Vor 2 Jahren, in Tübingen (1996), empfand ich ein Gefühl der Einigkeit. Unter den Teilnehmern machte sich eine unglaublich positive, hoffnungsvolle Stimmung breit. Eine Stimmung, die aufkommt, wenn man die Idee hat, etwas am Leben positiv zu verändern. Die Idee und Chance einer neuen, besser kultivierten (Streit-)Welt, die Idee eines friedlichen Miteinanders.

Heute, nach dem Mediationskongress 1998 verspüre ich eine deutliche Ernüchte-rung. Nichts ist mehr von der Stimmung in Tübingen übrig geblieben. Die Idee und Chance einer neuen, besser kultivierten (Streit-)Welt scheint nur noch denje-nigen vorbehalten zu bleiben, die in der Lage sind, ihre „rechtmäßige“ Nachfol-gerschaft zu den „Jüngern des Heils“, den selbsternannten Mediatorenausbildern nachweisen zu können. Was man derweil im Plenum des Mediationskongresses ’98 spürt, ist die Sorge vor Konkurrenz und Verdrängung, die Angst, zu kurz zu kommen, die Angst, ein Geschäft zu verpassen.

Ein solches Angstgefühl schürt den Futterneid in einem offensichtlich recht schwierigen und knappen Markt.

Offenbar ist das Gefühl nicht grundlos, denn trotz aller Anstrengungen, den Beruf des Mediators zu etablieren, wird öffentlich auf dem Mediationskongress 98 über mangelnde Nachfrage seitens der Bevölkerung bei einem doch erkannten Inte-resse an Streitschlichtung geklagt. Gefordert werden Strategien, wie die Nachfra-ge nach „Mediation“ als Ware zu steigern sei. Erörterungen, wie „Mediation“ als Ware akquiriert werden kann, bleiben allerdings aus. Warum eigentlich? Würden solche marktorientierten Überlegungen den ideologischen Anspruch einiger Me-diatoren in Frage stellen? Oder könnte es sogar sein, daß der behauptete, ideo-logische Anspruch wegen des zugleich offengelegten pekuniären Interesses der Mediatoren als nicht vorhanden enttarnt würde?

Wie dem auch sei. Die Funktionäre jedenfalls sind dabei, sich zu etablieren. Sie konzentrieren sich schon einmal vehement auf das Problem der Mediatorenaus-bildung. Hier läßt sich schon jetzt einiges verdienen. Tatsächlich scheinen die Claims rechtzeitig vor dem Mediationskongress ’98 abgesteckt worden zu sein. So präsentieren sich Organisationen zur Familienmediation, zur Schulmediation, zur Umweltmediation, sowie zur Arbeits- und Wirtschaftsmediation. Nicht vertre-ten sind Mediationsangebote für diejenigen Fälle wo sich die Menschen am häu-figsten streiten, nämlich der nervenaufreibende Nachbarschaftsstreit, der Streit mit der Autowerkstatt, der vernichtende Streit mit dem Vermieter usw. Wer fühlt sich hier zuständig? Endet die Idee der Mediation vor dieser Zielgruppe oder ist hier etwa nichts zu verdienen?

Konsequenterweise verschwendet der Mediationskongress ’98 weder in seiner Vorbereitung noch in seiner Ausgestaltung Überlegungen, wie die Mediation flä-chendeckend der streitenden Bevölkerung als Streitschlichtungsmodell zur Verfü-gung gestellt werden könnte. Die Aktivitäten konzentrieren sich ausschließlich in die Etablierung eines neuen, isolierten Berufes. Gedanken, wie die Mediation (oder besser, um begriffliche Auseinandersetzungen zu vermeiden: der mediative Gedanke) den „lediglich“ mediativ arbeitenden Interessenvertretern, den Rand-gruppen (Schiedsmänner, Notare, usw.) und Richtern zugänglich gemacht wer-den könnten, werden nicht einmal ansatzweise geäußert. Dabei sind sie es doch, die am häufigsten mit der streitenden Bevölkerung in Kontakt treten. Bei diesen Professionen besteht kein Nachfragedefizit.

Im Gegenteil!

Es wäre doch schön, wenn deren zunehmende Schlichtungsbemühungen profes-sionalisiert und qualitativ verbessert würden. Haben die Mediatorenfunktionäre Angst, daß eine solche Verbreitung den Markt für Mediatoren eingrenzen könnte oder fühlen sie sich für diese Art der Verbreitung des mediativen Gedankens ein-fach nur unzuständig?

Symptomatisch für ein starkes monetäres Interesse im Umfeld der Ware „Media-tion“ ist auch die beklagenswerte kommerzielle Anbindung des Kongresses an die Organisation eines wirtschaftlich akquirierenden Trägers, nämlich eines juristi-schen Fachverlages. Bei einer geschätzten Teilnehmerzahl von 300 und einer Teilnahmegebühr von 450,- DM (ohne MWSt) errechnet sich ein Tagungsumsatz von 135.000,- DM (ohne MWSt). Bei einer eher kargen Organisation und einem frugalen Mittagessen schätze ich, daß ein Gewinn von mindestens 30% erwirt-schaftet werden konnte. Ein Ertrag, der den Mediatoren vorenthalten bleibt – wenn wir nicht demnächst von einer dementsprechend großzügigen Spende des veran-staltenden Verlages hören werden.

Mindestens ebenso tragisch empfinde ich die Höhe der Teilnahmegebühr. Eine Gebühr in Höhe von 522,- DM (= 450,- DM + 16% MWSt) schränkt die Benutzer-gruppen von vorneherein elitär ein. Berufsanfänger, Angestellte, Beamte und Richter können sich einen solch hohen Tagungsbeitrag in der Regel nicht erlau-ben. Offensichtlich sollte diese Zielgruppe aber auch gar nicht angesprochen (eingeladen) sein. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus dem Angebot im Ver-anstaltungshinweis des Verlages. Dort wird als Tagungsbeitrag lediglich der Net-tobetrag (allerdings mit unbeziffertem Mehrwertsteuerhinweis) in Höhe von 450,- DM angegeben. Da Nettobetragsangebote an nicht gewerblich tätige Abnehmer grundsätzlich wettbewerbswidrig sind, schlußfolgere ich zugunsten des Veranstal-ters, daß es seine Intention war, nur Vorsteuerabzugsberechtigte zur Tagung ein-laden zu wollen. Wahrscheinlich dachte der Veranstalter an die sonst vorrangig von ihm bediente Zielgruppe, die praktizierenden Rechtsanwälte.

Weiterführende Gedanken über eine mögliche Akquisition der Ware „Mediation“ legen einen immanenten Konflikt offen. Dieser Konflikt besteht darin, daß eine breitflächige Verbreitung mediativen Wissens einerseits erforderlich ist, um diese Form der Konfliktberatung als Dienstleistung anbieten zu können. Mit der Verbrei-tung eines solchen Wissens ist jedoch die korrelierende Gefahr begründet, daß die Kenntnis über mediative Handlungsmöglichkeiten zu erfolgreichen Selbstan-wendungsfällen oder Anwendungen im semiprofessionellen Bereich führt. Ein derartiger Effekt würde den erkannten Markt für die isolierte Mediation ungünstig beeinflussen. Zwar wäre die Idee der besser kultivierten (Streit-)Welt verbreitet, der Nachfragebedarf würde sich allerdings für Mediatoren reduzieren. In einem solchen Konflikt bietet sich die folgende, unausgesprochene marktgerechte Stra-tegie der Mediationsfunktionäre an:

Die Fähigkeit zur „Mediation“ wird in Ihren Anforderungen derart hoch angesetzt, damit die Kenntnis der mediativen Möglichkeiten als esotherisches Wissen ver-mittelt werden kann. Dieses Wissen wird nur einer auserwählten Schar von „e-thisch besonders gut geeigneten“ Menschen zugänglich gemacht. Auf diese Wei-se wird sichergestellt, daß die Ware „Mediation“ nur einer kleinen Gruppe poten-tieller Anbieter vorbehalten bleibt. Der Markterfolg für Mediatoren scheint gewähr-leistet.

Ich bitte nachzusehen, falls meine Gedanken bissig ausfallen. Sie beruhen auf der hoffentlich falschen Beobachtung, daß die Verbreitung der Idee „Mediation“ in Deutschland in erster Linie an den Möglichkeiten einer regulierten Kommerziali-sierung ausgerichtet wird, statt an dem Interesse, den Menschen einen besseren, eigenen Umgang mit Konflikten zu ermöglichen.

Dies bedauere ich zutiefst.

Lassen Sie mich zusammenfassend schildern, woraus ich meinen Eindruck ablei-te:

• Streit- und Konfliktbewältigung kommt im Alltag vor, weniger in der Theorie. Der praktizierte Alltag findet vor Gerichten und Parteianwälten statt. Diese werden von dem Mediationskongress – wie dargelegt – aber offensichtlich nicht in dieser Funktion angesprochen (Wenn ich die Anwesenheitsliste richtig studiert habe, war ich der einzige anwesende Richter – ein Schweizer Kollege ausgenommen – der an dem Kongress teilgenommen hat. Während der Tü-binger Tage wurden die Gerichte als kompetente Zielgruppe angeschrieben und zur Mitwirkung aufgefordert).

• Die Definition „Mediation“ wird immer mehr an dem Merkmal eines außerge-richtlichen Verfahrens gemessen. Es wird argumentiert, der Richter sei als Entscheidungsträger trotz seiner unbestrittenen Unabhängigkeit nicht fähig, Mediation zu betreiben. Ein Argument, das übrigens in der Schulmediation nicht verbindlich zu sein scheint. Dort wird der Lehrer, der sowohl Autorität und Entscheidungskompetenz (Repressionskompetenz) besitzt und nicht zwingend parteiunabhängig ist ohne weiteres als Mediator vorgesehen. Trotz dieses Widerspruchs werden mediative Ansätze innerhalb der bestehenden Streitverfahren weder angesprochen noch erkennbar unterstützt. Im Gegen-teil. Der mediierende Anwalt wird in eine Jeckyll and Hide Persönlichkeitsspal-tung getrieben, die mit seinem beruflichen Selbstverständnis als Interessen-vertreter gar nicht kompatibel ist. Warum beläßt man dem Anwalt nicht seine Rolle und befähigt ihn einfach dazu, die Mandatierung auf eine höhere Ebene zu erstrecken, um eventuell im Zusammenwirken mit dem Gegenanwalt eine breitere Interessenwahrnehmung zu ermöglichen? Definitionsgemäß werden solche Arbeitsansätze zugunsten teurer Vollausbildungen nicht oder weniger gut gefördert.

• Auffällig ist, daß die Bedingungen einer Ausbildung zum Mediator extrem aufwendig und teuer gestaltet werden, so, als wolle man verhindern, daß es zu viele Mediatoren geben wird. Eine solche Vorgehensweise unterstützt die Marketingstrategie in eine Monopolisierung und Ausgrenzung.

• Die Ausrichtung dieses und der folgenden Mediationskongresse erfolgt unter der Veranstaltung eines einzelnen juristischen Verlages, der dadurch eine wichtige Marktposition okkupiert und weitere kommerzielle Aspekte in das mediative Leben integriert. Desweiteren ist zu befürchten, daß die Interdis-ziplinarität unter der Steuerung eines juristischen Fachverlages zu Gunsten der Juristen zu leiden hat.

• Die enge, begriffliche Definition des Begriffs und des Umfeldes der Mediation führt zu einer Einengung, die zum Entstehen weiterer, konkurrierender (nicht kooperierender) Gruppierungen führt.

• Die vorrangige Konzentration auf die Ausbildung der Mediatoren führt bei der zugestandenen, unzureichenden Nachfrage nach Mediation zu einem Über-angebot an Mediatoren, welches das Konkurrenzverhalten gerade vor dem Hintergrund der hohen Ausbildungs- und Akquisekosten ungünstig fördert. Der Mediator wird in ein schon jetzt erkennbares Konkurrenzverhalten getrie-ben, das den ethischen Anforderungen seines Berufes nicht entsprechen kann.

• Das Interesse an Popularität wird vorwiegend daran ausgerichtet, wie die Produkte „Mediation“ und „Ausbildung zur Mediation“ zu verbreiten sind. Nicht etwa, wie die neue und doch so alte Strategie der Konsensbildung als sinnvol-les Konfliktverhaltensmuster neben dem am häufigsten anzutreffenden Ver-haltensmuster der Vernichtung des streitenden Gegners in der Bevölkerung und deren Streitvertretern, den Anwälten etabliert wird. Hier zeigt es sich, wo-hin das Sendungsbewußtsein der Mediatoren eigentlich gerichtet ist. Möglich-keiten der Supervision, mediative Beratungstechniken der Interessenvertreter bei professionell begleitenden Mediationen könnten ohne weiteres durchsetz-bar sein, werden aber negiert oder zumindest nicht in Betracht gezogen. Die Aufforderung an den streitenden Anwalt, die wahre Interessenlage seines Mandanten an einer Konfliktlösung im Interesse einer verbesserten Interes-senvertretung zu eruieren, bleibt aus. Statt dessen wird der Interessenanwalt weiterhin als „bissiger Dobermann“ bezeichnet, der sich vom friedebringenden Mediator abgrenzt.

Betrachten wir nachfolgend die markanten Punkte einer Vermarktung der „Media-tion“ als Ware.

Das bezahlbare Produkt „Mediation“ ist unter Marketinggesichtspunkten natürlich nur dann lukrativ, wenn das streitbare Verhalten der Bürger sich nicht verbessert. Auch scheint es für eine Vermarktung nützlich zu sein, wenn die Probleme der streitenden Bevölkerung für konventionelle Institutionen (z.B. Interessenanwälte und Gerichte) unlösbar bleibt. Je mehr unbewältigten Streit es gibt, um so größer ist das Marktpotential für alternative Verfahren, wie die Mediation. Während des Mediationskongresses ’98 war in diesem Zusammenhang übrigens zu hören, daß die Gerichtsverfahren in Deutschland noch zu effektiv seien, als daß Mediation hier großflächig nachgefragt werden könnte. Dies sei anders als in Amerika, wes-halb dort die Nachfrage nach „Mediation“ durchweg größer sei als hier.

Klang hier etwa ein Bedauern an?

Konsequent werben Mediatoren mit negativ abgrenzenden Argumenten zu her-kömmlichen Streitverfahren, etwa, indem sie den vermeintlich teureren Preis und eine geringere Effektivität des gerichtlichen Verfahrens als Nachteil herausstellen. Tatsächlich macht es unter dem Gesichtspunkt eines Marketingkonzeptes durch-aus Sinn, wenn „Mediation“ als ein eigenständiges Verfahren mit hohen Quali-tätsanforderungen angeboten wird, das nur durch relativ wenige, besonders quali-fizierte Berater durchgeführt werden kann. Unter kaufmännischen Gesichtspunk-ten wäre es geradezu schädlich, wenn dem streitenden Bürger und den beste-henden Streitinstanzen mediative Fähigkeiten zugebilligt würden, denn dies könn-te das Nachfragepotential nach der Ware „Mediation“ sicherlich extrem vermin-dern. Unter dem Einsatz mediativer Denkweisen in bestehenden Verfahren wür-den diese ihre Qualität verbessern können. Auch würden die Bürger selbst eher in der Lage sein, effektivere Konfliktvermeidungs- und Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln. Gelingt es also, der Bevölkerung Strategien zur Konfliktvermeidung an die Hand zu geben, würde zugleich das wirtschaftliche Interesse an der Media-tion als honorierbares Verfahren geschmälert. Dies ist offensichtlich nicht erwünscht.

Wünschenswert wäre es, sich für die breitflächige, erfolgreiche Umsetzung der Idee „Mediation“ einzusetzen und die zugrunde liegenden Erkenntnisse der ver-besserten Kommunikation in alle Lebens-, Berufs- und Ausbildungsbereiche zu integrieren. Und zwar so, daß alle Menschen in den Genuß dieser Erkenntnis zur besseren eigenen Kontrolle ihres Streitverhaltens und das ihrer Mitmenschen gelangen – nicht nur eine kleine Gruppe von Auserwählten. Gibt es unter den Me-diatoren und Mediationsvereinen oder -verbänden eine Gruppierung, die sich hierfür einsetzt oder verfestigt sich der Trend, daß die Anbieter von Mediation in immer weiteren, konkurrierenden Gruppen ausgrenzende Marktpolitik betreiben?

Mediation den Mediatoren!

Sie erkennen den Doppelsinn. Ich meine, die Mediatoren sollten sich selbst einer Mediation unterziehen, damit ihre bisher zugunsten vermeintlicher, ideologischer Erwägungen noch nicht vorbehaltslos angesprochenen pekuniären Interessen offen auf den Tisch gebracht werden. Als Beobachter denke ich, daß dies helfen könnte, einige Konflikte und Mißverständnisse zu klären und den Gedanken der Mediation ehrlich zu verbreiten.
Richter am Amtsgericht

Arthur Trossen