In einer Welt, in der das Individuum immer mehr auf sich selbst gestellt ist, hat die Mediation Hochkonjunktur

Friedensgespräche zum Nahost-Konflikt im Juli 2000: Ex-US-Präsident Bill Clinton vermittelte zwischen Israels Premier Ehud Barak und Palästinenser-Präsident Yasser Arafat in Camp David.

Von Eva Pfisterer

Immer mehr Menschen gehen nicht zum Richter, sondern zum Mediator.
Spezielle Form von Vermittlung erfordert zuhören, ohne zu urteilen.

Es gibt keine absoluten Sicherheiten. Das macht es noch viel schwerer, mit sich selbst, seinen Ängsten und Konflikten umzugehen. Davon zeugen Krisen um uns sowie die Weltliteratur.

Graf Almaviva konnte den Wert seiner Person, seinen Status, seine Stellung in der Welt noch von seinem Geburtsrecht ableiten. Darauf beruft er sich auch, wenn er in „Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro“, autoritär seine Wünsche durchsetzen will. Doch schon Pierre Augustin Caron de Beaumarchais stellt in seinem Theaterstück, das als Vorlage für Mozarts Oper diente, kurz vor der französischen Revolution dieses Geburtsrecht, von dem sich alle Rechte ableiten, massiv infrage.

Menschen sine nobilitate konnten sich weder in der Vergangenheit noch heute der Zuwendung von außen sicher sein. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit richtet sich danach, in welcher Machtposition oder Hierarchie wir stehen. Aber auch darauf ist kein Verlass. Je mehr sich klassische Utopien von einer besseren Gesellschaft mit einem menschenwürdigen Leben für alle durch den real existierenden Sozialismus diskreditiert haben, ist auch das Ziel eines gesellschaftlich organisierten Glücks für viele obsolet geworden. Konjunktur hat die individuelle Suche nach Glück.

Verantwortung abgeben

In einer Welt, in der das Individuum somit zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen ist, wird noch offenkundiger, dass wir nicht gelernt haben, wie wir mit uns selbst und unseren Konflikten umgehen. Für diese Fragen sind schließlich keine Schulstunden reserviert. Und weil wir mit Konflikten nur unzureichend umgehen können, geben wir die Verantwortung dafür ab. An Heere von Spezialisten, Psychotherapeuten, Rechtsanwälte und Richter. In endlosen Rosenkriegen, bei denen um die gemeinsame Wohnung, das Sorgerecht für die Kinder und die Höhe des Unterhalts gestritten und das Leid der Kinder oft dadurch vergrößert wird, versuchen sich die Streitenden mit allen Mitteln gegen den anderen durchzusetzen. Was oft kaum etwas bewirkt. Bei verhärteten Fronten hilft oft nur noch der Gang zu einem der mittlerweile 3000 eingetragenen Mediatoren in Österreich.

„Solche Streitigkeiten können mittels Mediation schonender und nachhaltiger geregelt werden“, sagt der deutsche Mediator und Buchautor Arthur Trossen, der kommenden Samstag in Wien vorträgt: „Ein Richter kann der einen oder anderen Partei recht geben. Aber damit ist der Beziehungskonflikt noch lange nicht gelöst.“

Bei Gericht geben die Kontrahenten ihren Konflikt an den Richter und an die Anwälte ab. Bei der Mediation übernehmen die streitenden Parteien hingegen die Verantwortung und bemühen sich, mit externer Hilfe Lösungen zu finden. „Das gibt auch die Chance, an Konflikten zu wachsen und zu reifen“, sagt Trossen.

Der ehemalige Familienrichter muss es wissen. Seinen beruflichen Wechsel begründet er damit, dass er im Zuge seiner Tätigkeit entdeckt habe, dass er von seiner Mentalität her eigentlich gar kein Richter sei: „Ich glaube an die Eigenverantwortung der Menschen und ihre Fähigkeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Das ist für einen Richter nicht unbedingt eine Grundhaltung.“ Eine gemeinsame Lösung zu suchen, statt sie wie bei Gericht einseitig durchzusetzen, ist für Trossen der Vorteil einer Mediation.

Fehlende Kommunikation

Die Ursache eines Konflikts liegt zumeist in fehlender Kommunikation. Aufgestaute Emotionen verhindern, dass einander zugehört wird. Deshalb müssen die Streitenden gleich zu Beginn die Möglichkeit haben, ihre jeweiligen Sichtweisen zunächst ausführlich darlegen zu können. Und dabei Dampf abzulassen.

„Die Kontrahenten müssen erst einmal durch den emotionalen Sumpf gehen. Ohne eine solche Bereinigung ist eine Auseinandersetzung über Sachfragen, ganz besonders bei Beziehungskonflikten, nicht möglich“, erläutert Trossen. Der Vorteil sei, dass die Gegenseite immer mithört. Hat der Mediator eine einfühlsame Art, kann sie eine andere Sicht auf den Konfliktpartner erlangen.

Der Mediator fasst das Gesagte immer wieder zusammen und meldet durch Paraphrasieren (Wiederholen in eigenen Worten) den Bedeutungsinhalt zurück, sodass sich die Streitenden wie in einem Spiegel sehen. Gefühle, die beim Erzählen mitschwingen, spricht der Mediator an. Dadurch sollen sich die Parteien verstanden und ernst genommen fühlen. Auf diese Art und Weise soll vertrauen geschaffen werden – eine Grundlage der Mediation.

Marshall A. Rosenberg – der Begründer der gewaltfreien Kommunikation, bei der eine wertschätzende Beziehung im Vordergrund steht – beschreibt die Empathie als das respektvolle Verstehen der Erfahrungen anderer. Ähnliches gilt für den Mediator. „Die Empathie fordert uns auf, unseren Kopf leer zu machen und anderen mit unserem ganzen Wesen zuzuhören“, so Rosenberg.

Zuzuhören, ohne zu urteilen, ist auch die zentrale Voraussetzung für die Mediation. Die Konfliktparteien, auch Medianten genannt, hören nämlich oft zum allerersten Mal, was den anderen wirklich bewegt und welche Gefühle und Interessen hinter den scheinbar festgefahrenen Positionen liegen. „Erst durch die Offenlegung kann der Handlungs- und Lösungsraum erweitert und die Konfliktsituation in eine Win-Win-Situation umgewandelt werden“, ist Trossen überzeugt.

Ist diese spezielle Form des Vermittelns erlernbar? „Argumentations-, Frage- und Kreativitätstechniken sind erlernbar. Ob jemand aber ein guter Mediator ist, hängt auch von seiner Erfahrung, seiner Lebensweisheit und dem einfühlenden Verstehen, der Empathie, ab“, sagt Amin Talab, Mediationslehrgangsleiter in Wien und Vorsitzender der Integrierten Mediation Österreich. Die schwierigste Aufgabe sei, beide Seiten zu sehen, ohne selbst innerlich Partei zu ergreifen. Mediation, warnt Talab, sei „kein magischer Zauberstab, kein Richter und keine Befehlsgewalt, sondern eine auf Freiwilligkeit aufgebaute Zusammenkunft: Wenn eine der beiden Seiten absolut nicht will, ist auch der beste Mediator chancenlos. Die Mitarbeit des Medianden ist Voraussetzung für den Erfolg.“

Auch gibt es keine Garantie für Versöhnung und Harmonie. Den Vorteil sehen Trossen und Talab vielmehr darin, dass der ganze Mensch in seiner emotionalen, rationalen, kulturellen und sozialen Dimension ernst genommen und gehört werde.

Höheres Selbstwertgefühl

Selbst wenn eine Einigung ausbleibt, muss eine Mediation nicht umsonst gewesen sein. Denn ein Mediator kann auch das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl der Konfliktparteien stärken, ihr Einfühlungsvermögen erhöhen und durch das Erkennen der Bedürfnisse hinter scheinbar festgefahrenen Positionen den Beteiligten die Augen für erweiterte Handlungsmöglichkeiten öffnen. Damit wächst die Chance, einen neuen Weg zu finden und den Blick von der Vergangenheit in die Zukunft zu richten.

In der Beantwortung der Frage, wie Menschen sich besser verstehen und verständigen können, sieht der Philosoph Konrad Paul Liessmann das Ziel aller Bildung. Dieses Ziel könnte man durchaus auch als das Anliegen der Mediation sehen. Sie bietet zwar nicht Sicherheit in der Welt an sich. Aber sie bietet die Gewissheit, dass die Medianden, selbst wenn sie keine Lösung finden, aus der Isolation des Konfliktdenkens heraustreten können. Und damit auch erkennen dürfen, dass Konflikte menschlich sind.

Wissen: Mediation

Mediation ist ein Verfahren der Konfliktlösung und heißt übersetzt „Vermittlung“. Gemeint ist die Vermittlung des Verstehens. Die Vermittlung in Streitfällen durch unparteiische Dritte. Dies ist besonders dann hilfreich, wenn Parteien in einer Sackgasse stecken oder nicht mehr miteinander reden. Mediatoren helfen als neutrale Vermittler den streitenden Parteien wieder ins Gespräch zu kommen, sich über ihre Gefühle und Interessen klar zu werden und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Voraussetzung ist die freiwillige Teilnahme aller Konfliktparteien. Ausgebildete Mediatoren kommen mittlerweile in nahezu allen Lebensbereichen zum Einsatz: Personalmanagement, persönliche Beziehungen, politische Konflikte, Nachbarschaftsstreits.

Am Samstag hält der deutsche Mediator Arthur Trossen einen Impulsvortrag mit anschließender Diskussion in Wien – 29. Jänner, 19.00 Uhr, Cafe Schottenring, 1010 Wien, Eintritt frei.

Erschienen: http://www.wienerzeitung.at/default.aspx?tabID=3941&alias=wzo&cob=540233

25.1.2011 Wiener Stadtanzeiger