Über die Implementierung der Mediation in Lettland

Lettland ist klein, werden Sie denken, und deshalb nicht besonders interessant. Hal-ten Sie es trotzdem für möglich, dass dieses kleine Land die Chance auf eine Vorrei-terstellung für die Mediation in Europa hat?

Den Begriff des „Baltischen Tigers“ haben Analysten geprägt , als das kleine Land die EU Staaten mit ökonomischen Wachstumsraten von über zehn Prozent anführte. Tatsächlich ist Lettland nicht größer als die Niederlande, hat aber statt 16.366.600 Einwohner nur 2.286.700 . Ca 740.000 Menschen leben in der Hauptstadt Riga. Der Rest verteilt sich auf Städte wie Daugavpils, Liepaja und Jelgava oder lebt im Ländlichen. Lettland liegt im Norden. Ich durfte dies durch lange Nächte und einen Winter mit Temperaturen bis zu -30 Grad Celsius wahrnehmen. Der Sommer entschädigt den nordischen Winter jedoch. Lettland liegt dort, wo der Westen und der Osten zusammentreffen. Es ist eines der baltischen Staaten, unterscheidet sich aber wesentlich von den Nachbarländern Estland und Litauen. Es gibt keine gemeinsame Sprache, ebenso wie voneinander abweichende, nationale Mentalitäten und Interessen. Die Mediation wird in allen baltischen Staaten gefördert.

Die Implementierung der Mediation als Projekt

Lettland nimmt jedoch seit dem EU Projekt „Dispute Resolution System“ eine Sonder-stellung ein. Es ist nicht mehr möglich, die Entwicklung der Mediation in Lettland zu beschreiben, ohne auf dieses Projekt einzugehen.
Ich selbst war dort als so genannter RTA involviert und durfte fast genau 2 Jahre lang in Lettland leben und arbeiten. Auf der Deutschen Seite oblag die Projektleitung Claus Vreden, dem stellvertretenden Geschäftsführer der IRZ . Der Auftrag zur Imp-lementierung der Mediation in Lettland wurde für ein so genanntes Twinning-Projekt vergeben . Twinning-Projekte werden als eines der wesentlichen Werkzeuge zur EU-Erweiterung angesehen. Sie sollen den Beitrittsstaaten helfen, europäische Standards in der staatlichen Verwaltung zu erreichen.

Noch in der Planungsphase glaubten wir, in Lettland regelrechte Laborbedingungen für eine Implementierung der Mediation vorzufinden. Wir dachten an eine Art Tabula Rasa, auf der sich die Mediation ungehindert gestalten ließe. Wir irrten, denn es gab schon einige Erfahrungen mit der Mediation. Vereinzelte Initiativen zwar, aber alle suchten ihren Weg in eine praktische Umsetzung. Es gab die unterschiedlichsten An-sätze, die auf ebenso unterschiedliche Umgangsweisen mit der Mediation zurückzu-führen waren. Viele Initiativen wurden vom Ausland geprägt. Ich weiß von Projekten aus den USA, Norwegen, Kanada, Italien, England, Österreich und Deutschland. Alle hatten direkt oder indirekt mit Mediation zu tun. Von Tabula Rasa konnte also keine Rede sein. Die Mediation war längst präsent in Lettland, wenn auch in ihren Anfän-gen. Eine abgeschlossene Mediatorenausbildung hatten die Wenigsten. Am stärks-ten war der Bereich des Täter-Opfer Ausgleichs ausgeprägt. Wie in anderen Ländern verdankt die Mediation ihren Ursprung auch hier dem Engagement einzelner Pionie-re aus dem professionellen Bereich der Konfliktbewältigung. Dem Endverbraucher war die Mediation in Lettland nicht bekannt. Das war auch nicht notwendig, denn die vereinzelten Projekte genügten, um den Virus Mediation in Lettland zu etablieren. Es waren kleine Zirkel entstanden, die ganz unterschiedliche Vorstellungen von Medi-ation entwickelten und unkoordiniert auftraten. Ihre unterschiedlichen Vorstellungen über Mediation begannen sich zu manifestieren. Es kam zu Abweichungen, die sich nicht zuletzt auch auf die Terminologie niederschlugen. Die aus dem TOA stammen-den Mediatoren bevorzugten den Begriff „Starpnieks“ , während die aus anderen Bereichen stammenden Mediatoren sich auf „Mediacija“ einlassen konnten.

Bestandsaufnahme

Anlass für das EU-Projekt waren die Kosteneinsparung und die Steigerung der Effizienz der lettischen Justiz. Am Ende des Projektes, auf dem Mediationskongress in Riga, räumten Vertreter des lettischen Justizministeriums ein, dass durch die permanente Präsenz des RTA eine neue Denkweise über Mediation entstehen konnte. Die Ansich-ten über deren Mach- und Nutzbarkeit seien inzwischen vollständig revidiert worden. Jetzt erkenne man die Komplexität und Bedeutung der Mediation. Die Komplexität folgt aus den unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Interessen der betroffe-nen Berufe. Die Bedeutung verweist auf die hinter der Mediation verborgene Hal-tung. Eine meiner Herausforderungen bestand nun darin, die unterschiedlichen Inte-ressen zu bündeln und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Dazu mussten Motiva-tionen gesetzt und Möglichkeiten für die Anwendung der Mediation einerseits und deren Nachfrage andererseits geschaffen werden. Jetzt sollte es sich als ein Vorteil des kleinen Landes herausstellen, dass eine mehr oder weniger systematische Einfüh-rung angedacht werden konnte. Zumindest bestand die theoretische Möglichkeit, al-le Gruppen in einen Dialog einzubeziehen. Ganz im Sinne einer Implementierung sollten vorhandene Ressourcen erkannt und zielführend verwendet werden. Chan-cen sollten genutzt, Risiken sollten vermieden werden. In einem ausführlichen, der Öf-fentlichkeit zugänglichen Bericht habe ich die Chancen und Risiken wie in einer SWOT Analyse gegeneinander abgewogen . Hier seien nur einige der markanten Punkte angeführt, soweit sie für die Implementierung der Mediation relevant sind.

1. Mentalität:
Die Mentalität der Letten ist denen der Deutschen sehr ähnlich. Dies ist aus der Vergangenheit des Landes leicht zu erklären. Nach einer langen Okkupationsge-schichte ist das nationale und individuelle Selbstbewusstsein angeschlagen. Das lettische Volk und die lettische Politik versuchen mit besonderem Nachdruck eine nationale Identität zu determinieren. Auswirkungen ergeben sich bis in den Sprachgebrauch hinein. So bedurfte es einigen Aufwandes, den Begriff „Mediaci-ja“ als einen Terminus technicus zu definieren, obwohl es sich nicht um ein originär lettisches Wort handelte .
Die lettische Gegenwart ist nur über ihre Historie zu begreifen. Es ist schwierig, die ehemaligen Besatzer zur Rechenschaft zu ziehen, wenn zu ihnen noch wirtschaft-liche Abhängigkeiten bestehen und sich die Besatzer ethnisch noch immer durch etwa 35% der Bevölkerung repräsentiert sehen. Wie am Beispiel des Denkmals in Tallin zu sehen war , gibt es verschiedene Sichtweisen auf die Geschichte und konfliktträchtige Auseinandersetzungen mit einem Besatzer, der sich selbst lieber als Befreier sieht. Ich habe Frauen weinen gesehen, als sie von der Sowjet-Zeit sprachen. Sie haben diese Zeit mit der völligen Aufgabe von Individualität gleich gesetzt. Lettland ist im Umbruch. Werte sind zerstört. Der Umgang mit Individuali-tät und individueller Freiheit ist noch ungeübt und wirkt mitunter zügellos. Auto-nomes Verhandeln begegnet Misstrauen. Von Richtern bekam ich oft deren Sor-ge zu hören, die Parteien könnten Korruption argwöhnen, wenn sie eine Mediati-on vorschlagen. Der Hinweis, dass eine Korruption in der Mediation an und für sich nicht denkbar sei, wirkt in einem von Direktiven geprägten Umfeld nicht unbe-dingt Vertrauen erweckend. Neue Werte sind dabei, sich zu etablieren. Die Men-schen sind vorsichtig, eher introvertiert und distanziert. Der Umgang mit Konflikten ist traditionell eher häuslich. Um den Probanden in einem Mediationstraining kon-flikthaftes Verhalten zu demonstrieren, inszenierte ich mit meinem Kollegen Dr. Gunnar Lindner einmal einen Streit. Wir beschimpften uns wechselseitig und be-leidigten uns nach Strich und Faden. Die Dolmetscher waren völlig verunsichert. Sie stöhnten: „Was macht ihr? Sollen wir das etwa auch übersetzen?“ Ich bejahte, und erklärte warum. Darauf sagten die Dolmetscher: „Das können wir so nicht übersetzen. Im Lettischen gibt es diese Schimpfworte nicht.“ Man verstand dann aber die Deutschen Worte.

2. Justiz

Es ist wichtig zu wissen, dass viele Rechts- und Verfahrensvorschriften dem hiesi-gen System stark angenähert sind. Das Verständnis von Justiz und Gerichtsbarkeit ist durchaus mit dem unserigen zu vergleichen. Nach meiner Beobachtung be-finden sich sowohl die Deutsche wie auch die Lettische Justiz in einem Verände-rungsprozess. Während die Richter in Deutschland dazu übergehen, ihre Autorität zu Gunsten einer verbesserten Kommunikation mit den Parteien zurückstellen , ist der Richter in Lettland damit beschäftigt, seine Souveränität noch zu erwerben. Erst in einem zweiten Schritt kann er sich zugunsten einer parteizentrierten Kom-munikation öffnen. Vorherrschend ist die formale Kommunikation. Es bereitet ein gewisses Unbehagen, sich dieser sicheren Kommunikation zu begeben. Der Stu-dienbesuch einer lettischen Richterdelegation in Koblenz brachte eine entschei-dende Wende. Hier konnten sich die Richter davon überzeugen, wie ein Verfah-ren abläuft, wenn der Richter mediative Elemente einbezieht. Die Studienreise brachte einen enormen Motivationsschub. Plötzlich hatten die Richter keine Be-denken mehr, neue Wege im Verfahren zu beschreiten. Auch der Ruf nach einer gesetzlichen Legitimation dieser Verfahrensweise war jetzt etwas verhaltener. Für mich war es ebenso überraschend wie beeindruckend nachzuvollziehen, unter welcher Belastung die Richter der neuen Beitrittsländer stehen. Da ist nicht nur die Notwendigkeit, sich in ein neues System einzudenken. Auch die ständigen Geset-zesänderungen machen zu schaffen. Dann kommt da noch das supranationale Recht. Hier bedeutet jede Neuerung eine Belastung. Erfahrungen im Umgang mit dem neuen System können praktisch nur im Ausland gemacht werden. Die Repu-tation der Justiz ist angeschlagen. Das Thema Korruption ist noch immer auf der Tagesordnung. Um ihr zu entgehen, erlebte die Schiedsgerichtsbarkeit einen we-nig erfreulichen Boom. Ungelernte, selbsternannte Schiedsrichter verunsicherten die Parteien mehr als ihnen eine kompetente Alternative zur Justiz zu bieten. Trotz dieser Erfahrung war das Interesse an der Mediation ungebrochen groß.

3. Die wirtschaftlichen Bedingungen

Das Durchschnittseinkommen eines Letten liegt bei 440 EUR im Monat. Der Richter hat ein Jahreseinkommen von 4392 EUR im Eingangsalter bzw. 9200 EUR mit 45 Jahren . Ein Cappuccino kostet in Riga durchaus 2 EUR. Die Inflationsrate lag im Jahr 2005 bei 6,7 % sie wird für dieses Jahr auf rund 8% geschätzt . PKH Bewilli-gungen sind restriktiv, eine wirksame öffentliche Unterstützung im Sinne unserer Sozialhilfe gibt es nicht. Die Rechtsanwälte haben trotzdem recht gut zu tun. An-ders als in Deutschland geben ihnen jedenfalls die ökonomischen Bedingungen nicht auf, nach neuen Dienstleistungsangeboten zu suchen. Andere Berufe, wie die nicht als Anwalt zugelassenen (aber trotzdem postulationsbefugten) Juristen oder die Notare haben eher ein merkantiles Interesse. In Anbetracht der Einkom-mensverhältnisse wäre eine reguläre, nicht subventionierte Mediationsausbildung für den Privatmann kaum zu finanzieren.

4. Die sozialen Bedingungen

Eine meiner markantesten Beobachtungen war, dass man sich in Lettland zwar zurückziehen, nicht aber wirklich aus dem Weg gehen kann. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass ein gemobbter Kollege morgen die Stelle eines Vorgesetz-ten einnimmt. Zurückhaltung ist deshalb die geübte Praxis. Verhandeln könnte ei-ne Lösung sein. Ein besonderes Problemfeld sind neben den Strafsachen die Fa-milienkonflikte. Dieser Umstand erklärt die hohe Teilnehmerzahl der psychosozia-len Berufsgruppen an den Trainings. Die Therapeuten sind an besseren Lösungen bei der (Familien-) Konfliktbewältigung interessiert. Sie hoffen, dass ihnen die Me-diation ein geeignetes Werkzeug zur Verfügung stellt.
Die Nachfrage nach Mediation wird durch äußere Bedingungen erschwert. Hierzu zählen neben den ökonomischen Einschränkungen auch etablierte Machtgefälle Die Menschen fragen, wie kann eine Mediation helfen, wenn eine vierköpfige Familie in einer Zweiraumwohnung mit 60 m2 miteinander auszukommen hat und keine Mittel vorhanden sind, dass der streitbare Ehegatte auszieht. Wie kann eine Mediation helfen, wenn Alimente ein Fremdwort sind, wenn der Vermieter sich einfach durch unbotmäßige Mieterhöhungen seines Mieters erledigen kann, wenn die Korruption noch immer als ein taugliches Instrument angesehen wird.

Fazit und Projektziele

Das Fazit unserer Untersuchungen war eindeutig: Die Implementierung der Mediation ist ein wichtiger und notwendiger Schritt, nicht nur zur Entlastung der Justiz. Sie kann als ein ebenso wirksames Instrument zur Demokratisierung verstanden sein und sollte mit ihr auch einhergehen. Ihre Umsetzung ist in Lettland ohne weiteres möglich. Das EU-Projekt bereitete die Implementierung schrittweise vor, indem es vier Etappenziele erreicht hat.

1. Das erste Ziel betraf die Information. Zunächst ging es darum, über die Media-tion, das Projekt und deren Bedeutung zu informieren. Zielgruppe sollten alle betroffenen Berufe sein, Richter, Rechtsanwälte, Notare, Psychologen, Thera-peuten, und viele mehr. Auch Politiker waren einbezogen. Bereits die Kick-off-Veranstaltung im April 2006 belegte das übergroße Interesse an dem Thema. Es folgten Vorträge im Rahmen des Juristentages, der Tagung der Psychothe-rapeuten, der Psychologen und anderer Verbände, sowie Artikel in Zeitungen und Magazinen. Es wurde keine Gelegenheit ausgelassen, um über die Medi-ation zu informieren. Eine zentrale Informations- und Anlaufstelle wurde mit der Web-Seite www.mediacija.lv eingerichtet.

2. Die zweite Zielsetzung betraf die Ausbildung. Damit eine Mediation angebo-ten werden kann, muss sie nicht nur bekannt, sondern auch gekonnt sein. Die Ausbildung zum Mediator war deshalb ein wesentlicher Aspekt der Implemen-tierungsstrategie. Mit Hilfe des EU-Projektes konnten zwei konsistente, aufein-ander folgende Kurse mit je 12 Ausbildungstagen angeboten werden. Es wur-den etwa 90 Teilnehmer geschult, unter denen sich auch Richter, Rechtsan-wälte, sonstige Juristen, Psychologen, Therapeuten, Sozialarbeiter befanden. Die Teilnahme war kostenlos. Etwa ein Drittel der Teilnehmer praktiziert die Mediation heute. Für die anderen Teilnehmer bedeutete der Kurs eine Weg-weisung. Die Präsenzveranstaltungen wurden durch Intensivtrainings, Supervi-sionen und Peergroup-Trainings unterstützt. Nicht nur zur Ergänzung der Ausbil-dung, sondern auch zur allgemeinen Einführung in die Mediation haben wir ein Lehrbuch „Mediacija, Mediacijas pamati theorija un prakse“ aufgelegt. Darüber hinaus haben wir einen Dokumentations- und Trainingsfilm „Magic of Mediation“ produziert. Der Film veranschaulicht die Wirkungsweise der Mediation. Den Titel habe ich gewählt, nachdem mir in dem Gespräch mit einer Doktorandin der Mediation auffiel, dass sie trotz aller Studien nicht wusste, wie der Mediator den Fall zur Lösung bringt. Dass ihm dies gelingt, ohne Lösungen vorzugeben oder zu empfehlen. „Das geht doch gar nicht“ war die Reaktion meiner Gesprächspartnerin. Nicht nur sie reagierte so. Der Film weist auf das Phänomen der autonomen Konsensfindung hin. Er belegt darüber hinaus, dass die Mediation nichts mit Magie zu tun hat, sondern mit Kunstfertigkeit. Um die Nachhaltigkeit der Ausbildung sicher zu stellen, wurde ein Train the trainer Programm durchgeführt, ebenso wie ein Training zur Supervision. Zusammen mit dem ebenfalls bereit gestellten Curriculum haben wir den Grundstein für die Einrichtung eigener Ausbildungsgänge gelegt.

3. Die dritte Zielsetzung betraf die Organisation. Es ging darum, die besten Be-dingungen für eine Implementierung der Mediation herzustellen. Einige Optio-nen konnten bereits in der Projektarbeit umgesetzt werden. Zunächst haben wir das RTA Büro zu einem „mediacijas birojs“ umfunktioniert. Damit war die Arbeit eines ADR-Sekretariats schon während der Projektdauer sichergestellt worden. Zugleich war eine Informationsstelle errichtet, an die sich jedermann mit Fragen zur Mediation wenden konnte. Ganz wichtig war die Errichtung ei-ner so genannten „discussion group“. Es handelte sich um eine Zusammenfüh-rung von Repräsentanten aller Professionen, Gruppen, Behörden und Instituti-onen, die entweder schon mit der Mediation zu tun hatten oder später zu tun bekommen werden. Im Interesse einer Vernetzung wurden auch Mediationsi-nitiativen außerhalb des EU-Projektes versorgt. Auf diese Weise kamen „unse-re“ Mediatoren zu ihren ersten Fällen.

4. Bei der vierten Zielsetzung ging es um die Bekanntmachung der Mediation im Nachfragebereich. Die Mediation wird sich nur dann als eine Dienstleistung etablieren können, wenn sie sich finanzieren lässt und den Dienstleistern dar-über hinaus wenigstes längerfristig einen ökonomischen Vorteil einbringt. Dem Angebot muss eine Nachfrage folgen. Die Bereitschaft zur Nachfrage kann nur dann angenommen werden, wenn die Konfliktparteien den mit der neuen Dienstleistung verbundenen Nutzen erkennen können. Die Blickrichtung zielt somit auf die Bevölkerung. Leider konnte die geplante Awareness campaign erst recht spät einsetzen. Zunächst mussten qualifizierte Mediatoren verfügbar sein. In der Erkenntnis, dass eine Awareness-Kampagne nur temporäre Wir-kungen erzeugt, wurde der Fokus auf nur einen Kontaktpunkt gerichtet. Zu-gänge zu den Anbietern und Verbänden waren auf der Web-Seite einzuse-hen. Einen Monat lang waren in allen Straßenbahnen von Riga Plakate mit Hinweisen zur Mediation zu sehen.

Eine Awareness-Kampagne lebt von weiteren Initiativen. Deshalb begannen die inzwischen ausgebildeten Mediatoren auch selbst für Publicity zu sorgen. Sie er-wähnten die Mediation etwa in TV Beiträgen und Artikeln in Magazinen und or-ganisierten eigene Konferenzen und Meetings. Den Höhepunkt aller Aktivitäten bildete die internationale Konferenz „Mediacijas brinums“ Ende Mai 2007. Sie markierte nicht nur den erfolgreichen Abschluss des EU-Projektes. Sie setzte auch einen Meilenstein für die Mediation in Lettland.

Konzepte und Empfehlungen

Im Verlauf des Projektes habe ich ein Konzept vorgelegt, das die Möglichkeiten und Chancen zur Implementierung der Mediation in Lettland im Detail erläutert . Dar-über hinaus gab es Konzepte für die Errichtung eines ADR-Sekretariats, für Pilotprojek-te an zwei Zivilgerichten, über Ausbildung, Supervision, Gesetzgebung, Organisation eines ADR-Sekretariats, usw. erstellt. Die Konzepte stehen nicht nur dem Ministerium, sondern auch dem „Mediacijas konsultativa padome“ zur Verfügung. Ausgangsla-ge für die konzeptuelle Arbeit bildeten eine Bestandsaufnahme die auf eine einge-schränkte Erforschung und Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zurückgeführt wurde. Auch ein Blick auf die Einführung der Mediation in anderen Ländern sollte helfen, Fehler zu vermeiden. Auf all diesen Erkenntnissen aufbauend, weist das Implementierungskonzept 10 Prinzipien nach, die für eine Implementierung der Mediation zu beachten sind. Darunter finden sich das Bottom up Prinzip, das Prin-zip der Vielfalt, das Prinzip der beruflichen Selbstorganisation, das Prinzip der menta-len Nähe, das Prinzip der Information und der Motivation. Das Prinzip der Autonomie steht mit der Neigung im Widerspruch, die Mediation zu verregulieren. Es könnten Mediationsweisen festgeschrieben oder verhindert werden, obwohl es noch nicht erwiesen ist, wie die Mediation als professionelle Dienstleistung in Lettland überhaupt angenommen wird. Unter Beachtung dieser Prinzipien wurden insgesamt 48 Maß-nahmen empfohlen. Die wichtigsten Empfehlungen waren:

1. Errichtung bzw. Etablierung des Mediationsrates (Mediacijas konsultativa pa-dome)
Es besteht eine Notwendigkeit, die aus den Projektinitiativen hervorgegangenen mediativen Zellen zu koordinieren, damit Erfahrungen angeglichen, Aktionen ge-bündelt und Ressourcen ausgeschöpft werden. Einem Dachverband soll diese Rolle zustehen. Darüber besteht Einigkeit. Der Grundstein eines Dachverbandes war bereits mit der Discussion group gelegt. Ihre Umwandlung in den Mediacijas konsultativa padome erfolgte in der Sitzung am 7. August 2008. Um dem Mediati-onsrat die Rolle zu geben, die einem Dachverband zusteht, lautete meine Emp-fehlung, den Rat wie einen Kommunikationsknoten zu behandeln, der über alle Angelegenheiten der Mediation bidirektional zu informieren ist. Der Mediationsrat hatte zunächst über die Verteilung unserer Hinterlassenschaften des Projektes zu entscheiden, das Material zu verwalten und sich für die Errichtung kompatibler Standards einsetzen.

2. Funktionalisierung einer operativen Einheit als Ersatz und Wegbereiter für ein Mediationsbüro (Mediacijas birois)
An und für sich sollte das Mediationsbüro die operative Einheit des Mediationsra-tes darstellen. Leider war eine Weiterführung unseres Medicijas Birois schon we-gen der hohen Monatsmiete von 850 EUR nicht möglich. Die Aufgaben dieses Sekretariats werden vorerst durch die Vereine nach einem Rotationsprinzip durchgeführt.

3. Institutionalisierung von Ausbildungen
Der Grundstein für eine konsistente Ausbildung wurde gelegt. Im Weiteren geht es also um die Verfestigung und Institutionalisierung des Ausbildungsangebotes. Zur Gewährleistung eines flächendeckenden Angebotes, wird eine mittlere Ausbil-dungsqualität angestrebt. Die Ausbildung soll in jeder Hinsicht zu leisten sein. Schon jetzt gibt es Mediatoren, die Schulungen anbieten. Eine supervidierende und gegebenenfalls ergänzende Begleitung dieser Ausbildung wird bisher auf freiwilliger Basis in Eigeninitiativen geleistet . Das in die lettische Sprache übersetz-te Ausbildungsmaterial (Skript und Film) steht jedermann kostenlos zur Verfügung. Standards für Mediation und Ausbildung wurden mit dem Vorschlag übergeben, diese in eigene Standards zu überführen.

4. Ermöglichung und Sicherstellung professioneller Anwendungsmöglichkeiten
Es gibt bereits fest eingerichtete staatliche Stellen für Mediatoren, beispielsweise in Rigas Bāriņtiesa oder in der Valsts probācijas dienests . Darüber hinaus sollen weitere Pilotprojekte gefördert werden. Es ist darauf zu achten, dass die Mediati-on in allen denkbaren Varianten (gerichtsnahe Mediation, gerichtsinterne Media-tion, integrierte Mediation) vorkommen kann.

5. Errichtung von Informationsstellen
Solange das Mediationsbüro nicht besteht, sollen die Informationsstellen dezentral in allen Krisenberatungszentren , in den orphan’s courts und in den Vereinen ein-gerichtet werden. Die im EU-Projekt hergestellten Flyer und Folder stehen ihnen zur Verteilung kostenlos zur Verfügung. Als zentrale Informationsstelle dient die Web-Page.

6. Motivationen
Die Mediation ist willkommen in Lettland. Trotzdem bedarf es weiterer Anreize, sie zu etablieren. Eine gute Motivation bieten verbesserte Einstellungs- und Beförde-rungschancen, die Finanzierung von Gebühren und der Aufbau einer guten Re-putation durch Qualitätsstandards und Zertifizierungen.

Die Gegenwart

Es ist eine Aufbruchstimmung zu spüren. Die zum Teil in bestehenden oder neu ge-gründeten Mediationsvereinen organisierten Initiativen beginnen sich voneinander abzugrenzen. Manche entwickeln ein Eigenleben. Verbindungen ins Ausland werden genutzt. Zusammenfassend lässt sich feststellen: die Mediation entwickelt sich in Lett-land wie überall auf der Welt, wo sich der Virus Mediation eingenistet hat. „Was macht Lettland dann so besonders?“ mögen Sie jetzt fragen. Es ist die Vielfalt an Ein-flüssen. Hier treffen die unterschiedlichsten Vorstellungen und Erfahrungen auf kleiner Fläche zusammen. Es ist wie ein Spiegel der europäischen Mediation. Anders als in Europa besteht jedoch in Lettland nicht nur ein theoretischer Bedarf für eine Ausei-nandersetzung zwischen den abweichenden Mediationskonzepten. Hier gibt es eine drängendere Notwendigkeit, ein übergreifendes Konzept zu entwickeln, das alle Färbungen einzubeziehen vermag. Ich könnte mir vorstellen, dass durch die in Lett-land notwendige Zusammenführung der unterschiedlichen internationalen Ansätze das vereinheitlichende Modell einer europäischen Mediation entsteht.

Arthur Trossen