sprungMediation wird gerne als die Verwirklichung der Demokratie bezeichnet. Sieht man genauer hin, dann stellt es sich heraus, dass die Mediation die Demokratie – wie sie heute gelebt wird – eher herausfordert oder gar in Frage stellt.

Kompetenz und Verfahren

Mediatoren lernen wertefrei und kritisch zuzuhören. Sie lernen, den Dingen auf den Grund zu gehen und genau zu hinterfragen, was sie wahrnehmen. In ihrer kritischen Wahrnehmung wissen Mediatoren die Qualität von Informationen einzuschätzen. Wen wundert es, dass zumindest einige Mediatoren schon der Behauptung misstrauen, das Mediationsgesetz sei ein Meilenstein des Rechtsstaates. Was ist das für eine Errungenschaft, wenn das Gesetz in einem Rechtssaat erlaubt, was ohnehin schon erlaubt und möglich ist? Was ist von der behaupteten, vorbildlichen Einstimmigkeit der politischen Parteien zu halten, die wenige Tage später den Vermittlungsausschuss anrufen lässt? Danach wurde sogar die Sorge laut, das Gesetz könne im Streit um die Mediation scheitern . Wenn man das Gesetz und seine Herbeiführung als Kommunikation des Staates mit dem Bürger versteht, dann wirft es Fragen auf. Was will uns der Gesetzgeber damit sagen? Was wollen uns die Politiker sagen, wenn sie durchsichtige Behauptungen aufstellen, die nur den Zweck verfolgen, den politischen Gegner abzuwerten? Was bedeutet es wenn von einem Wahlkampf gesprochen wird, worum soll gekämpft werden? Wer kämpft gegen wen und worum? Wählerstimmen lassen sich nicht erkämpfen. Darauf geschult, Bedeutungen zu hinterfragen, fallen dem Mediator einige Hypothesen ein, die das politische Handeln erklären und die auch das Verhältnis des Staates zum Bürger, zu den Professionen, zur Lobby und zur Politik beschreiben. Das Mediationsgesetz zum Beispiel soll die Mediation stärken. Es fördert jedoch nicht die Mediation, sondern die Berufsbildung. Und selbst das ist fraglich. Damit sind wir im Thema.

Die Mediation als Kompetenz lässt den Bürger kritisch, wachsam und autonom erscheinen. Der mediativ denkende Mensch hinterfragt. Er denkt präzise, nicht wertend und erhellend . Eine in der Begründung zum Gesetz verwendete Aussage wie: „die Mediatorinnen und Mediatoren (tragen) die Verantwortung für das Verfahren“ beispielsweise stößt ihm auf. Er wird diese (leider) weit verbreitete Floskel zu hinterfragen wissen. Der Mediator weiß, dass er in einem privatautonomen Verfahren nur die Verantwortung dafür tragen kann, was in seiner Macht steht. Eine „gelingende Kommunikation der Parteien“ ist das sicher nicht. Wohl aber das Angebot von Voraussetzungen und Interventionen, die eine solche Kommunikation ermöglichen. Das ist ein kleiner Unterschied. Dafür kann er die Verantwortung übernehmen. Er weiß, dass die Parteien mit den Informationen zu versorgen sind, die es ihnen erlauben, die korrekten Entscheidungen im Verfahren zu treffen und die notwendigen Erkenntnisse zu gewinnen. Er trägt also nicht die Verantwortung für das Verfahren sondern dafür, dass das Verfahren nach den Regeln der Kunst möglich wird. Diese Präzisierung mag spitzfindig erscheinen. Sie verdeutlicht indes, dass die Mediation eben kein verordnetes Verfahren ist, dass es auf die Eigenverantwortung der Parteien ankommt und dass alle Regeln und Entscheidungen im Verfahren auch von den Parteien eigenverantwortlich zu treffen sind und der individuellen Vereinbarung bedürfen. Dies ist nur ein Beispiel, wo sprachliche Unklarheiten zu falschen Eindrücken und sachlichen Ungereimtheiten führen .

Das präzise Zuhören wirft Fragen auf. Es erlaubt, sich eine eigene, kritische Meinung zu bilden. Es verhindert Vordergründigkeit aber auch Voreingenommenheit. Es entlarvt Angriffe und deckt die dahinter verborgenen Ich-Botschaften auf. Ist es das, was der Politiker will? Bürger, die sich nicht mit Phrasen abspeisen lassen? Wenn dies wirklich der Wunsch der Politiker wäre, würden die politischen Debatten sicherlich anderes geführt sein.

Sieht man die Mediation hingegen nicht als eine permanent verfügbare Kompetenz des Denkens, sondern lediglich als ein sich mehr und mehr formalisierendes Verfahren zur Lösung von Konflikten, wird sie zu einem zahmen Wesen, das auch eine Demokratie zu domestizieren weiß. Denkt man an die Umweltmediation, dann betört das Partizipationsmodell. Die eigenverantwortliche Konfliktbeilegung war zwar vor dem Erlass des Mediationsgesetzes auch möglich. Sie aktiv einzufordern, bedeutet aber dennoch eine Stärkung der Privatautonomie innerhalb der Demokratie . So gesehen stellt die Mediation durchaus Instrumente zur Verfügung, die auf das Verfahren beschränkt, hervorragend gut in die Demokratie hineinpassen.

Bei genauerem Hinsehen verwischt sich dieser Eindruck jedoch. Und zwar spätestens dann, wenn man die in der Mediation verborgene Kompetenz auch außerhalb des Verfahrens anwendet. Dann erscheint es plötzlich wie ein Widerspruch, wenn die Mediation als ein Instrument der praktizierten Demokratie angesehen wird. Dann fragt es sich, was die Politiker denken. Wie mögen sie den Bürger einschätzen, wenn sie glauben, sie müssten seine Autonomie regeln. Dann fragt es sich, warum sie selbst sich dieser Kompetenz nicht bedienen? Man würde es erst gar nicht versuchen, den Bürger mit eindimensionalen , politischen Appellen und Parolen zu verführen. Er würde sie hinterfragen und feststellen, dass viele Fragen keine Antworten finden. Es käme nicht mehr darauf an, ob sich ein Politiker durchsetzen kann. Die Ich-Botschaften der Politik würden verstanden sein. Wenn sich die Kultur dahingehend ändert, dass alle Verhandlungen mit Durchblick und auf gleicher Augenhöhe stattfinden, verliert sich die Macht. Wäre das gewollt? Offenbar nicht. Demzufolge ist die Mediation ja erklärtermaßen auch nur angetreten, die Streitkultur verbessern . Warum wird eigentlich nicht die Friedenskultur verbessert? fragt sich der Mediator.

Die Beziehungsebenen

Die Frage, ob die Mediation Freund oder Feind ist, formuliert die Frage nach einer Beziehung. Sie zielt darauf ab, wie sich die Mediation und die Demokratie zueinander verhalten. Mediation und Demokratie, das scheint ein ungleiches Paar zu sein. Dennoch gibt es einen grundlegenden Zusammenhang.

Um ihre Beziehung zu definieren, stellt sich die Frage: Ist die Mediation der Demokratie zu-, neben- über- oder untergeordnet? Eine differenzierte Betrachtung erscheint angebracht. Die Mediation, als ein Verfahren der Konfliktbeilegung, ist eindeutig komplementär zur Demokratie. Die Mediation, als Kompetenz oder Methode, als eine Kunst oder Art des Denkens, ist eher symmetrisch ausgelegt. Um eine Beziehung zu verstehen, sollte man ihre Teilnehmer kennen. Die Klärung der Begrifflichkeiten mag einen ersten Eindruck ergeben:

Mediation bedeutet Vermittlung. Interessanter Weise greift das Mediationsgesetz selbst nicht den Begriff der Vermittlung auf, sondern den der Konfliktbeilegung. Korrekter Weise exponiert es damit das Handeln der Parteien mehr als das des Mediators. Weiterhin ist die Mediation als ein Verfahren definiert. Vermittelt wird Verstehen. Damit unterscheidet sich die Mediation von der Schlichtung. Bei der Schlichtung steht nicht die Vermittlung des Verstehens sondern die Vermittlung der Lösung im Vordergrund. Verstehen heißt begreifen, den Sinn erfassen. Es ist die Kompetenz des Mediators, dies zu ermöglichen. Je besser er verstehen kann, desto besser kann er den Sinn vermitteln. Verstehen definiert sich aus der Wahrnehmung, der Fähigkeit sich in jemanden oder etwas hineinzuversetzen und dem nachvollziehbaren Denken. Die Mediation ist ein „Suchspiel“, bei dem die Parteien auf der Basis des Verstandenen die allseits bestmögliche Lösung suchen. Die zugrunde liegende Strategie ist die Kooperation. Sie verlangt, dass die Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe erfolgen.

Demokratie, vom Wortlaut her betrachtet, bedeutet die Herrschaft des Volkes. Schon der Begriff Herrschaft passt nicht in das Denken der Mediation. Herrschen legt kein Suchspiel nahe. Es suggeriert ein Nullsummenspiel und ist schon deshalb gedanklich weit von der Mediation entfernt. Auf politischer Ebene wäre sie erst dann naheliegend, wenn sich die Politiker dazu bekennen, eine Lösung der anstehenden Probleme suchen zu wollen. Ein derartiges Eingeständnis würde wahrscheinlich ihrer Wahl im Wege stehen. Wer wählt schon einen Politiker, der zugibt, nicht zu wissen wie es geht. Auch wenn jeder weiß, dass er es nicht weiß .

Die Demokratie gibt den Repräsentanten des Volkes eine Stimme, in der sie die unterschiedlichen politischen Ziele in durchaus streitigen Debatten verfolgt. Die Repräsentanten erreichen das Ziel, indem sie dafür eine möglichst breite Mehrheit bilden. Längst geht es bei der modernen politischen Debattenkultur nicht mehr darum, eine Meinung zu bilden und zu überzeugen. Mehr und mehr ist sie dazu übergegangen bloß zu stellen und längst getroffene Entscheidungen zu rechtfertigen . Die Mehrheit ist dann nicht mehr, als ein Alibi und eine formale Legitimation. Die Mehrheit gilt als ein Indiz für einen breiten Konsens. Ist sie das?

Schaut man genauer hin, wie Mehrheiten gebildet werden und zu welchem Zweck sie eingesetzt werden, dann erweist sich die Demokratie als ein Machtmodell. Wer die Mehrheit hat, der bekommt die Macht. Wer Mehrheiten bilden kann, der hat die Macht. Auch dieser Gedanke ist der Mediation völlig fremd. Macht spielt hier keine Rolle. Der Konsens in der Demokratie besteht bestenfalls über die Herbeiführung der Mehrheit, nicht zwingend über den Inhalt der jeweilig getroffenen Entscheidung. Wie weit sich die Mehrheit vom Konsens entfernen kann, belegt die Methode des systemischen Konsensierens . Mit ihr errechnet sich zwar auch eine Mehrheit. Allerdings ermittelt sie den mehrheitlichen Widerstand gegen Entscheidungen und bildet dadurch eine Mehrheit, die wenigstens einer allgemeinen Akzeptanz – wenn auch bei weitem nicht dem Konsens nahe kommt.

Chance und Risiko

Wie in jeder Beziehung erlaubt der Umgang miteinander eine Entwicklung. Es gibt Chancen und Risiken. Es fragt sich nur, für wen. Eine Mehrheit lässt sich beeinflussen, ein Konsens nicht. Wenigstens nicht der, den die Mediation herbeiführen will. Dieser Konsens basiert auf einem kooperativen Verhandeln, das auf gleicher Augenhöhe statt findet und alle Betroffenen einbezieht, auch die unbequemen. Sie basiert auf dem Verstehen. Manipulationen sind erschwert. Die Lobby hat hier weder Platz noch Chance. Sie würde als Interessenträger identifiziert und offen an den Tisch geholt. Auch aus diesem Grund ist die Mediation ein Verhandlungsmodell, das wegen der erforderlichen, gedanklichen Grundhaltung kaum mit der aktuell gelebten Demokratie übereinstimmt.

Wen wundert es also, wenn die Politiker die Einführung der Mediation zwar befürworten aber selbst nicht praktizieren? Angeblich soll die Streitkultur verbessert werden. Wohl bemerkt, es ist die Streitkultur des Bürgers gemeint, nicht die der Politiker. Dabei hätten die es doch am nötigsten oder nicht? Was ist die Botschaft, wenn ein Politiker „genüsslich die Reihe der vorzeitigen Abgänge aus Merkels Kabinett seziert“? Soll das eine Belustigung auf Kosten anderer sein oder etwa gar ein Kompetenzbeweis? Der Mediator erkennt die mangelnden Fakten hinter der Botschaft. Er erkennt die Ich-Botschaft dahinter.

Sogar das Gesetz, das sich mit dem Thema der Mediation befasst, ist auf konfrontativem Wege zustande gekommen. Es endete mit einem Kompromiss. Wäre wenigstens das Mediationsgesetz nicht ein schöner Anlass gewesen, wenigstens dieses Thema im Wege einer Mediation zu beschließen und auf einen echten Konsens hinzuarbeiten? Eine solche Option erscheint aber selbst den involvierten Verbänden zu riskant. Könnte sie doch dazu führen, dass Minderheiten und Außenseiter Einfluss bekommen und am Ende sogar angehört werden. Für die Mediation wäre es ganz sicher ein Gewinn gewesen. Für die Politik offenbar nicht und was ist es jetzt für die Demokratie, ein Meilenstein ?

Die Mediation wird als eine Chance der Demokratie gesehen. Das könnte sie auch sein. In vielen Auslandseinsätzen habe ich das wenigstens so behauptet. Ich habe mich aber eines Besseren belehren lassen. Heute meine ich, die Mediation (wenn sie denn ernst genommen wird) ist die größte Herausforderung der Demokratie. Sie kann ihr sogar feindlich sein, wenn sie den Weg in die Zivilgesellschaft beschreibt. Die Zivilgesellschaft bezeichnet im modernen Sprachgebrauch in der Soziologie und in der Politik eine Art von Gesellschaft, die nicht Auswuchs staatlichen Handelns ist, sondern sich dem Handeln und der Kooperation einzelner Menschen oder gesellschaftlicher Gruppen verdankt . Dieses Konstrukt liegt jedenfalls nahe, wenn wir von einem weiten Mediationsbegriff ausgehen und davon, dass die Mediation als ein Kulturgut vorgehalten wird. Wenn sie als Kunst, als Kompetenz und als Haltung verstanden wird und mehr ist als nur ein formales Vehikel zur Verwirklichung ökonomischer Interessen oder zur Nivellierung rechtlicher Streitigkeiten.

Wenn die Kommunikation im Luhmann’schen Verständnis den Inbegriff eines sozialen Systems abbildet, dann mag die Mediation, als Kommunikation verstanden, einerseits nicht in die Demokratie, als System verstanden, hineinpassen. Andererseits kann sie, wenn sie sich durchsetzt, dazu beitragen, das System zu verändern. Ob die Mediation eine Chance oder eine Gefahr sein kann, hängt deshalb ganz wesentlich davon ab, ob und wie sich die Demokratie ihr Denken einverleibt, wie sie mit ihr umgeht oder soll ich sagen wie die Mediation mit der Demokratie umgeht? Im Moment jedenfalls ist sie nicht mehr als ein zahnloser Tiger, aber immerhin ein Tiger.