Es ist wohl unbestritten, dass ein Mediator sein fachliches Handwerkszeug beherrschen sollte. Damit ist zunächst die ganz klassische Form der „Mediation“ gemeint – also der Ablauf des eigentlichen Mediationsprozesses. Er ist dafür verantwortlich, dass die Mediation die verschiedenen Phasen prozesshaft durchläuft. Aber wie er vorgeht, hängt schon ganz entscheidend von seiner eigenen Persönlichkeit ab. In seiner Rolle als Mediator benötigt er ein „hohes Maß an Selbst-bewusst-Sein“, eine „innere Aufmerksamkeit“, warum er was und wie denkt und tut – und wann er etwas sagt und tut.

Die Fähigkeit zur „Reflexion“ eines Mediators ist damit eine Kernkompetenz; sie betrifft sowohl die eigene innere (und äußere) Haltung, als auch das konkrete Verhalten und Tun in der Mediation. Ihm soll bewusst sein, was passiert und warum. Dazu bedarf es des „Selbst-bewusst-Seins“ im Sinne der Aufmerksamkeit für das eigene Ich und die Interaktion mit seinem Umfeld. Gemeint ist die Haltung zu mir selbst und zu anderen. Wie wirke ich auf andere? Wie wirken andere auf mich und warum so und nicht anders? Und ist mir das bewusst? Erst dieses Selbst-bewusst-Sein stärkt meine Autonomie (Selbstbestimmung) und Eigensteuerung.

Es ist doch klar: Jede Situation in der Mediation ist einmalig. Es ist – trotz vieler Erfahrung -nie exakt möglich, die nötige Vorgehensweise im Voraus zu kennen oder zu beschreiben. Irgendwie betrete ich mit einer Mediation immer wieder „Neuland“, auch wenn sich Situationen ähneln. Nie weiß ich, welche „Riesen“ hier auf mich warten. Manche Interventionen werden unter anderen Voraussetzungen schon als „übergriffig“ erlebt, wo sie doch in anderen Situationen hilfreich gewesen waren.

Im Verlauf der Mediation steigen vielleicht Zweifel, Unsicherheiten und ein gewisses Zögern als Indikatoren dafür auf, dass die Mediation nicht so verläuft, wie ich mir das vorgestellt habe oder vorstelle. Und dann suche ich nach Lösungen. Wichtig ist dabei, dass wir Wahrnehmungen von Bewertungen unterscheiden können. Wir sollten in der Lage sein, innerlich für uns Ziele zu formulieren und Wege zu den Zielen zu finden und zu gehen. Durch das methodische Vorgehen (Refraiming, zirkuläre Fragen, Verbalisieren) verschaffen wir uns Gewissheit darüber; aber wir steuern den Prozess nicht direktiv. Die Einstellung „Ich weiß jetzt Bescheid“ ist eher hinderlich. Eine Offenheit für Neues sollte immer noch da sein.

Die Reflexion der eigenen Einstellung und Einschätzung ist also notwendig. Wir sind mit der Reflexion quasi im Dialog mit uns selbst, der aber nicht den Ablauf der Mediation gefährden soll. Wir gehen „in uns“, wir lassen das Gesagte Revue passieren, beobachten Verhaltensweisen – aus einer Metaposition heraus. Vielleicht ist eine bestimmte Äußerung oder ein bestimmtes Verhalten der Medianten Anlass zu dieser Reflexion. Da ist eine Beobachtung, die wir nicht einordnen können und die unsere innere Aufmerksamkeit erzeugt. Etwas Unverständliches. Etwas Ungewöhnliches. Mit Fragen suchen wir nach „Erklärungen“. Wir sind offen, uns auf diesen Prozessverlauf einzulassen, ohne eigene Annahmen und Einstellungen zu favorisieren. Im Gegenteil: Ich stelle mich und mein Denken in Frage. Und mehr noch: Ich reflektiere weniger über das eigene Verhalten oder über das Verhalten der Medianten, sondern darüber, wie mich innere Bilder oder gar Interpretationen in meinem Tun und in der Mediation selbst steuern (könnten).

Mit der Mediation und in meiner Rolle als Mediator nehme ich ja unzweifelhaft eine Steuerungsaufgabe wahr. Daher muss ich mir über mein eigenes Tun und meine innere Verfasstheit klar sein. Bewusst sein. Immerhin soll mit der Mediation eine Veränderung bei den Medianten angestoßen oder bewirkt werden. Nicht ich gebe aber – idealerweise – den Anstoß und Impuls dazu, sondern die Medianten selbst. Ich bin mehr der Kanal, durch den sie sich äußern und austauschen. Und spiegele nur das Gesagte wider. Es könn(t)en sich neue Einstellungen herauskristallisieren, neue Kommunikationsmuster, so dass ich von Windows 1 zu Windows 2 wechseln kann. Die entscheidende Frage aber lautet: „Was steuert mich beim Steuern in der Mediation?“

Ist es meine Erfahrung? Ist es mein Know-how? Sind es Informationen, die ich erhalten habe? Sind es Emotionen meinerseits oder die Emotionen der Medianten? Was steuert mich also? Sind es Vorstellungen, wie etwas zu sein hat? Sind es Werte, die mich prägen? Ist es meine Sicht auf die Welt, wie ich sie verstehe? Was auch immer. Wir dürfen gewiss sein, dass unser Verhalten auch unbewusst von unserem beruflichen und persönlichen Werden bestimmt wird. Es gibt folglich Prämissen und Prinzipien, die mein Vorgehen im Rahmen der Mediation steuern. Darüber habe ich mir bewusst zu sein. Ich soll nicht der „Experte“ sein, sondern „nur“ ein Spiegel, eine Hilfe für die Medianten, eigene Lösungen zu generieren.

ARGYRIS und SCHOEN (1985)1 haben in diesem Zusammenhang ein Modell entwickelt, das für zwei grundlegende unterschiedliche Formen von Reflexion genutzt werden kann. Diese zwei Formen der Reflexion betreffen mein Tun und mein Denken – und sind:

  1. Reflexion als Verbesserungslernen (single-loop-learning)
    Anlass sein könnten eine gescheiterte Intervention, die nicht die beabsichtigte Wirkung hatte – oder aber: Verhaltensweisen, die nicht in mein bisheriges Erklärungsmodell passen. Die Frage steht im Vordergrund: Was war das gewünschte Ziel und warum bin ich gescheitert? Die Reflexion erfolgt dann als ein Nachdenken über das eigene Tun. Es sind manchmal nur Sekunden, in denen ich „nachbessere“ („Vielleicht habe ich mich ungeschickt ausgedrückt“) oder meine Strategie und mein Handeln optimiere.
  2. Reflexion als Veränderungslernen (double-loop-learning)
    Hier geht es um das Nachdenken über das eigene Denken. Also um die Motivation für meine Aufmerksamkeit, für meine Annahmen, für meine inneren Bilder. Was hat mich dazu veranlasst? Warum bin ich diesem Strang des Mediationsprozesses gefolgt? Erst das double loop learning ermöglicht mir zu verstehen, was ich tue.Es entstehen für mich neue Handlungsoptionen, die mein bisheriges Denken reflektieren.

Mit der „Reflexion“ in der Mediation geht es letztlich darum, mich selbst immer wieder zu fragen, wie ich Interventionen gestalte, wann ich sie einsetze und wann eine Mediation für mich letztlich „erfolgreich“ ist. Das sind klare und eindeutige Fragen, die sich jeder Mediator stellt oder stellen muss und wohl auch stellen wird. Er kommt an diesem reflexiven Vorgehen nicht vorbei. Die eigene Zufriedenheit des Mediators, darauf hat auch Arthur Trossen immer wieder hingewiesen, ist ein Erfolgsgeheimnis der Mediation. Mediation kann Freude machen; sie kann ein hilfreiches Werkzeug für die Medianten sein. Auf den Mediator und dessen Persönlichkeit kommt es aber an!

In der Systemischen Beratung hat sich, wie ich aus meiner Ausbildung weiß, seit Jahren das „Reflektierende Team“ als zusätzliches Werkzeug der Gesprächsführung bewährt. Hier hat der Berater mit Hilfe von Co-Beratern manchmal die Möglichkeit, über sein eigenes Handlungsgeschehen zu reflektieren. Er erhält von außen Impulse, die ihm im Gesprächsverlauf helfen und mögliche Sackgassen vermeiden. Das entlastet ihn enorm. In der Mediation erfolgt der Prozess der Steuerung über die Wahrnehmung, Hypothesenbildung, Interventionsplanung und deren Umsetzung und vieles andere mehr. Ein insgesamt komplexer Prozess, dem der Mediator manchmal hilflos oder „überfordert“ gegenübersteht. PATERA2 sieht daher auch die Notwendigkeit der „Verlangsamung“ und des „Aussteigens aus der Dynamik“ innerhalb der Mediation, um in ein double-loop-learning (Reflexion des eigenen Denkens) einzusteigen. Damit soll vermieden werden, dass der Mediator quasi in einen eigenen inneren Film einsteigt, der ihn von den Medianten „löst“. Die Alternative wäre ein Unterbrechen des Mediationsprozesses, bei dem eigene Beobachtungen, Annahmen und Erklärungen den Medianten mitgeteilt werden. Dazu ist aber die Bereitschaft der Medianten erforderlich. Andererseits wird dieses „Offenlegen“ von Mediatoren aber häufig als bedrohlich erlebt, da sie mit ihrem Innenleben für die Medianten förmlich offen stehen.

Dass Reflexionen wichtig und notwendig sind, steht außer Frage. Im Rahmen der eigentlichen Mediation sind sie – mehr oder weniger – nur begrenzt möglich. Daher sind Reflexionsprozesse in der Ausbildung zum Mediator zentrale Bestandteile. Reflexion verändert dabei die eigenen mentalen Modelle, unterstützt die Selbststeuerung und –organisation, schafft Orientierung und Entlastung, steigert die Wahrnehmungsfähigkeit, stärkt das Selbstvertrauen, gibt Mut zu eigenen Mediationswegen und fördert die ständige Verbesserung der Dienstleistungsqualität. Alles also Früchte der Reflexion.

Beitrag von Hugo Kopanitsak

Literaturhinweis:

1 D. Schoen: The Reflective Practioner; in: Ch. Argyris (Ed), Strategy, Change and Defensive Routines. Boston, 1985

2 Mario Patera: Wissen Sie, was Sie tun? Reflexion als Veränderungslernen: eine Kernkompetenz von MediatorInnen, in: perspektive mediation, 2006, I, S. 9-14 (Artikel lohnt sich zu lesen. Impulse habe ich aus diesem Artikel)