Ein Reisebericht

Der Titel „Nur-Sultan und die Mediation“ weist auf das Thema meines Einsatzes in Kasachstan hin. Er hat Eindrücke hinterlassen, über die sich zu berichten lohnt. Wenn ein Mediator in Sachen Mediation unterwegs ist, konzentriert sich der Fokus auf Phänomene, die dem normalen Touristen oft verborgen bleiben. Mein Auftrag war, ein Mediationsseminar für Richter in Nur-Sultan, der Hauptstadt von Kasachstan durchzuführen.

Die Anreise

Bei einer solchen Geschäftsreise sieht man zunächst nicht viel vom Land. Der Flieger kommt um 6 Uhr morgens an. Um 9 Uhr beginnt das Seminar. In Deutschland wäre das noch mitten in der Nacht (5 Uhr morgens).

Natürlich gelingt es nicht, in dem fünfeinhalbstündigen Direktflug von Frankfurt nach Nur-Sultan zu schlafen. Arbeiten geht in der Economy class auch nur bedingt. Die Boardvideos sind nur auf kasachisch, russisch und englisch. Also döst man vor sich hin und überlegt, wie man den Mediatoren im Seminar etwas Neues anbieten kann. So wie es angekündigt war, handelte es sich bei den Teilnehmern um bereits zertifizierte, also voll ausgebildete Mediatoren.

Vor Ort

Am Flughafen wurde ich abgeholt. Es war gerade genug Zeit, um im Hotel einzuchecken. Das Hotel war total ok und von guter Qualität. Das ist nicht selbstverständlich. Zumal, wenn der Auftraggeber das Hotel wählt und gerne andere Anforderungen stellt als der Experte. ´

Das Hotel war recht weit vom Verantstaltungsort entfernt. Immerhin war es schon hell und ich konnte einen ersten Eindruck von der Stadt gewinnen, als das Taxi durch die überfüllten, breiten Straßen von einem Ende der Stadt zum anderen fuhr.

Ich war noch nie in Nur-Sultan, wohl schon in Astana, was eigentlich dasselbe sein sollte. Die Stadt hat sich umgetauft. Und nicht nur das. Was ich vorfand war ein völlig anderer Eindruck als mir vom letzten Besuch in Astana in Erinnerung geblieben war. Mein letzter Besuch lag allerdings schon lange zurück.

Über den neuen Namen der Stadt stolpert man nicht nur als Deutscher. Auch die Kasachen bekundeten, dass sie sich an den Namen noch gewöhnen müssen. Nur-Sultan, was ist das für ein Name? Wenn man nicht weiß, dass der Name der Stadt zu Ehren des Präsidenten Nursultan Nasarbajew gewählt wurde und fragt, was Nur bedeutet, das ja durch einen Bindestrich herausgestellt wird, lautet die Antwort: Sonnenstrahl. Sie macht vielleicht deutlich, was gemeint ist und warum sich die Stadt umgetauft hat. Zumindest die Teile der Stadt, in denen ich mich bewegte, sind ganz neu entstanden. Vor noch 10 Jahren, so wurde mir erklärt, sei das alles noch eine Steppe gewesen.

Der neue alte Geist

Die Stadt hat ihr Zentrum verschoben und sich völlig neu erfunden. Es gibt viele originelle Gebäude, viele Hochhäuser. Keines ist einfach rechteckig mit einem Flachdach darauf. Ein Architekt wird begeistert sein, wenn er die Komposition von Form, Farbe und Licht erlebt, wodurch die Stadt (soweit ich sie erleben konnte) ihren Charakter erhält.

Kaum zu glauben, dass in der Geschwindigkeit ihrer Neuentstehung keine funktionalen Schnellbauten, sondern aufwänig konstruierte Gebäude beeindrucken, die alles andere als billig und improvisiert wirken. Querlinien und Rundungen prägen das Bild. Dahinter steckt ein Plan. Vielfalt auch ein Thema, in dem sich die Mediation wiederfinden lässt.

Es ist deshalb nur konsequent, wenn man trotz des islamischen Namens der Stadt (Sultan) auch eine christliche Kirche, eine orthodoxe Kirche und Moscheen vorfindet. Alles ist frei zugänglich. Das einzige Gebäude das ich mit einem massiven Schutzzaun umgeben sah, war die amerikanische Botschaft. Die alten, etwas aufgehübschten russischen Plattenbauten gibt es natürlich auch. Sie störten das moderne Bild der Stadt jedoch nicht und belegen ihre Vielfalt.

Die Schlichtungstradition

An der Schlichtungsstelle angekommen, in der das Seminar stafffinden sollte, begrüßte mich das Bild eines Reliefs der drei Bies Aiteke Bi, Tole Bi und Quazibek Bi. Mir wurde erklärt, das seien alte Weise, die früher so etwas wie Schlichtung betrieben hätten und in der Bevölkerung hoch geachtet waren. Früher, so habe ich später herausgefunden, war die Zeit vom 15. bis zum 18. Jahrhundert in christlicher Zeitrechnung.

Mit dem Schlichtungszentrum wolle man an die Geschichte anknüpfen und wieder einen Rat der Bies etablieren, wurde mir erläutert. Ich fand es sehr spannend, dass man versucht, die Mediation an bestehenden Traditionen anzuknüpfen. Zumindest auf den ersten Blick. Erst nachdem ich mich näher dafür interessiert habe, stellte ich fest, dass die sogenannten Bies so eine Art Schiedsrichter waren (siehe https://e-history.kz), also nicht gerade das, was man heute unter Mediatoren versteht.

Die Teilnehmer

Nach meinem Eindruck war der Unterschied zwischen Schiedsgericht, Schlichtung und Mediation in der Vorstellung der Teilnehmer recht fließend. Ein Vergleich wurde als partizipatives Verhandeln beschrieben, bei dem der Richter nicht aktiv beteiligt ist. Eine Schlichtung sei die Vergleichsverhandlung mit Beteiligung eines Dritten. Die Mediation unterscheide sich dadurch, dass sie nicht an den Streitgegenstand gebunden sei.

Die Teilnehmer waren überwiegend Richter. Aber auch ein Arzt und ein Unternehmer zählten dazu. Entgegen der Ankündigung waren nicht alle ausgebildete Mediatoren. Das ist kein großes Problem, wenn es um die Mediation im Verständnis der integrierten Mediation geht. Die integrierte Mediation stellt eine erweiterte Perspektive über die Mediation zur Verfügung. Sie beruht auf der noch wenig bekannten kognitiven Mediationstheorie, die aus den Sphären der Integrierten Mediation entwickelt wurde. Deshalb ist es auch erfahrenen Mediatoren nicht langweilig, wenn sie an einem Grundlagenseminar teilnehmen und die Sicht auf dasselbe aus einer etwas anderen Perspektive erleben.

Gegenseitiges Lernen

Finanziell sind solche Experteneinsätze nicht wirklich interessant. Ihr Gewinn liegt in dem Erfahrungszuwachs. Der Vorteil für mich ist nicht nur zu lernen, wie andere Kulturen mit der Mediation umgehen, sondern auch zu sehen, wie unterschiedlich der Umgang mit der Mediation und das Verständnis von Mediation ist.

Das überwiegende Motiv der Teilnehmer war eine Vorbereitung für den professionellen Einsatz nach der Pensionierung. Viele nannten sich Richter a.D. obwohl sie noch gar nicht so alt aussahen. Die Vermeidung eines Gerichtsverfahrens war für alle ganz wichtig. Warum das so wichtig war wurde mir klar, als mir eine Teilnehmerin erklärte, dass sie nach dem sicher recht herausfordernden Seminar noch bis in die Nacht Fälle bearbeiten müsse.

Der Unterschied

Auffällig war, dass die Teilnehmer methodisch kaum unter den Verfahren differenzierten. Wie hier standen formale Unterscheidungskriterien im Vordergrund. Die Mediation, so wurde mir erläutert, erlaube es der dritten Person Einfluss zu nehmen und Empfehlungen auszusprechen. Das wäre in meinem Verständnis dann eine Schlichtung. Im Rollenspiel zeigte sich dann auch, wie sich die Einflussnahme auswirkt. Es wurde versucht, die Partei vom „guten Ergebnis“ zu überzeugen.

Das Konzept

Ja, man weiß einiges über die Mediation. Man kennt die Phasen und ein paar Regeln, nicht aber was sie bedeuten und warum sie so wichtig sind. Das ist allerdings auch ein Phänomen, das man in Deutschland beobachten kann. Ein Mediationsgesetz gäbe es seit 2006. Offenbar ist die Nachfrage nicht so wie gewünscht. Auch hier finden sich Parallelen. Deshalb überlegt man, die Mediation als verpflichtend einzuführen. Ich hatte den Eindruck, dass mein Widerstand gegen eine solche Idee nicht willkommen war.

Das meist gesagte Wort der Teilnehmer war Versöhnung. So wie es schien, betrachteten die Teilnehmer die Mediation als ein Versöhnungskonzept. Und tatsächlich versuchte eine Teilnehmerin im Rollenspiel ein Scheidungspaar von der Tragfähigkeit ihrer Beziehung zu überzeugen, obwohl diese Lösung weder gewollt war, noch in Betracht kam. Leider sind die Seminare zu kurz und die Sprachbarrieren zu hoch, um den dahinter verborgenen, konzeptuellen Fragen auf den Grund zu gehen. Wir haben aber weitergehenden Kontakt. Es gibt auch Anfragen anderer Verbände in Kasachstan über eine Kooperation mit der Integrierten Mediation.

Die Inhalte

Natürlich begann das Seminar mit einer Vorstellungsrunde und der Frage nach den Erwartungen der Teilnehmer. Wir mussten Schwerpunkte setzen und selektieren, weil die Fragen zu umfangreich waren, um sie systematisch in einem Kurzseminar aufzuarbeiten. Ich habe eine Systematik über die Verfahren und ihre Abgrenzung sowie über die Kategorisierung der Mediationsvarianten vorgestellt, was für viele völlig neu war. Die Erläuterung der Phasen und des inneren Zusammenhangs der Mediation stand im Vordergrund. Natürlich haben wir auch Rollenspiele durchgeführt. In einem so kurzen Training lassen sich Phänomene und Hintergründe aber nur andeuten.

Das Ergebnis

Die Rückmeldung lautete: „Sehr inspirierend“, „Wir haben neue Ideen und Erkenntnisse gewonnen und müssen darüber nachdenken“, „Wir haben von den Beispielen und Demonstrationen viel gelernt“. Die andere Art zu fragen war besonders aufgefallen. Dass die Frage nach dem Warum nicht zielführend ist, war für viele eine Überraschung.

Es ist ein Anfang. Wenn sich darüber die andere Art des Denkens der Mediation erschließt, hat sich die Veranstaltung gelohnt.

Die Abreise

Bei mir sind viele bleibende Eindrücke entstanden. Sie betreffen den Umgang mit der Mediation, Fragen der Implementierung, die Kultur und natürlich die Stadt, die den Sonnenstrahl in ihrem Namen trägt. Wie ich es schon in Kirgistan und anderen Stan-Ländern erlebt habe, ließen auch die Kasachen keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass sie ja von Nomaden abstammen. Vielleicht möchten Sie damit auf ihre Beweglichkeit hinweisen.

Beweglichkeit drückt sich auch in der neu entstehenden Stadt Nur-Sultan aus. Sie gibt der Tradition einen Raum, obwohl sie neu aufgebaut wird. Traditionelle Muster fügen sich in ein modernes, hoch funktionales Bild ein. Das hat mich tief beeindruckt. Man könnte darin eine Vermittlung zwischen alt und neu erkennen. Die Tradition wird aufgegriffen, nicht ersetzt. Den gleichen Ansatz verfolgt das Schlichtungszentrum. Wenn es den kasachischen Mediatoren gelingt, Tradition und Moderne auch auf die Mediation zu erstrecken, hat das Land sicher gute Chancen, die Mediation nach vorne zu bringen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich darauf hinweisen, dass der Reisebericht nur auf Eindrücken beruht, die leider nur eine selektive Wahrnehmung der Stadt und der Mediatoren erlaubt hat. Sie haben aber eine Motivation zurückgelassen, sich näher für die Entwicklung der Mediation in Kasachstan und das Land zu interessieren.