Angeblich sind alles echte Fälle und wahre Begebenheiten. In diesem Jahr stehen die beiden Weihnachtsmediatoren wieder vor einer neuen Herausforderung. Sie müssen sich mit Knecht Ruprecht auseinandersetzen und einem Problem, das sie selbst betrifft. Der Leser mag entscheiden, ob und wo er die Mediation und die Mediationslandschaft in der Geschichte von Knecht Ruprecht wiederfindet. Die Fußnotenverweise helfen ihm dabei. Natürlich meistern Medi & Ator auch diesen Fall auf ihre eigene, wundersame Art und Weise.

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Knecht Ruprecht

Medi & Ator saßen gedankenverloren am Frühstückstisch. Woran denkt ein Weihnachtsmediator an einem vorweihnachtlichen Wintermorgen wohl? Natürlich drehten sich ihre Gedanken um Weihnachten, die Menschen und die Mediation. Ist es dann nicht naheliegend, dass Medi eine Idee ansprach, mit der sie die Weihnachtsmediation nach vorne bringen will?

„Es gibt doch viel Streit an Weihnachten“, sagte sie zu Ator, „nicht wahr?“. Ator schlug gerade sein Frühstücksei auf. „Ja“, antwortete er, „Davon leben wir“. „Es wäre doch gut, wenn die Menschen besser auf Weihnachten vorbereitet werden und so eine Art Weihnachtsführerschein machen könnten. Dann wissen sie, wie mit dem Streit umzugehen ist. Und wenn sie die Idee der Mediation verstehen, dann müssen sie vielleicht gar nicht mehr streiten“. Ator blieb fast das Ei im Halse stecken. Den Gedanken musste er erst einmal verdauen. „So weit käme das noch!“, plusterte es aus ihm heraus. „Hast Du vergessen, dass wir mit den Streitereien an Weihnachten unseren Lebensunterhalt verdienen? Klar könnten wir eine Ausbildung anbieten. Das klingt wie eine gute Idee“. Ator beruhigte sich etwas und fing schon an zu kalkulieren. Zugleich betonte er: „Aber Fälle entstehen daraus nicht! Die würden wir dadurch eher verhindern. Darüber musst Du Dir im Klaren sein. Viel besser wäre es doch, eine Pflicht zur Durchführung der Weihnachtsmediation einzuführen, sobald an Weihnachten ein Streit aufkommt. So können wir beweisen, wie sehr wir uns engagieren und dass wir etwas für die Menschen und für Weihnachten tun. Immerhin haben wir ja auch durchgehend geöffnet“. Ator war stolz darauf, den Menschen auf seine Weise helfen zu können. „Weihnachten ist das Fest der Liebe“, warf Medi ein. „Liebe“, höhnte Ator. „Wer sich liebt, der streitet“, behauptete er dann. Er fand die Binsenweisheit schlagend und hielt sich für einen Moment für deren Erfinder. „Was weißt DU schon von Liebe!“, antwortete Medi. Ihr Einwand war nicht als Frage gemeint. Sie wartete deshalb auch keine Antwort ab und verdeutlichte ihren Gedanken: „Nach einem Weihnachtsführerschein wüssten die Menschen nicht nur wie sie Streit vermeiden, sie wüssten auch genau was Mediation ist und wofür Weihnachten steht. Sie würden lernen, dass Mediation auch hilft, Konflikte zu vermeiden. Auch wüssten sie, wann und warum sie erforderlichenfalls eine professionelle Mediation in Anspruch nehmen sollten“. „Das erfahren die auch beim Abschluss des Mediationsvertrages“, antwortete Ator barsch. „Du erinnerst Dich an Phase eins?“.

Ator macht sich so viele Gedanken, wie er die Mediation nach vorne bringen kann. Er fühlte sich durch Medis Argumentation nicht gerade in seinem Engagement bestätigt. Immerhin ist die Weihnachtsmediation ihr gemeinsames Business. Die Investitionen müssen sich doch irgendwie amortisieren. Aus seiner Sicht waren Medis Gedanken zur Weltverbesserung eher abwegig und bei genauer Betrachtung sogar geschäftsschädigend. Damit wollte er sich erst gar nicht auseinandersetzen.

Zwischen Medi und Ator entstand trotzdem eine hitzige Diskussion. Sie reichte weit in den Tag hinein. Medi wollte gerade vorschlagen, den Streit abzubrechen. Sie wollte sich von der schlechten Stimmung befreien. Um ihre Beziehung nicht zu gefährden, hatten die beiden einmal vereinbart, einen Streit zu vertagen, sobald schlechte Gefühle aufkommen. Noch bevor sie Ator daran erinnern konnte, kam er ihr zuvor: „Hast Du eigentlich an unseren Termin gedacht?“.

„Upps, so einfach gelingt es ihm, meine Intervention zu vereiteln“, dachte Medi bei sich. Aber der Termin geht vor, keine Frage. Medi erinnerte sich, dass Ator sie vorgewarnt hatte: „Krieg keinen Schreck, wenn Du Knecht Ruprecht siehst. Das ist einer der Medianden“. Ator erwähnte auch, dass er lange mit der Gegenpartei, Dr. Niko Laus, gesprochen habe. „Du erinnerst Dich an ihn?“, fragte er Medi. Natürlich erinnerte sie sich. Sie hatten sich auf einer Weihnachtskonferenz vor zwei Jahren kennengelernt. Medi sah in ihm einen perfekten Mediator. „Und der hat Streit mit seinem Mitarbeiter?“, wunderte sie sich. Ator erläuterte, dass er Dr. Laus zufällig getroffen habe. Der Nikolaus habe ihm seine missliche Lage lange und breit auseinandergesetzt und beschrieben, mit wem wir es zu tun bekämen. Er habe auch gesagt, dass er den Fall nicht mediieren könne, weil er ja selbst beteiligt sei. Deshalb habe er die Mediation uns auch gleich in Auftrag gegeben. Medi wollte nicht wieder die Frage aufwerfen, ob lange und breite Vorgespräche ethisch vertretbar seien, ob sie die Neutralität beeinflussen und ohne Zustimmung des Gegners überhaupt als Einzelgespräch zulässig wären. Jetzt kommt zu dem Dauerthema auch noch hinzu, dass sie eine der Parteien persönlich kennen und dass Ator die Mediation angenommen hat, ohne sie oder den Gegner zu fragen. Ja, sie hatten schon oft über solche Fragen diskutiert. Die Antwort wurde aber stets im Interesse der Mediation aufgeschoben. Auch für Medi & Ator war es nicht leicht, an Fälle zu kommen. Deshalb führten sie den ungeschriebenen Grundsatz in dubio pro mediatio ein. Natürlich war Medi nicht parteiisch, auch wenn sie große Stücke auf den Nikolaus hielt. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie Herrn Ruprecht nach Ators Vorwarnung mit äußerst gemischten Gefühlen erwartete. Sie erkannte in dem Eingeständnis ihre Professionalität.

Ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich, als der an die Phasen erinnernde 5-fach-Gong ertönte. Herr Ruprecht kam als Erster. Sie sah einen kleinen Mann mit einem übergroßen Hut und einem griesgrämigen Gesichtsausdruck. Sack und Rute hatte er nicht dabei. Dafür aber hielt er einen Zettel in der Hand. Irgendwie fühlte sich Medi an Ebenezer Scrooge erinnert. Kaum hatte der merkwürdige kleine Mann Medi mit einem herablassenden „Hallo“ gegrüßt, drückte er ihr auch schon das Papier in die Hand. „Das wollen Sie bestimmt haben“, raunte er. „Deshalb bin ich ja wohl hier“, fuhr er fort. „Der Laus weiß nichts von meinem schweren Job. Statt mich zu unterstützen, schlägt er sich auf die Seite der Kinder. Das ist geschäftsschädigend und nicht gut für die Weihnacht. Belehren Sie ihn bitte eines Besseren!“. Medi zog es vor, die im Befehlston geäußerte Bitte zu überhören. Das muss man nicht zwischen Tür und Angel erörtern, dachte sie bei sich. Ganz abgesehen davon fand sie die Warnung Ators bestätigt. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem Papier um den Katalog 10 Forderungen zur Förderung der Weihnacht handelte.

„Guten Tag, Sie sind Herr Ruprecht?“, begrüßte Medi ihren Gast unbeirrt. „Wer denn sonst?“, antwortete Ruprecht genervt. „Laus hat mich hierhin befohlen!“. Das Wort Freiwilligkeit schoss Medi durch den Kopf. „Hier läuft wohl alles schief“, dachte sie bei sich. Sie erinnerte sich, wie eine Forschung vor zwei Jahren herausgearbeitet hatte, dass die meisten Mediationen nicht klassisch abliefen. Mit diesem Gedanken tröstete sie sich, als sie sich auch diesmal in dubio pro mediatio entschied. „Kommen Sie doch erst mal herein“, sagte die erfahrene Mediatorin ihrem neuen Medianden.

Im Mediationszimmer angekommen, wurde Herr Ruprecht von Ator mit einem festen Händedruck begrüßt. Das hatte Ator so einstudiert. Auch hatte er gelernt, dass er seinem Gegenüber auf den Mund schauen solle. So ließe sich die Dominanzfrage gleich zu Beginn klären. Medi bemerkte nichts von diesen Tricks. Möglicherweise war Ator, der Möchtegernmenschenknacker, auch der Einzige, der dafür ein Bewusstsein hatte. Was Medi aber bemerkte war, dass die Chemie zwischen Ator und Knecht Ruprecht zu stimmen schien. Jedenfalls setze sich Herr Ruprecht bereitwillig auf den ihm zugewiesenen Stuhl und knallte eine weitere Kopie der 10 Forderungen zur Förderung der Weihnacht auf den Tisch. Die Schrift lag oben, sodass jeder in dem Raum unmittelbar mit den Forderungen konfrontiert wurde. Noch während Medi überlegte, warum es ausgerechnet 10 Forderungen sind und was das alles zu bedeuten hat, ertönte wieder der Gong. Ding, ding, ding, dong, ding. Medi eilte zur Tür. Sie wollte der Situation entfliehen und nicht mit Herrn Ruprecht allein im Mediationszimmer sein. Beim Herausgehen warf sie Ator einen auffordernden Blick zu.

Einige Augenblicke später erschien sie mit dem Nikolaus im Mediationszimmer. „Ihr kennt Euch ja“, bemerkte sie nur. Sie verzichtete darauf, Herrn Laus einen Platz zuzuweisen. War das die Stimme ihres Unterbewusstseins, die ihr sagte: „Am liebsten wäre mir, die wären gar nicht hier?“. Nein, sie wollte keinem der beiden gegenübersitzen. Dem einen nicht, weil er ihr sympathisch war, dem anderen nicht, weil er ihr unsympathisch war. Sie wählte deshalb für sich den Platz etwas im Abseits neben dem Flipchart. Zuvor versorgte sie die Anwesenden noch mit Getränken und Keksen. Nicht weil sie damit ihrer Rolle als Frau Ausdruck verleihen wollte. Wohl aber, weil sie sich so aus der als unangenehm empfundenen Situation noch ein paar Momente entziehen konnte.

Zum Glück spielte die Honorarfrage keine Rolle in diesem Fall. Sie wusste von Ator, dass Dr. Laus die Kosten übernimmt und den Mediationsvertrag auch schon unterzeichnet hat. Das klang wie eine ausweglose Situation. Offenbar nicht nur für Medi. Sie erinnerte sich an die ersten Worte von Herrn Ruprecht bei der Begrüßung. Es passte also zu ihren Gedanken, wenn sie in einem gespielt aufmunternden Ton in die Runde fragte: „Sind Sie freiwillig hier?“. „Das ist mein Chef“, erwiderte Herr Ruprecht in der bekannt herablassenden Art. Er zeigte mit dem aus der Faust ragenden Mittelfinger auf Dr. Laus, ohne ihn anzuschauen. „Wir haben ein paar Fragen, die wir einvernehmlich regeln wollen“, fuhr Dr. Laus beschwichtigend dazwischen. „DU willst das“, schrie Ruprecht gereizt. Jetzt sah er den Gegner an. Seine Aggression war deutlich zu spüren. „Du willst das doch AUCH“, versuchte Dr. Laus ihn zu beschwören.

„Das können wir ja mal so stehen lassen“, unterbrach der ebenso geschäftstüchtige wie routinierte Ator den zu erwartenden Streit. Wir wollen doch nichts riskieren, fügte Medi in Gedanken hinzu. Ohne eine Antwort abzuwarten, erklärte Ator die Mediation. Das kann er, ohne zwischendurch Luft zu holen, dachte Medi bei sich. Sie zog es aber vor, sich nicht einzumischen.

Medi wurde aus ihren sarkastischen Gedanken herausgerissen, als sie Ator fragen hörte: „Worum geht es denn genau? Was sind die Themen, über die wir reden sollten?“. „Das hier“, schrie Ruprecht dazwischen. „Da steht alles“. Er stich mehrmals mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf das vor ihm liegende Papier, so als wollte er es am Tisch festtackern. „Ich mache einen guten Job. Ich bin es, der den Sack mit den Geschenken schleppen muss“. Und die Kinder hineinsteckt, erinnerte sich Medi an den Einkehrbrauch und die allseits bekannte Rolle von Knecht Ruprecht, dem Beelzebub, an Weihnachten. Natürlich offenbarte sie auch diesmal ihre Gedanken nicht, obwohl sie den Eindruck bekräftigten, den sie von Knecht Ruprecht gewonnen hatte. Schlimm genug, dass ihr solche Assoziationen in den Sinn kommen, dachte sie bei sich. Sie wollte doch Vorurteile vermeiden. Dann wurde ihr aber bewusst, dass sie ja eine Fachmediatorin ist und als solche natürlich alle Weihnachtsbräuche kennen muss. Das war dann ok für sie.

„Ich habe ein Beelzebubzertifikat“, fuhr Ruprecht unaufgefordert fort. „Ich setze mich für die Weihnacht ein. Die Kinder wollen Geschenke, aber meine Rute ist unerwünscht, auch bei den Eltern. Die haben keine Achtung mehr vor Weihnachten. Disziplin und Erziehung sind für sie ein Fremdwort geworden. Auch Dr. Laus will das nicht wahrhaben. Er sagt zwar immer, dass wir mehr Weihnachten brauchen. Aber er steht nicht hinter mir und setzt sich auch nicht für die 10 Forderungen ein, die alle mit dem Beelzebubverband abgestimmt sind. Die würden schon dafür sorgen, dass Weihnachten besser zum Einsatz kommt. Die Forderungen habe ich auch schon dem Weihnachtskuratorium vorgetragen. Es ist alles auf dem Weg zur Rettung der Weihnacht!“.

Wow, jetzt mussten alle erst einmal schlucken. Nicht so Dr. Laus. Der sagte in einem überraschend ruhigen Ton: „Aber Knecht, das bringt doch nichts. Darüber haben wir schon so oft geredet. Dienen Deine Forderungen wirklich der Weihnacht? Und welchen Eindruck macht es, wenn Du als mein Begleiter Forderungen veröffentlichst, ohne dass wir uns darüber abgestimmt haben? Wirft das nicht ein schlechtes Licht auf die am Einvernehmen orientierte Weihnachtsidee? Deine Rute ist doch nicht mehr zeitgemäß. Wer entscheidet, heutzutage wann die Kinder böse sind und wie sie bestraft werden müssen? Du musst anfangen umzudenken!“. „DU hast mir gar nichts zu sagen“, erwiderte Knecht Ruprecht. Das entscheide ICH. Ich habe mehr als 3000 Follower. Wie viele hast Du?“

Während die beiden stritten, erinnerte sich Medi, was sie einmal gelernt hatte. Sie fragte sich also, wie die Konfliktanalyse aussieht. Ohne weiter darüber nachzudenken, wandte sie sich an die Parteien: „Sie arbeiten zusammen. Ist das korrekt?“. „Ja“, war die übereinstimmende Antwort, auch wenn die Frage irritierend wirkte. „Das ist doch wohl offensichtlich“, fügte Ruprecht in seiner bekannt überheblichen Art hinzu. „Offensichtlich ist, dass Sie in einem Beschäftigungsverhältnis stehen“, insistierte Medi. „Meine Frage war aber nicht darauf gerichtet, sondern darauf, ob sie zusammenarbeiten“. Ihre Betonung lag auf zusammen.

Offenbar konnte niemand mit der Frage etwas anfangen. War das logisch? Medi legte deshalb nach: „Sie verfolgen bei der Arbeit doch sicher ein Ziel. Ist das korrekt?“, „Ja klar“, antworteten Laus und Ruprecht wie aus einem Mund. „Welches Ziel ist das?“, fragte Medi. „Wir fördern die Weihnacht“, kam es wie aus einem Mund. „Weihnacht???“. Medi spielte verwundert, als wüsste sie nicht, was dieses merkwürdige Wort bedeuten könnte. Sie liebte die naiven Fragetechniken des Mediators und genoss die verstörten Gesichter der Medianden. Sie wartete genau drei Sekunden, bis sie fortfuhr: „Und was daran fördern Sie genau?“, fragte sie. Jetzt lag die Betonung auf dem Wort genau. Medi wollte herausfinden, ob die beiden das gleiche Ziel verfolgen. Förderung der Weihnacht kann alles und nichts bedeuten. „Ich muss die Weihnachtsgeschenke schleppen und die Kinder bestrafen, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Dann gibt’s was mit der Rute. Herr Laus ist sich ja zu fein dafür“, sagte Ruprecht. Medi hörte das Muss heraus. Es bezog sich auf die Weihnachtsgeschenke, nicht auf die Rute. „Ich bin mir nicht zu fein“, antwortete Laus ungefragt. „Es macht nur keinen Sinn, Kinder zu tadeln, wenn sie nicht an Weihnachten glauben. Und wenn sie nicht an den Nikolaus glauben, dann glauben sie auch nicht an Dich. Und wenn sie nicht an Dich glauben, verstehen sie die Rute nicht. Und wenn sie die Rute nicht verstehen, werden sie auch die Idee von Weihnachten missverstehen. Es ist ein Teufelskreis, der zur Spaltung führt, wenn sich die vermeintlich bösen Kinder in der Weihnacht nicht wiederfinden können“. „Deshalb muss es ein Weihnachtsgesetz geben!“, wies Ruprecht auf eine der 10 Forderungen seines Kataloges hin und fügte gleich eine weitere hinzu: „Wir müssen ein Beelzebubzertifikat einführen. Die Verwirrung kommt ja nur auf, weil jeder den Beelzebub machen kann. Du weißt ja gar nicht, was die selbsternannten Pseudo-Kollegen so alles treiben. Die machen doch alles falsch! Nicht einmal die Dienstbezeichnung ist einheitlich. Der eine nennt sich Ascheklas, der andere Krampus wieder einer nennt sich Pietermann, …. Und letztens soll einer sogar ein kleines Mädchen geschlagen haben, OHNE die Rute!“. Ruprecht wusste um die Wirkung dieser Behauptung. Unter den Profis blieb die Entrüstung allerdings aus. Ruprecht konnte seine Vorstellung von der Apokalypse aber noch weiter untermauern: „Viele nennen sich auch einfach Beelzebub, um den Geschenkeschrott loszuwerden, den sie im Laufe des Jahres nicht an den Mann bringen konnten. Denen geht es gar nicht um die Erziehung zum richtigen Glauben!“.

„Und Du meinst, die Kinder glauben wieder an den Weihnachtsmann, wenn sein Begleiter einen einheitlichen Namen hat und ein Zertifikat des Beelezubverbandes besitzt?“, fragte Laus herausfordernd. „Meinst Du nicht, dass sich das den Kindern von alleine erschließt, wenn sie sich daran erinnern, was Weihnachten bedeutet?“. Den Belznickelverband erwähnte er erst gar nicht, ebenso wenig wie den Rimpelklasverband oder die anderen Verbände. Auch wartete er keine Antwort ab. Stattdessen ergänzte er: „Ganz abgesehen davon, weiß ich selbst nicht genau, was ein Beelzebub richtig oder falsch macht. Von den Straftaten abgesehen, hat das bisher noch niemand festgelegt“, belehrte Dr. Laus die Anwesenden. „Das Beelzebubzertifikat, das Du Dir vorstellst, belegt lediglich eine Ausbildung. Sie besagt nichts über die Tätigkeit. Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, wem es mehr nutzt, den Kindern, der Weihnacht oder Deinem Verband? Zugegeben, es gibt erhebliche Abweichungen. In dem Punkt hast Du recht. Aber hast Du auch alle im Blick und bist Du sicher, dass Du der einzige bist, der weiß was richtig ist? Ist die Vielfalt nicht ein Merkmal der Weihnacht? Jede Kultur geht anders damit um. Nicht alle kennen den Beelzebub. Und ja, andere nennen ihn anders. Sollte man das nicht erst einmal auf einen Nenner bringen und verstehen?“. Ruprecht ließ sich vorsorglich gar nicht erst auf solche Gedanken ein: „Das ist doch Unsinn“, war sein überzeugendes Totschlagargument. „Man muss die Kinder eben zur Rute zwingen. Er war sich sicher, die Lösung aller Probleme zu kennen: „Geschenke gibt es nur, wenn die Kinder den zertifizierten Beelzebub reinlassen. So funktioniert das. Ist doch easy“, warf Ruprecht ein und fügte hinzu: „So sichern wir die Weihnachtsqualität. Und wenn wir die Weihnacht subventionieren, dann lernen die Kinder auch wie wichtig die Bestrafung ist“. Das war übrigens ein weiterer Punkt seines Forderungskataloges. „Zwang, Subvention, Forderung, Forderung und Forderung“, erwiderte Laus sichtlich erregt. „Mehr fällt Dir nicht ein? Dir geht es doch nur darum, die Konkurrenz loszuwerden. Ja, Forderungen aufzustellen ist easy. Aber wo findet sich in Deinen Forderungen die Idee von Weihnachten, dem Fest der Freude und Liebe wieder? Wo gehst Du auf die Bedürfnisse der Kinder ein?“. „Mir geht es um die Förderung der Weihnacht!“, wiederholte Ruprecht sein Narrativ, ohne sich auf die Frage von Dr. Laus weiter einzulassen. „Und dazu gehört die Rute!“, fügte er hinzu.

Medi profitierte von dem Disput, indem er ihr half, ihre Konfliktanalyse zu vervollständigen. Jetzt ging sie davon aus, dass Laus und Ruprecht einen strukturellen Konflikt haben, der sich in der unterschiedlichen Sicht auf das Verhältnis zueinander auswirkt, mithin in einem möglichen Beziehungskonflikt zum Ausdruck kommt. Sie vermutete, dass die beiden sich jeweils eine Rolle zuschreiben, bei der sie meinten, sich nicht abstimmen zu müssen. Dann gibt es noch einen möglichen Wertekonflikt, dachte sie bei sich. Ihr fiel auf, dass die Parteien zwar die ganze Zeit von Weihnachten reden und dass sie Weihnachten fördern wollen. Ihrer Wahrnehmung nach fördern sie aber nicht dasselbe und haben unterschiedliche Maßstäbe, die sich in unterschiedlichen Zielvorstellungen ausdrücken. Bei dem einen steht die Lösung im Vordergrund bei dem anderen die Idee. Medi erkennt auch einen Systemkonflikt. Es ist das ganze Paket in seiner gesamten Komplexität, wird ihr plötzlich klar. Schließlich bemerkt sie, dass die selektiven Argumente von Ruprecht und Laus weder den zu erwartenden Nutzen noch die Konsequenzen der Umsetzung bedachten. Das Chaospendel kam ihr in den Sinn.

„Was tun?“, fragte sie sich. Gerne hätte sie sich mit Ator abgestimmt. Sie wusste aber keinen Vorwand, die Sitzung zu unterbrechen. Der Kaffee war nicht leer und Kekse gab es auch noch genug. Da kam ihr die Idee, die Technik des Reflecting-Teams anzuwenden. Sie wandte sich also an Ator und fasste zusammen: „Ator, ich möchte gerne mal darüber nachdenken, was die beste Vorgehensweise ist in diesem Fall“. Medi wartete keine Antwort ab. Das war ihr zu gefährlich. Sie war sich nicht sicher, wie Ator auf diese nicht abgesprochene Intervention reagiert. Also fuhr sie ohne Pause fort: „Laus und Ruprecht sind gekommen, um ein Problem aus der Welt zu schaffen. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen von der Weihnacht und wie sie sich verwirklichen kann. Die Mediation sucht nach einer Lösung. Meinst Du, dass es den Parteien überhaupt bewusst ist, dass sie nach einer gemeinsamen Lösung suchen müssen?“.

Ator verstand, dass er das Ziel der Mediation nicht gut herausgearbeitet hatte. Dafür hatte er aber einen Grund. Er verstand auch, dass es Medi nicht darum ging, ihn vor den Medianden zu kritisieren oder ein Fachgespräch zu führen. Er ließ sich deshalb neugierig auf Medis Intervention ein. „Ich habe so meine Zweifel“, spielte er ihr zu. „Es gibt Forderungen und Erwartungen“, führte er weiter aus. „Was sie bezwecken sollen, ist mir nicht klar geworden. Darauf kommen wir aber ohnehin noch zu sprechen“. Medi antwortete immer noch an Ator gerichtet: „Ich sehe zwei Lager. Trotzdem behaupten beide, die Weihnacht zu fördern. Mein Verdacht ist aber, dass sie nicht dasselbe meinen, wenn sie vom Fördern sprechen. Siehst Du das auch so?“, fragte sie. „Was ich sehe, spielt keine Rolle“, antwortete Ator erwartungsgemäß, um sich dann an die Parteien zu wenden: „Wie sehen Sie das?“, fragte er die Medianden. „Natürlich will ich die Weihnacht fördern. Das geht aber doch nur, wenn die Bestrafung korrekt durchgeführt wird und ein Beelzebub dabei ist, der legitimiert ist, seine Rute sachgemäß zu benutzen. Wie sonst sollen die Kinder auf den rechten Weg gebracht werden? Da muss man eben etwas nachhelfen“, sagte Ruprecht. „Weihnachten ist eine Orientierung, keine Korrektur“, antwortete Dr. Laus. Sofort gerieten die beiden wieder in Streit.

„Was wäre das gemeinsame Ziel, das Sie verfolgen?“, fuhr Ator unbeirrt dazwischen. „Die Förderung der Weihnacht“, wiederholten beide übereinstimmend. Offenbar haben sie noch immer nicht verstanden, wo ihr eigentliches Problem liegt, erkannten die Mediatoren. „Na gut“, sagte Ator jetzt, ohne die Erkenntnis zurückzumelden. „Dann müssen wir nur noch rausfinden, was das ist, wozu das gut sein soll und wie das geht“. Medi war begeistert. Ator war jetzt im Rhythmus der Mediation. Sie erkannte das Window of opportunity für eine Klarstellung: „Wir sind hier, damit Sie eine Lösung finden, wie die Weihnacht gefördert werden kann. Die zu findende Lösung sollte also auf einem Weg liegen, den Sie beide beschreiten können. Davon kann ausgegangen werden, wenn Sie beide mit der zu findenden Lösung zufrieden sind. Ist es ok, wenn wir uns hier zunächst darauf konzentrieren?“. Medi zählte in Gedanken bis 25, natürlich von 20 aus, damit sich der Gedanke setzen konnte. Dann schrieb sie das am Nutzen ausgerichtete Suchziel im Einvernehmen mit den Parteien fest.

OK Phase eins ist jetzt mehr oder weniger komplett, dachte Medi. Phase zwei haben wir schon erledigt, weil die unterschiedlichen Positionen und die jeweiligen Argumente herausgearbeitet wurden. Dass die Argumente sie nicht überzeugten und dass Ruprechts Forderungen auf sie eher wie ein verzweifelter Aktionismus als eine reale Problemlösung wirkten, behielt sie für sich. Stattdessen hob sie hervor: „Ihnen beiden liegt die Weihnacht am Herzen“. Diese wertschätzende Rückmeldung kam ihr wirklich von Herzen. Das „so oder so“ (am Herzen) hatte sie weggelassen. Beide Seiten hatten zwar selektive aber durchaus ernstzunehmende Argumente. Die Motive waren noch nicht herausgearbeitet. Medi vermutete, dass es noch ganz persönliche Interessen gab, die sich hinter den Argumenten verbargen. Wie bei ihrem Disput am Frühstückstisch erkannte sie, dass es um die Diskrepanz zwischen dem ideellen und dem ökonomischen Hintergrund geht. Aus der Distanz betrachtet fiel ihr auf, dass Weihnachten auch ohne Rute gelebt werden kann und Beelzebub deshalb nicht arbeitslos werden muss. Statt der Bestrafung, die nach hinten blickt, könnte man auch wie in der Mediation motivierend nach vorne blicken. Medi war wieder in ihrem Element. Jetzt war sie lösungsoffen. Alle Bedenken, die sie zu Beginn hatte, waren wie verflogen. Sie rückte mit ihrem Stuhl näher an den Tisch und sagte: „Dann wollen wir mal die Kriterien festschreiben, an denen die Lösung nachher gemessen wird“. Jetzt war sie in Phase drei. Medi fühlte sich wohl bei dem Gedanken. Ator offenbar auch, denn er führte jetzt völlig korrekt in die Phase ein und bat die Parteien im Ping-pong die Sinnfrage zu beantworten: „Was bedeutet Weihnachten für mich?“.

„Blöde Frage“, sagte Ruprecht. Die Parteien waren gedanklich noch nicht so weit. Dr. Laus schien besser zu verstehen, worum es ging. Er antwortete deshalb als Erster: „Weihnachten ist das Fest der Freude und der Liebe. Das Fest des Einvernehmens. Wer an Weihnachten glaubt, der wird sogar den Knecht Ruprecht ins Haus lassen“. „Weihnachten ist ein Business“, fuhr Ruprecht dazwischen. „Wenn die Weihnachtsmänner alles richtig machen, dann kriegen die Kinder mehr Geschenke. Und mit den Geschenken kommt der Glaube“. Dr. Laus wiedersprach: „Du meinst wie bei Halloween, wo sich alle maskieren, ohne zu wissen warum“. Medi hatte noch einen Trumpf im Ärmel, um die Medianden aus dem Disput herauszuholen: „Was meinen Sie, würde die Weihnacht sagen, wenn sie wie eine Partei an unserem Tisch säße? Würde ihr gefallen, was sie zu sehen und zu hören bekommt und wie mit ihr umgegangen wird?“.

Plötzlich kam alles in Schwung. Die Weihnacht wurde symbolisch auf einen leeren Stuhl gesetzt. Die Parteien hatten sich darauf verständigt, dass der Stuhl zwischen ihnen aufgestellt werden solle, sodass die Weihnacht das vermittelnde Element in der Auseinandersetzung wird. Später kamen noch weitere leere Stühle hinzu. Auf einem saßen die Kinder. Jetzt konnten sich die Argumente in den Motiven verlieren.

Nachdem alle Interessen aufgedeckt, die Bedeutungen hinterfragt und hinreichende Kriterien für die Beurteilung des zu erzielenden Nutzens aus allen Perspektiven zusammengetragen wurden, stellte sich die Lösung auch schnell heraus. Die Parteien vereinbarten, dass erst einmal ein übereinstimmendes Bewusstsein für die Weihnachtsidee hergestellt werden müsse, das gleichförmig verstanden wird und an dem sich alle insbesondere die Weihnacht ausrichten. Der Beelzebub soll eine wichtige Rolle spielen. Er soll nicht bestrafen, sondern Fragen aufwerfen. Die Narrative ebenso wie das Verhalten sollen mit der Idee von Frieden und Einvernehmen im Einklang stehen. Ruprecht erkannte, dass seine Rolle nicht in Frage gestellt wurde. Sie muss nur neu ausgerichtet werden. Den Forderungskatalog hatte er längst zur Seite gelegt. Aus den Forderungen wurden Ideen die an der zuvor herausgearbeiteten Nutzenerwartung ausgerichtet wurden. Ruprecht begriff, dass der Zwang zur Weihnacht und die Ausbildung des Beelzebubs nur Randerscheinungen sein können, die für sich gesehen nicht geeignet sind, den Glauben an das Fest der Liebe zu stärken.

Dr. Laus und Ruprecht kamen überein, dass sie nur gemeinsam dazu beitragen können, Weihnachten zu fördern. Sie vereinbarten, in Zukunft nicht mehr gegeneinander zu arbeiten, sich über die gegnerische Position hinwegzusetzen oder sie gar zu ignorieren. Sie werden das Weihnachtskuratorium bitten, dabei behilflich zu sein, alle Weihnachtsmänner und Beelzebuben, die Kinder und alle die es angeht, an einen Tisch zu holen, um bereits bei deren Auseinandersetzungen die Weihnachtsidee zum Ausdruck zu bringen.

Medi & Ator beglückwünschten die Parteien zu der gefundenen Lösung und verabschiedeten sich. Wieder unter sich sagte Medi zu Ator: „Das hast Du gut gemacht. Ich fand toll, wie Du auf das Reflecting-Team reagiert hast. Das war ja nicht abgestimmt“.

„Du warst auch nicht schlecht“, sagte Ator. „Wir sind halt ein gutes Team. Erinnerst Du Dich an unseren Disput heute morgen?“, fügte er an. „Ist Dir etwas aufgefallen?“. Medi wusste genau worauf Ator anspielte. „Ja, das kann man wohl sagen“. Noch von dem Frühstücksei beeindruckt, das Ator fast im Halse stecken blieb, sagte sie: „Wir streiten über Henne und Ei und übersehen das Küken. Ich habe erkannt, dass sich alles zusammenfügen lässt, sobald wir uns über den gemeinsamen Nutzen einig werden. Der monetäre Aspekt ist dann nur noch einer von vielen und alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Wenn wir so vorgehen, profitieren alle davon. Eigentlich hätten wir, als die angesagten Weihnachtsmediatoren, selbst darauf kommen können. Die Mediation kommt in Allem vor, wenn man nur bereit ist, sie zu sehen. Ich wünsche Dir eine frohe Weihnacht“.

„Frohe Weihnacht“, wünschte auch Ator. „Der Weg ist das Ziel“, fiel ihm noch ein. Wollte er das letzte Wort haben? „Man muss nur den Horizont im Blick behalten“, ergänzte Medi. Damit hatte sie das letzte Wort. Aber das konnten beide so stehen lassen. Dem war nichts mehr hinzuzufügen.

Arthur Trossen

Über Medi & Ator

Profis haben es längst bemerkt. Medi & Ator begegnen Fragen, die jeder Mediator in ei-ner Mediation zu bewältigen hat. Machen sie alles richtig? Fest steht, dass Sie mit jeder Mediation etwas mehr erfahren über die Gedanken, mit denen sich die Mediation bzw. Mediatoren auseinanderzusetzen haben.

Medi & Ator wurden erstmals Weihnachten 2012 von Arthur Trossen eingeladen, der sich diese Geschichten nicht nur als ein anregendes Trainingsmaterial ausgedacht hat, sondern auch als eine Reflexion dessen, was und wie er die Mediationslandschaft wahr-nimmt. Die Geschichten sollen ein Geschenk an die Mitglieder des Verbandes integrierte Mediation e.V. sein und vielleicht auch ein Geschenk an die Mediation.

Medi & Ator sind längst in die Herzen der Leser eingedrungen. Es gab viele Zuschriften mit der Aufforderung, die Geschichte fortzuführen, ja sogar, die Geschichten in einem Roman zusammenzuführen. Weil sie Ihre Erfahrungen gerne teilen, berichten Medi & Ator in diesem Jahr über ihr achtes Abenteuer als Weihnachtsmediatoren.

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