amin talabGerade auch im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen rund um Syrien und dem nahen Osten werden wir mit Fragen über die internationalen Geschehnisse und Caveats bei Verhandlungen im interkulturellen Kontext überschüttet.

Folgendes Interview aus der Kriminalpolizei gibt Antworten zu diesem komplexen Thema:

Kriminalpolizei: Worin liegt der Unterschied zwischen Verhandlungen in der Wirtschaft und Geiselverhandlungen der Polizei – ist es der Umstand, dass die Polizei weniger Zeit hat, sich auf einen Verhandlungspartner vorzubereiten?

Dr. Stefan Amin Talab: Das muss nicht der Fall sein. Kürzlich hat die Polizei in Australien einen Mann nach gründlicher Vorbereitung überwältigt. Der Täter war stadtbekannt und hat in einem Supermarkt Geiseln genommen. Die Polizei hat gewusst, der Mann lässt sich nicht durch Verhandlungen von seinem emotionalen Zustand runterbringen. Er reagiert nur auf einen massiven Polizeieinsatz. Die Polizei hat also einen völlig überzogenen Einsatz inszeniert – hat ihn mit einer Hundertschaft schwarz maskierter Polizisten eingekesselt, Hubschrauber sind gekreist, über Megaphon ist dem Mann die Ausweglosigkeit seiner Situation klargemacht geworden. Daraufhin hat er sich ergeben.

In diesem Fall hat die Polizei also eine wesentliche Information gehabt und genutzt, sich darauf eingestellt und genau richtig gehandelt.

Ein wesentlicher Unterschied – und zwar in seiner Auswirkung auf die Verhandlungen – ist, dass die Polizei immer unter den Augen der Öffentlichkeit steht und genau beobachtet wird. Das hebt den Schwierigkeitsgrad. Wenn sich ein Unternehmensvertreter in Verkaufsverhandlungen ungeschickt verhält, bekommt davon die Öffentlichkeit nichts mit – schon gar nicht während der Verhandlungen. Die Polizei hat schon während der Verhandlungen Publikum.

Wenn zum Beispiel der überzogene Polizeieinsatz in Australien nicht begleitend erklärt wird, bekommt die Polizei ein massives Problem.

Kriminalpolizei: Was schätzen sie als das Schwierigste an Geiselverhandlungen ein?

Talab: Das Unvorhersehbare. Es sind immer Situationen, die kein Standardrezept zulassen. Daher ist es wichtig für die Polizei, dass ihr der nötige Freiraum eingeräumt wird und dass man sich auf sie verlässt.

Kriminalpolizei: Was sind ihrer Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften, die ein Verhandler braucht?

Talab: Josh Weiss, ein Verhandlungsausbildner der New Yorker Polizei hat es einmal treffend formuliert: Bei der Auswahl seiner Mitarbeiter hat er betont nicht darauf geschaut, ob jemand reden kann – er hat besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass jemand zuhören kann. Das ist wahrscheinlich das Wichtigste: zuhören und sich auf sein Gegenüber einstellen, seine Ängste und Zwänge erkennen und wissen, wie es denkt und möglicherweise handelt.

Das Zweite ist: Verhandler sind keine einsamen Einzelkämpfer, sie sind unbedingt Teamplayer. Das hängt mit dem ersten Punkt zusammen. Wer ein Einzelkämpfer ist, kann sich kaum auf andere einstellen. Ein Teamplayer muss zuhören können. Da darf es den Verhandlungsleiter zum Beispiel nicht stören, wenn er einem Mitarbeiter einen Kaffee bringt, weil er gerade beschäftigt ist.

Kriminalpolizei: Könnte Ihrer Meinung nach ein Österreicher ohne Bezug zur palästinensischen Welt mit einem palästinensischen Terroristen verhandeln?

Talab: Niemals. Ich bin selbst halb Syrer halb Österreicher und kenne daher die Unterschiede im Denken. Es hätte zum Beispiel keinen Sinn, eine Polizistin mit einem palästinensischen Terroristen verhandeln zu lassen.

Das ist schon allein auf Grund der unterschiedlichen Sprache nicht möglich.

In dem amerikanischen Film „Verhandlungssache“ geht es um einen Kriminalfall mit einer Verhandlungssituation. In einer Szene sagt einer der Protagonisten in der deutschen Übersetzung: „Sie müssen mir jetzt zuhören.“ Im Deutschen bedeutet das, „Sie haben mir nicht zugehört.“

Ich habe mir die DVD an dieser Stelle auch in der englischen Fassung angesehen, und dort heißt es: „I need you listening to me.“ Das ist viel weicher als „Sie müssen mir zuhören.“

Aus der Schule wissen wir, wörtliche Übersetzungen – egal in welche Sprache – gehen meistens schief. In einer emotional angespannten Situation, wie es eine Geiselverhandlung ist, kann das tödlich enden.

Kriminalpolizei: Was würden Sie der Polizei in einem solchen Fall raten?

Talab: Sie sollte in Geiselverhandlungen mit Menschen aus anderen Kulturen unbedingt jemanden einsetzen, der aus demselben Kulturkreis kommt oder zumindest sehr lange darin gelebt hat.

Als jemand, der halbsyrischer Herkunft ist, weiß ich zum Beispiel, dass ich jemanden aus diesem Kulturkreis emotional ansprechen kann, indem ich ihn auf seinen Vater anspreche. Ein österreichischer Geiselnehmer würde sagen, es ist mir völlig egal, was mein Vater von mir denkt. Für einen Syrer hätte das eine ganz andere Tragweite, weil ein Vater einen ganz anderen Stellenwert hat.

Kriminalpolizei: Sie schreiben in Ihrem Buch, Verhandler sollten sich stets alternative Ausgänge überlegen. Welche Alternativen hat die Polizei – außer die bedingungslose Aufgabe eines Geiselnehmers?

Talab: Am Ende hat sie keine Alternative – aber am Weg zum Ziel gibt es immer eine ganze Reihe von Weggabelungen. Man kann zum Beispiel versuchen, erst Kranke oder alte Menschen freizubekommen. Man kann möglicherweise auch vom Strafmaß her etwas anbieten – als Entgegenkommen in den Verhandlungen.

Kriminalpolizei: Gibt es „Verhandlungstricks“, die auch die Polizei anwenden könnte?

Talab: Natürlich gibt es sie. Aber sie sind nicht so plakativ, wie es sich viele wünschen würden; und sie sind immer situationsabhängig. Denken Sie an den Fall in Australien: Ein anderer Geiselnehmer hätte vielleicht begonnen, Geiseln zu erschießen, wenn die Polizei mit einem solchen Aufgebot aufmarschiert wäre.

Es ist wie beim Laufen: Man kann grundsätzlich empfehlen, bei einem Marathon tief zu atmen. Das muss aber nicht für den Zielsprint oder für ein Überholmanöver gelten. Genauso kann man für Verhandlungen grundsätzlich empfehlen, Vertrauen aufzubauen. Das muss aber nicht für jeden Verhandler gelten. Für einen bestimmten Typen kann es richtiger sein, sich klar als Staatsmacht zu positionieren.

Artikelursprung: www.comeon.at