Das Suppenrezept

Momentan ist es wieder die Zeit, in der in allen Verbänden die Hauptversammlungen und Mitgliederversammlungen stattfinden. Eine gute Gelegenheit also, sich innerhalb sämtlicher Verbände einmal in der Tiefe Gedanken über die Frage zu machen, ob der Mediation zum jetzigen Zeitpunkt für sich selbst Gerechtigkeit widerfährt, oder nicht. Denn  das Ansinnen des Anfangs von Mediation war gewesen: gerechte Ergebnisse zu schaffen mit Hilfe eines Verfahrens, das sowohl den rationalen Sachinput würdigt wie auch die emotionalen Betroffenheiten in die Lösungssuche mit einbezieht.

Was aber ist das Anliegen von Gerechtigkeit?

Gerechtigkeit meint die Herstellung einer Balance zwischen mindestens zwei unterschiedlichen Auffassungen, Ansichten, Systemen.

Welches sind die Mittel, um ein solches ausbalanciertes Vorgehen zu ermöglichen?

Das in Europa gebräuchlichste Symbol für  Gerechtigkeit ist die Person der Justitia, die Darstellung der Göttin Justitia, mit verbundenen Augen, einer Waage in der einen Hand und einem Schwert in der anderen.

Und was bedeutet das?

Es bedeutet, dass man sich auf dem Weg der Suche nach der Balance nicht leiten lassen soll von äußeren Anscheinen von Macht, hier insoweit nicht verführbar sein darf. Es bedeutet weiter, dass sowohl logisches und dialektisches Denken oder Außenschein und Innenwirklichkeit oder hierarchisches Denken und individuelles Denken in eine Balance zu bringen sind. Und es bedeutet, dass es der Achtsamkeit bedarf, damit die Ausbalanciertheit nicht verloren geht, damit den Medianden weiterhin der passende Raum zur Verfügung gestellt werden kann, in dem sich eine solche Ausbalanciertheit auch entfalten kann. In dem dem inneren Bedürfnis und äußeren Notwendigkeiten der notwendige Raum gegeben werden kann.

Momentan wachsen eine Vielzahl neuer möglicher Mediationsmodelle heran, werden neue Formen probiert, wird Mediation in immer neue Kontexte gestellt. Meine Sorge hierbei ist, dass- wenn wir jetzt nicht achtsam sind- uns hierbei die Ausbalanciertheit verloren gehen könnte. Ich möchte dies in Form des Rezeptes für eine Suppe darzustellen:

Der Name der Suppe ist „Verlust der Ausbalanciertheit“.

Basis der Suppe ist das innere Wollen der Herstellung von als gerecht empfundenen Ergebnissen. Nun nehme man eine große Portion an Zeitdruck, würze das mit einer Fülle von Arbeit, menge hinzu eine große Vielzahl von weiteren Aufgaben und schmecke das ganze ab mit einer Portion Aussicht auf Macht und Geld und tausende potentieller Fälle und Ausbildungen. Ein sicherer Weg um den Genießer der Suppe dazu zu verleiten, den Standort der Ausbalanciertheit zu verlassen. In der Justiz ist durch ständige Ausdehnung von anzuwendenden Rechtsvorschriften und immer neuen Delegationsverfahren sowie Außenstrukturen ein Verfahren entwickelt worden, in dem sich der einzelne Mensch häufig kaum noch wiederfinden kann.

In der Erkenntnis dessen hat sich bereits vor Jahrzehnten Mediation entwickelt als ein Verfahren, das den Versuch unternehmen wollte, zumindest in dem Sektor Außenproblem und innere Bedürfnislage für eine Ausbalanciertheit zu sorgen. Eine stärkere Einbindung des einzelnen Menschen in das Verfahren, eine Wiederherstellung von Autonomie für den Einzelnen Menschen der innerhalb des stark belasteten Systems sonst oft gar nicht mehr die Chance hatte, mit seinen Innenanliegen gehört werden zu können. So sollten echte, von den Konfliktparteien selbst entwickelte, konsensuale Lösungen möglich werden. Freiwillig und mit echter Autonomie.

Ich möchte uns alle ermahnen, gerade jetzt, wo es allen Verbänden – mehr oder weniger – gelungen ist, sich in einen großen Dachverband zusammenzuschließen, achtsam zu bleiben. Achtsam in Bezugnahme darauf, dass wir uns von oben beschriebener Suppe den Teller nicht zu voll füllen. Achtsam darauf, dass wir uns nicht verführen lassen, in dem Bemühen, scheinbaren oder tatsächlichen notwendigen Außenanforderungen zu genügen, die Ausbalanciertheit an dieser Stelle zu vergessen. Ich möchte uns alle aufrufen, innerhalb unserer Verbände zu klären, welches unsere jeweilige grundsätzliche Haltung zu der Mediation, zu der Autonomie des Einzelnen, zu der Freiwilligkeit bei  Aufnahme und Durchführung einer Mediation, zur Schaffung eines Raumes der absoluten Vertraulichkeit, zur Allparteilichkeit und zur absoluten Ergebnisoffenheit , sowie zu Transparenz und  Offenheit aller Beteiligten, ist.

Sekundär erscheint mir an dieser Stelle die Frage, wie viele Ausbildungsstunden es braucht, ob Fünf-Phasen-, Sieben-Phasen-, oder Null-Phasen–Modell, ob mit Denkmodellen von Glasl oder Schulz von Thun gearbeitet wird, ob ein etwaiger Stemple linksherum oder rechtsherum gedruckt wird. Wichtig an dieser Stelle scheint mir von der Basis herkommend zu klären,ob an dieser Stelle überhaupt diese grundsätzliche Übereinstimmung der Definition noch vorliegt. Oder ob die Sichtweise hierauf an anderer Stelle, vielleicht auch in spezialisierten Verbänden mit einem besonderen Blickwinkel, Abweichungen hiervon nötig sind, vielleicht sogar unerlässlich.

Wir werden dies aber nicht durch Verbandspolitik lösen, wir werden es auch nicht dadurch lösen, dass wir  Delegierte der Macht in eine Art von Rednerwettstreit schicken. Wie in einem guten Mediationsverfahren benötigt es an dieser Stelle der eindeutigen und unmissverständlichen Stellungnahme hierzu eines jeden einzelnen Mediators. Das bedeutet an dieser Stelle für jeden einzelnen Mediator, dass er sich jetzt genau hierzu äußern muss. Möglicherweise ist ein sinnvoller Weg hierfür der hierarchische Weg mit dem Rückschluss, dass dies innerhalb der Verbände eindeutig und von jedem einzelnen Mediator auch kommuniziert wird. Nur dann wird es meines Erachtens eine tragfähige Selbstverpflichtung von Verbänden geben können, sich unter bestimmte Standards oder Regeln auch einzuordnen. Denn auch eine Selbstverpflichtung reicht nur soweit, wie Transparenz vorliegt bezüglich dessen, worauf eine solche Selbstverpflichtung erfolgen soll.

( Das Thema der Selbstverpflichtung von Industrie, Kassen und  Banken in den letzten Jahren waren deutliche Zeichen dafür, dass eine solche Selbstverpflichtung dann misslingt, wenn die konsensuale Basis nicht vorliegt- dann häufig mit katastrophaleren Auswirkungen als bei einer gesetzlichen Regelung.

Wenn wir uns als Mediatoren selbst ernst nehmen wollen, dürfen wir an dieser Stelle nicht die Mitarbeit verweigern. Das käme dem Medianten gleich, der zu Beginn eines Mediationsverfahrens nicht willens ist, ein Arbeitsbündnis abzuschließen, sondern die Dinge mal auf sich zukommen lassen möchte. Nach meinem persönlichen Mediationsverständnis wäre dies ein Punkt, an dem ich die Arbeit gerade nicht aufnehmen könnte. Genauso wenig, wie ich als Mediator ein Mediationsverfahren führen kann, wenn von den Medianten nicht ein unmissverständliches, eindeutiges und klares Bekenntnis zur Bereitschaft von Offenheit und Transparenz erfolgt. Und dies nicht als ein reines Lippenbekenntnis, sondern tatsächlich gedacht, gemeint, gefühlt , gesagt und entsprechend gehandelt. Und so, wie ich Mediationsverfahren führe, dann auch noch bestätigt durch eine Unterschrift auf einem entsprechenden Arbeitsbündnis. Und ich als Mediator verstehe mein Tun auch so, dass es meine Aufgabe ist, im Verlaufe des Mediationsverfahrens darauf zu achten, dass dies immer wieder erneut bestätigt und notfalls wieder hergestellt wird, damit nicht durch die oben beschriebene Suppe die Achtsamkeit verloren geht, auf Ausbalanciertheit zu achten. Und so würde ich mich freuen, wenn möglichst viele Mediatoren die Chance der kommenden Versammlungen in ihren Verbänden dafür nutzen, sich klar dazu zu äußern, welches ihr Basisverständnis der Mediation eigentlich ist. Dies gibt dann erst den Delegierten der Verbände die Möglichkeit, im Namen ihrer Mitglieder die Selbstverpflichtungserklärung auch abzugeben.

RA`In Iris Berger MAS
European General Mediator
Vorstandsmitglied des FMÖB
Vorstandsmitglied des IM
Mitglied im Mediationsrat DfFm