Ein Interview mit der Mediation

Zu Wort zu kommen, das ist wohl eines der größten Anliegen der Mediatorinnen und Mediatoren. Der Mediatorentag sollte dies ermöglichen. Die Initiative ist für sich gesehen zu begrüßen. Sie sollte demokratisch anmuten.
Wer kommt zu Wort?
Sind es nicht nur diejenigen, die eine Lobby haben oder diejenigen, die am lautesten schreien können? Sind es nicht die Mächtigen selbst? Nein, so darf man nicht denken. In einer Demokratie kommt doch jeder zu Wort. Zumindest theoretisch. Er kann doch Parteimitglied werden oder sich einem Gremium anschließen. Das Volk ist doch der Souverän.

Und es steht doch in der Verfassung, wie sich das Volk zu äußern hat. Das Problem ist nur, dass Wahlen schon lange nicht mehr befriedigen. Das Kreuzchen auf dem Wahlzettel erlaubt nur eine allzu sehr reduzierte Kommunikation, das besagt ja gar nichts mehr. Und mal ehrlich: wer oder was steht denn überhaupt zur Wahl?

Schauen wir doch einmal, wer alles NICHT zu Wort kommt. Nehmen wir die Mediation und das Mediationsgesetz als Beispiel. Hier wird die Einstimmigkeit des Bundestages lobend erwähnt. Die Abgeordneten waren sich soooo einig, dass der Vermittlungsausschuss nicht weiß was er tun soll und dass man fürchtet, es könne keine ausreichende Mehrheit im Bundestag zustande kommen, falls der Vermittlungsausschuss seine Zustimmung verweigert. So viel zur viel gepriesenen Einigkeit. Das einzige was wir lernen ist lediglich, dass man schönen Worten gegenüber misstrauisch sein sollte. Es ist wie in der Werbung. Wer glaubt denn noch wenn ein Unternehmen behauptet das beste Produkt zu haben oder das mitarbeiterfreundlichste Unternehmen zu sein? Wenn alle das beste Produkt haben ist das Beste kein Superlativ mehr. Wenn die Mitarbeiterfreundlichkeit Mittel zum Zweck ist Mitarbeiter anzuwerben, dann ist sie eine Werbung kein Charakteristikum. Mithin teilen solche Phrasen mehr und mehr das Schicksal der Bannerwerbung im Web. Man klickt das Popup einfach weg oder schaut nicht hin. Manche schauen genauer hin. Mediatoren sollten bestimmungsgemäß in der Lage sein genauer hinzuschauen.

Tun sie es, dann stellen sie fest, dass es die sagenhafte Einstimmigkeit in Sachen Mediation NICHT gibt. Und wenn etwas als einstimmig dargestellt wird, dann kann man davon ausgehen, dass die Uneinigen einfach nicht zu Wort gekommen sind. Nichts anderes sagt und das politische Spiel in Bundestag und Bundesrat. Das ist leider nur ein symptomatisches Beispiel. Konsens jedenfalls fühlt sich anders an. Da kommen auch die zu Wort, die anders denken. Da hört man auch die Betroffenen an. Die, um die es eigentlich geht; die, die schließlich nachfragen und anwenden sollen. Da finden die Nichtorganisierten Gehör, die Einzelgänger, … , ja, ganz recht, das sind durchaus auch die, die etwas zu sagen hätten.

Ganz und gar nicht zu Wort kommt die Mediation selbst. Sie wird noch nicht einmal angesprochen. Es wird nur ÜBER sie gesprochen. Dabei ist die Mediation doch die Hauptperson – oder nicht? Aber richtig, das geht ja gar nicht. Wie sollte die Mediation denn auch angesprochen werden? Die Mediation kann ja gar nicht reden. Leider meinen die Einen. Gott sei Dank meinen die Anderen. Mit jemandem der nicht zu Wort kommt kann man es ja machen. Der kann sich ja nicht beschweren. Wenn das kein Irrtum ist?

Das Subjekt wird zum Objekt und niemand will es bemerken. Dabei kennen die Mediatoren doch Strategien und Interventionen wie solche Interessen zu verifizieren sind. Wie wäre es mit einem leeren Stuhl, der verdeutlicht, dass es da noch einen Interessenträger gibt?

Nun, wir geben der Mediation einen solchen leeren Stuhl und lokalisieren sie als eigenständigen Interessenträger, der auch einmal zu Wort kommen sollte. Man könnte sagen, dass die Mediation bisher von Vertretern ohne Vertretungsmacht repräsentiert wird. Offenbar fühlen sich ganz unterschiedliche Gruppierungen legitimiert. Wen aber würde die Mediation als ihren Repräsentanten legitimieren, wenn sie sich äußern könnte?

Wir von der Integrierten Mediation haben natürlich keine Mühen gescheut, dieser Frage nachzugehen. Wir haben deshalb die Mediation aufgesucht um sie selbst zu befragen.

Liebe Mediation, wen würden Sie bevollmächtigen, um Ihre Interessen wahrzunehmen?

So lautete die Frage unseres Reporters. Es war ein spannendes Interview, sagte er uns später. Er war auch noch nach dem Interview und sogar noch als er den Bericht abgeliefert hat tief beeindruckt von der Gelassenheit seiner Gesprächspartnerin. Hier die Aufzeichnung des Interviews.

Reporter: Ist es etwa der Bundestag, den Sie bevollmächtigen würden?

Mediation: Hmmm … Ich frage mich gerade, ob dieses Gremium überhaupt meine Interessen vertritt. Ich jedenfalls hatte noch keine Gelegenheit mit auch nur einem Abgeordneten selbst zu sprechen. Es hat mich auch niemand gefragt. Da geht es um Politik. Da geht es offenbar um etwas anderes. Solange ich das nicht durchblickt habe, ist der Bundestag nicht gerade das Gremium meines Vertrauens.

Reporter: Ist es etwa der Bundesrat, den Sie bevollmächtigen würden?

Mediation: Nun ja, da sieht die Angelegenheit kaum anders aus. Wenigstens scheint der Vermittlungsausschuss nachdenklich zu sein. Das schließe ich daraus, dass er bis heute trotz der behaupteten parlamentarisch seltenen Einstimmigkeit noch keine Entscheidung getroffen hat. Nachdenken ist nie ein Fehler. Aber unter uns gesagt: Ich würde ja darüber nachdenken, den Bundesrat zu bevollmächtigen, wenn er wenigstens versuchen würde, dieses aus meiner Sicht völlig unbedeutende Problem mittels der Mediation zu lösen. Dazu bin ich doch da oder nicht?

Reporter: Ist es die Anwaltschaft, die Sie bevollmächtigen würden?

Mediation: Ja, ja, die Anwaltschaft. Es hat mich verwirrt, dass sie die Mediation überhaupt als eine anwaltliche Tätigkeit deklariert hat. Ich bin mir gar nicht sicher, ob die Anwälte das auch so sehen. Wenn ich so manchen anwaltlichen Schriftsatz in die Finger bekomme, dann frage ich mich schon wo da die Mediation bleibt. Mir schein es so als würden dort noch immer die Positionen mit den Interessen verwechselt. Anerkennender Weise muss ich aber sagen, dass einzelne Anwälte durchaus verstanden haben worum es geht. Denen würde ich schon eine Vollmacht geben. Leider ist es mir jedenfalls von außen nicht erkennbar, welcher Anwalt das im Einzelnen ist.

Reporter: Wie steht es um die Richterschaft, würden Sie ihr eine Vollmacht ausstellen?

Mediation: Sie stellen aber schwierige Fragen. Ich denke, die Richter müssten ähnlich wie die Anwälte sich erst einmal klar darüber werden, was überhaupt ihr Auftrag ist. Die Richterschaft ist sich da ja selbst nicht einig.

Reporter: Würden Sie den Mediatoren eine Vollmacht ausstellen?

Mediation: Ich weiß nicht, wen Sie damit meinen. Nicht jeder kennt mich und ich kenne auch noch lange nicht jeden Mediator. Was ich begrüße ist, dass die Mediatoren ein sehr uneinheitliches Bild von mir zeichnen. Was ich nicht verstehen kann ist, dass sie dieses Bild nicht in seiner Vielfalt erfassen wollen oder soll ich sagen können? Ich denke oder besser gesagt ich hoffe dass dies auf dem Weg ist. Im Moment aber kann ich sagen, erkenne ich mich in dem Verhalten nicht wieder. Da muss erst Vertrauen hergestellt werden. Ich weiß dass sich die Mediatoren sehr darum bemühen. Ich kann auch wertschätzen, wie engagiert sie sind. Was ich nicht verstehe ist, das sie nicht auf sich selbst beziehen, was sie von Anderen erwarten. Also schauen wir mal.

Reporter: Da sind dann noch die Mediationsverbände. Wie steht es damit, würden Sie ihnen eine Vollmacht ausstellen?

Mediation: Also ich muss sagen, Ihre Fragen sind schon sehr herausfordernd. Aber ich will versuchen, sie so gut zu beantworten, wie ich es kann und wie es mir zusteht. Ich weiß gar nicht genau ob und wie viele Verbände es überhaupt gibt. Da sind ja nicht nur die Verbände, sondern auch die Kammern.  Ich selbst habe übrigens noch keinem einen Auftrag erteilt, für mich zu sprechen. Ich muss wiederum zugeben, es ist anzuerkennen, dass und wie man sich für mich einsetzt. Nur wundere ich mich, warum es diesen Legitimationsstreit gibt. Wie kann es sein, dass ein Verband die Legitimation des anderen in Frage stellt, ohne dies mit mir abgestimmt zu haben. Was mich aber noch mehr wundert ist die Art und Weise wie die Verbände miteinander umgehen. Da finde ich mich ehrlich gesagt nicht wieder. Ich verstehe aber die Ich-Botschaften.

Reporter: Ich bin jetzt etwas verwirrt. Gibt es denn niemanden, den Sie bevollmächtigen würden um Ihre Interessen zu vertreten?

Mediation: Es ist leider so, dass die Gruppierungen, die Sie bisher angesprochen haben irgendwo alle ein eigenes Interesse haben. Man sollte auch berücksichtigen, dass es noch andere Berufe gibt, denen die mediation nützlich ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Berufe in ihrer Not die eigenen Interessen überhaupt so weit zurückstellen können, dass auch meine Interessen zur Geltung kommen. Die wichtigsten möglichen Vertreter zum Beispiel sind noch gar nicht zu Wort gekommen. Das sind die Betroffenen und alle Menschen, die gerne im Frieden miteinander leben möchten. Sie müssen wissen, mir selbst kommt es nicht darauf an Geld zu verdienen oder andere dabei zu unterstützen, mit mir Geld verdienen zu können. Ich kann natürlich verstehen, dass dies ihnen wichtig ist und ich will auch nichts dagegen sagen. Mir jedoch wäre es wichtiger, den Menschen beizustehen und ihnen zu zeigen, wie man trotz aller Kontroversen friedlich miteinander zu guten Lösungen kommen kann. Für mich steht das friedliche Miteinander im Vordergrund nicht der Verdienst. Ich würde deshalb nur jemanden für mich sprechen lassen, von dem ich davon ausgehen kann, dass er alle Menschen im Blick hat und nicht nur sich und das Portemonnaie.

Reporter: Ist es nicht frustrierend für Sie, wenn es niemanden gibt der Ihre Interessen korrekt vertreten kann?

Mediation: Nein, ganz und gar nicht. Überlegen Sie doch mal, wie die Mediation damit umginge. Sie würde abbrechen, wenn eine Partei sich nicht repräsentiert fühlt und ihre Interessen nicht zur Geltung kommen. Die Mediation schützt sich selbst. Ein Mediator, der Interessen nicht in den Prozess einbezieht, begeht einen Kunstfehler. Er weiß dass Interessen, die nicht angesprochen werden, deshalb nicht beseitigt sind. Die Politiker und Lobbyisten scheinen dies zu vergessen. Ihre Wahrnehmung ist halt eingeschränkt. Wir wissen ja, dass Wahrnehmung interessenorientiert ist und da scheint es massive Interessen zu geben. Diejenigen, die erkannt haben, wozu die Mediation in der Lage ist, werden sie anwenden, so oder so. Ich habe so das Gefühl, meine wahren Freunde werden es still tun und für sich. Nehmen wir die Mediationsrichter als Beispiel. Im Moment befinden sie sich in einer Art Starre. Sie warten auf die Entscheidung des Gesetzgebers. Dabei geht es letztlich aber nur um die Frage des Etiketts. Die Richter sagen schon: „Wir werden uns die Mediation nicht mehr wegnehmen lassen. Wir werden sie anwenden und wenn der Gesetzgeber das verbietet, dann finden wir einen anderen Weg.“ Ich denke, das ist mein Potenzial. Und das ist es, was ich den Menschen geben kann. Ein Potenzial, nicht einen Namen. Der Name ist ganz unwichtig. Kritisches und kooperatives Denken ist wichtig und – ohne jetzt überheblich sein zu wollen – wer außer mir zeigt schon so deutlich, wie ein friedliches und kooperatives Miteinander jenseits der Konfrontation möglich ist? Die Integrierte Mediation beschreibt diese Zusammenhänge übrigens ganz gut. Hier geht es um den kognitiven Prozess weniger um Formalien und Besitzstände. Ich habe also keinen Grund um frustriert oder verzweifelt zu sein. Ich bin ergebnisoffen. Ich bin neugierig denn ich weiß von der Innovationskraft der Menschen. Die Menschen sind nicht so dumm wie sie von sich selber glauben. So gesehen ist es doch eine recht spannende Entwicklung. Ich werde dabei in jedem Fall ein Gewinner sein. Gelingt es nicht einen echten Konsens über mich herbeizuführen, der alle Menschen einbezieht ohne über sie zu urteilen, dann bedeutet das nicht meinen Tod. Es bedeutet meine Neugeburt. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif dafür. Aber seien wir doch mal ehrlich. Die Menschen haben doch keine andere Wahl. Manche brauchen nur etwas länger bis sie es kapieren.

Reporter: Das bedeutet: wir können weiter hoffen?

Mediation: Ja natürlich. Alles ist für irgendwas gut. Erkenntnis ist der erste Schritt. Wenn die Not größer wird, verändert sich die Wahrnehmung und damit auch die Erkenntnisbereitschaft. So gesehen ist doch alles auf dem Weg. Es braucht halt noch etwas Zeit. Man kann nichts erzwingen.

Reporter: Ich bedanke mich für das spannende Gespräch.

(c) Foto Critical Point of View (CPOV). Leipzig, Bibliotheca Albertina.
26 September 2010, Ziko van Dijk, via wikimedia