstimmung so kurz danach zum BREGRET wird? Spricht allein dieses Fakt nicht für einen Informationsmangel?

Es ist kein Sieg der Demokratie, wenn sie sich von der Politik instrumentalisieren lässt. Es ist ihre Niederlage. Im Nachgang wird deutlich: Die numerische BREXIT Mehrheit bedeutet keinen Konsens! Wenn diese Annahme stimmt ist die Verwirklichung der Abstimmung politisch genauso falsch wie ihre Unterlassung. Erst recht, wenn sich die Spaltung des Landes als Konsequenz herausstellt. Die Spaltung sollte erst überwunden werden, ehe überhaupt etwas geschieht, wenn man Unruhen vermeiden will.

Was würde ein Mediator in solch einer Situation unternehmen?

Politiker neigen dazu, Verantwortung abzuschieben und Schuldige – vornehmlich im gegnerischen Lager – zu finden. Für einen mediativ denkenden Menschen wären diese Fragen zumindest in diesem Stadium des Verfahrens nicht zielführend. Er würde sich überlegen, wie und worüber ein Konsens herzustellen ist. Das dazu passende Spiel, das die Probleme überwinden kann, beherrscht er in der Perfektion. Es lautet: „Wir suchen gemeinsam eine Lösung, die alle Aspekte in Betracht zieht, bei der niemand zu Schaden kommt und mit der alle zu Recht kommen“. Das Mittel heisst Verstehen! Der Sinn des Spiels besteht darin, keine Entscheidung zu treffen, bevor man nicht verstanden hat was es zu erreichen gilt.

Könnte der Mediator die Betroffenen davon überzeugen, sich auf ein derartiges Suchspiel einzulassen, wäre das Spiel ergebnisoffen. Es mag auch die Rücknahme des BREXIT oder ganz andere Lösungen erzielen, an die im Moment noch niemand denkt. Auch würde sich der Kreis der Spieler verändern. Die beabsichtigte Wirkung wäre der Konsens. Die Belohnung wären Schnelligkeit, Sicherheit, Nachhaltigkeit, Eigenständigkeit und Planbarkeit. Konsens statt Kompromiss. Es wäre ein Ergebnis, das die Politik – zumindest mit den aktuellen Strategien – nicht liefern kann, aber auch ein solches, das den Ausweg aus dem demokratischen Dilemma beschreibt. Das Dilemma besteht darin, dass sich – egal wie die Entscheidung ausfällt – bei der politischen Lösung eine Seite verraten fühlen wird, während die andere Seite zum Verräter wird. Die Politik wird das Volk dafür verantwortlich machen. Das Volk wird die Politik verantwortlich machen. Bei einem Konsens könnte sich niemand der Verantwortung entziehen.

Wie löst die Mediation das BREXIT Problem?

In der Sprache der Mediation sind REMAIN oder LEAVE Lösungen, die sich zu teilweise fanatischen (nicht sachlich hergeleiteten) Positionen verdichtet haben. Auffällig bei den Kampagnen war, dass die eine Seite eher emotional, die andere eher rational argumentiert hat. Polemisch waren beide Seiten. Die emotionale Seite hat sich anscheinend durchgesetzt.

Die zum Verlassen führenden Emotionen verweisen auf ein Defizit. Wer hat sich die Mühe gemacht, dieses Defizit in ein Thema umzuwandeln und auf einen Nutzen zu beziehen? Die Frageformel hätte dann nicht BREXIT, sondern NUTZEN gelautet. Die Diskussionen gingen heute nicht darum, wie man „Fliehkräfte“ vermeidet, sondern wie man Bedürfnisse befriedigt. Diese Option stand nicht zur Disposition. Die Briten haben zwischen Pest und Cholera gewählt. Genau das, was die EU jetzt macht. Sie wählt ab anstatt einzubeziehen.

Wie wäre es wenn der Nutzen zur Wahl gestanden hätte?

Die Mediation dekliniert sich in gedanklichen Schritten, die durchaus auch außerhalb einer Mediation zum Tragen kommen und nicht einmal von einem designierten Mediator abgerufen werden müssen. So wenigstens das Credo der integrierten Mediation. Ihre Herangehensweise wäre zunächst, den gesunden Zustand (die „heile Welt“) zu definieren, der sich im maximal zu erzielenden Nutzen ausdrückt. Daran hapert es, nicht nur in BR, sondern EU-weit. Die Bürger spüren die Last der EU. Ihr Nutzen erschließt sich nicht. Würde nach dem gesunden Zustand Großbritanniens oder der EU gefragt werden, geraten die Bedürfnisse aller in den Vordergrund. Die Frage, wie sich die EU attraktiv machen kann, wäre inzident beantwortet. Frieden, Wohlstand, Autonomie, Freiheit, Sicherheit, Verlässlichkeit, … , Identität.

Die EU ist schlau genug, die ganze Risikolast der Entscheidung den Briten aufzubürden. Erst soll die Austrittsentscheidung vorgelegt werden, dann wird über Konsequenzen verhandelt: „Draußen ist draußen“.

Mediation? Dafür ist kein Raum; nicht solange Poker gespielt wird. Was wäre aber, wenn Politiker denken wie beschrieben. Wenn Frau Merkel verlangt, dass nicht die Verhandlung über den Austritt zurückgestellt wird, sondern die Verhandlungen sofort aufgenommen werden, mit offenem Ausgang; der möglichen Rücknahme des BREXIT wie der Neuorientierung der EU. Das wäre ein mediativer Vorstoß. Er zwingt in das einzig richtige Verfahren hinein, wenn es darum geht, Schaden von allen abzuwenden und eine geschickte Lösung zu finden. Diesem Verhandlungs-, nicht dem Entscheidungsdruck, könnten sich die Politiker ohne weiteres ergeben, ohne ein Gesicht zu verlieren. Er verspricht das einzig vernünftige Ergebnis und schließt ein anschließendes Pokern im Falle des Scheiterns nicht aus. Pokern kann man danach ja immer noch – wenn es denn unbedingt sein muss.

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