Hinter der Mediation muss sich doch etwas Magisches verbergen. Wie sonst löst sich das Problem im Verlauf des Verfahrens plötzlich wie von selbst, obwohl die Parteien zuvor selbst nach einer Beratung nicht in der Lage waren, es zu lösen und obwohl der Mediator weder eine Lösung vorgibt, noch darüber entscheidet? Auch seine Beratung ist eingeschränkt. Lösungsvorschläge kommen ihm erst gar nicht in den Sinn. Und trotzdem kennt jeder Mediator das Phänomen, dass die Lösung plötzlich wie reife Früchte von den Bäumen fällt. Und nicht nur das. Die Parteien kommen selbst darauf. Jeder ist überrascht. Ist es eine Magie, die den Parteien hilft, die Lösung selbst zu finden?

Zwischen Handwerk, Kunst und Magie

Es gibt ganz unterschiedliche Vorstellungen, was Mediation ist. Die begriffliche Nähe zur Meditation mag dazu beitragen, dass der Mediation oft ein esoterischer Ansatz unterstellt wird. Einige glauben, es sei nur ein freundlicher Smalltalk, der sich über die harten Fakten hinwegsetzt und nicht auf die Argumente eingeht. Andere unterstellen ihr wundersame Fähigkeiten, mit denen sich chancenlose Ansprüche durchsetzen lassen. Sie hoffen, dass die Mediation ihnen hilft, das Unmögliche zu erreichen.

Die Mediation ist weder das Eine, noch das Andere. Aber was sie genau? Ist es ein Wunder, wenn sie bewirkt, dass sich Eheleute in einer völlig zerrütteten Beziehung plötzlich wieder vereinen? Woran liegt es, wenn sich den Parteien plötzlich originelle und wirkungsvolle Lösungen erschließen, die niemand zuvor für möglich gehalten hat? Ist es Zufall oder ein Kalkül?

Das Phänomen, dass die Lösungen in der Mediation plötzlich wie reife Früchte von den Bäumen fallen, ist alles andere als ein Zufall. Es ist auch nichts Übernatürliches. Die Lösung ist nicht das Kalkül, wohl aber der Weg dorthin. Wenn man weiß, wie und warum es dazu kommt, lässt sich das Phänomen sogar reproduzieren, Das Wissen und die Fertigkeit, das in der Mediation immer wieder zu beobachtende Phänomen auszulösen, beschreibt ihren handwerklichen Aspekt. Er ist durchaus erlernbar. Die darüber hinausgehende Kunstfertigkeit stellt sich ein, wenn der Mediator die Fähigkeit zum mediativen Denken verinnerlicht hat. Damit wird die so oft herausgestellte Haltung des Mediators angesprochen. Wo also bleibt die Magie?

Die Magie beschreibt etwas Übernatürliches oder Unerklärliches. Die Mediation ist alles andere als übernatürlich. Auch ihre Wirkungen können ins Detail gehend erklärt werden, wenn man genauer hinschaut. Genau deshalb gibt es ein magisches Moment. Wie bei einem Illusionisten muss man genau hinschauen können, um den Trick zu durchschauen. Aber wer will das schon? Die Verblüffung bleibt, aber die Magie geht verloren

Die Kognition ist der Schlüssel

Die integrierte Mediation hat sich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, was Mediation ist, wo sie anfängt und wo ein mediatives Handeln aufhört. Sie hat sich von dem juristischen Verfahrensbegriff gelöst und stellt den kognitiven Prozess in den Vordergrund. Es kommt darauf an, dass die Parteien Erkenntnisgewinne erzielen, wenn sie die Lösung finden sollen. Der Mediator weiß, wie er es ihnen möglich macht. Die Kognition liefert den Erklärungsansatz. Sie befasst sich mit der Aufnahme, der Verarbeitung und der Weitergabe von Informationen. Sie umfasst also die Wahrnehmung, die Kommunikation, die Emotion, die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis, die Assoziationsfähigkeit, die Volition und das Denken. All das wird benötigt, um einen Konflikt aufzulösen.

Die der integrierten Mediation zugrunde gelegte, kognitive Mediationstheorie beschreibt, wie der zur Lösung führende Erkenntnisprozess in den Köpfen der Parteien jenseits des Streites und trotz des Konfliktes zustande kommt. Ihre wichtigsten Kennzeichen sind der Umgang mit der Komplexität, die Optimierung des umfassenden Verstehens und die nutzenorientierte Ausrichtung des Denkens. Ihre Strategie besteht darin, die Denkhindernisse aus dem Weg zu räumen, um ein offenes Denken zu erlauben.

Die Denkweise der Mediation beschreibt ein anderes, ungewohntes Denken. Illusionen spielen dabei durchaus eine Rolle. Sie erlauben es, den Entscheidungsprozess rückwärts abzuwickeln. Für den, der nicht genau hinschaut, ist die Nähe zur Magie deshalb gar nicht so abwegig. Auch ein Illusionist lenkt die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf einen Punkt, der vom eigentlichen Geschehen ablenkt. Die Mediation bedient einen ähnlichen Mechanismus. Sie lenkt die Gedanken auf einen Punkt, der hinter dem Problem liegt. Er führt aus dem Problem heraus, um es lösen zu können.

Der mediative Gedankengang

Die scheinbare Paradoxie, nicht an das Problem zu denken, um es zu lösen, lässt sich wissenschaftlich erklären. Die Erklärung ergibt sich aus dem Verständnis der Kognition. Die aus der integrierten Mediation entstandene kognitive Mediationstheorie beschreibt den dafür notwendigen Gedankengang. Es ist ein außerordentlich komplexer Prozess. Er kann eher mit einem Puzzle verglichen werden, bei dem verschiedene Denkweisen zusammengeführt werden, als mit dem so oft zitierten Orangenbeispiel.

Das faszinierende an der mediativen Art des Denkens ist ihre Fähigkeit, die zur Lösung führenden Hindernisse vollumfänglich zu erkennen, auszuräumen oder zu umgehen. Sie beschreibt einen Gedankengang, der die Parteien aus dem kontroversen Denken herausführt, der sich auf alle Aspekte der Komplexität erstreckt und den Fokus nicht in, sondern hinter das Problem führt, sodass der Nutzen und nicht die Lösung in den Vordergrund des Denkens gerät.

Die kognitive Mediationstheorie belegt, dass sich eine konstruktive Lösung besser finden lässt, wenn sich die Parteien gedanklich aus dem Problem lösen und sich eine konfliktbefreite Zukunft vorstellen. Auch wenn die Parteien in diesem Gedankenschritt viele Gemeinsamkeiten entdecken, ist der Gedankenschritt durchaus illusionär. Die Fiktion ist den Parteien nicht immer bewusst. Sie ist jedoch erforderlich, um einen Maßstab zu finden, an dem eine problembefreite Lösung auszurichten ist. Eine Lösung, die sich an den Maßstäben des Problems orientiert, wird das Problem auf die eine oder andere Weise stets in sich aufnehmen, wenn es überhaupt in der Lage ist, das Problem zu überwinden.

Die Vision der integrierten Mediation

Die Magie der Mediation findet sich, wenn überhaupt, in den Menschen wieder. Sie verbirgt sich in der Fähigkeit zu verstehen und in der Bereitschaft, sich auseinanderzusetzen. Nicht umsonst wird das Verstehen im Deutschen nicht nur als das inhaltliche Begreifen, sondern auch als das gute Auskommen miteinander verstanden. Die integrierte Mediation geht davon aus, dass die Mediation den Weg in das Verstehen ermöglicht und erleichtert, denn: So verstehen wir uns.

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Titelbild von Tumisu auf Pixabay