Nach meinem Verständnis hat der Begriff der integrierten Mediation eine doppelte Bedeutung: einmal als Metaverfahren, das sich über alle Verfahren der Konfliktbewältigung erstreckt, einmal als Möglichkeit, in Konflikten, die man selbst im Alltag erlebt, zu mediieren, ohne dabei als Mediator in Erscheinung zu treten. Mit letzterem habe ich in den vergangenen Monaten einige vielversprechende Erfahrungen gesammelt. In diesem Artikel möchte ich darüber berichten, um auch anderen Mut zu machen.

Mein Start als integrierte Mediatorin war recht holprig. Alles begann mit einem Rollenspiel vor der Gruppe während meiner Ausbildung. Arthur Trossen hatte uns die Prinzipien der integrierten Mediation erklärt und ich sollte bzw. durfte jetzt „mal machen“. Als normalgroße Frau mit eher schmalen Schultern war mein Rollenspielpartner ein kräftig gebauter, ca. 1,90 m großer junger Mann, der in seiner Rolle ziemlich auf Krawall gebürstet war und mich erst einmal nach allen Regeln der Kunst zusammenfaltete. Seine Dominanz stellte mich vor ein Dilemma – hätte ich in dem Moment zurückgepoltert, wäre ich emotional in den Streit verwickelt gewesen und hätte nicht mehr mediieren können. Ich ließ es bleiben und kam dann aus einem anderen Grund nicht weiter: Meine Versuche scheiterten daran, dass er sie einfach überging. Daraufhin dachte ich zunächst, dass Arthur sich da zwar etwas Schönes ausgedacht hat, dass dies in der Praxis jedoch nicht funktionieren würde.

Glücklicherweise habe ich mich von dieser Erfahrung nicht entmutigen lassen und es dann doch ausprobiert. Der Gedanke, dass man alltägliche Konflikte auf diese Weise lösen kann, ohne sich in kräftezehrende Diskussionen zu verwickeln, war einfach zu verlockend. Die erste Schwierigkeit, die man überwinden muss, ist, sich emotional aus dem Konflikt herauszuhalten. Man kann keine Phasenlogik einhalten, wenn man von seinen Gefühlen überwältigt wird. Das war für mich zunächst eine große Hürde. Irgendwann stellte ich fest, dass ich am besten damit fahre, den Konflikt und das, was mein Gegenüber sagt, als reine Denksportaufgabe zu sehen. Am Anfang hatte ich dabei ein schlechtes Gewissen, denn ich kam mir „kalt“ und „berechnend“ vor. Doch die Erfahrungen, was geschieht, wenn ich das so mache, haben mich bald eines besseren belehrt.

Nach diesen positiven Resultaten merkte ich, dass es zwar mit der integrierten Mediation nun einigermaßen klappte, wenn mein Gegenüber mich von gleich zu gleich behandelte, doch mit dominanten Personen, die sich als mir übergeordnet empfinden, hatte ich weiterhin das gleiche Problem wie in meinem ersten Rollenspiel. Das Phänomen tritt ja auch in regulären Mediationen auf, bei denen der Mediator eine dritte Person ist. Mit Hilfe der triadischen Brücke und im Ping-Pong-Verfahren ist es relativ einfach, hier für einen Ausgleich zu sorgen. Doch wie verhält man sich, wenn man gleichzeitig Konfliktpartner, integrierter Mediator und in der „untergeordneten“ Rolle ist? Allein von der emotionalen Seite her ist das schon doppelt schwierig, denn man ärgert sich ja nicht nur über den Konflikt, sondern auch noch darüber, dass das Gegenüber einen einfach nicht respektiert. Die Frage die sich mir stellte, war also, wie man sich den nötigen Respekt verschaffen kann, um gehört zu werden, ohne den Konflikt dabei weiter anzuheizen.

Auf diese Frage hatte ich zunächst keine Antwort, bis mir nach einiger Zeit klar wurde, dass es sich dabei im Grunde genommen um ein Problem der Abgrenzung handelte. Und dazu gibt es eine reichhaltige Literatur. Ein Klassiker ist „Sag nein ohne Skrupel“ von Manuel Smith. Er schreibt, dass unser Gefühl für Selbstachtung wichtiger als alles andere ist und dass man Übertretungen dieser Selbstachtung konsequent begegnen muss. Praktikable Kompromisse kann man erst anbieten, wenn man sich sicher ist, dass die eigene Selbstachtung nicht angetastet wird.

[1] Ich übertrug dieses Prinzip auf die integrierte Mediation: Ich kann damit erst beginnen, wenn ich sicher bin, dass meine Selbstachtung nicht angetastet wird.

Nun fiel es mir auch wieder leichter, in meinen Denksportmodus zurückzukehren: Im Konfliktfall muss ich anfangs darauf achten, ob mein Gegenüber meine Selbstachtung antastet. Falls ja, muss ich mich erst einmal allein darauf konzentrieren. Wichtig dabei ist, dass man sich zwar selbst abgrenzt, aber gleichzeitig überdeutlich zeigt, dass man die Grenzen des anderen respektiert. Dadurch kommt es nicht zu einer weiteren Verschärfung des Konflikts. Dies muss man so lange fortsetzen, bis der Konfliktpartner seine dominante Haltung aufgibt. Darauf muss eine gründliche und gewissenhafte Phase 1 folgen, in der man zeigt, dass einem an einer Lösung gelegen ist, aber darauf beharrt, dass das Gegenüber dies auch klar und deutlich ausspricht. So hat man eine solide Metaebene, auf die man ggf. immer wieder zurückkommen kann.

In meinem Fall ergab sich nach dieser Phase 1 direkt eine Phase 2, in der wir vereinbart haben, über welche Themen wir miteinander sprechen wollen und über welche nicht. Weitere Phasen waren gar nicht nötig, da unser Verhältnis seitdem reibungslos funktioniert. Dies ist ein kleines Wunder, da es sich um einen jahrelangen, hocheskalierten Konflikt mit über zwei Jahren Funkstille gehandelt hatte. Ich habe diese Funkstille gebrochen, natürlich, weil ich sehr darunter gelitten hatte, aber auch, weil es mich gereizt hat, meine neuen Erkenntnisse auszuprobieren. Das, was hier geschehen ist, hat meine Erwartungen bei weitem übertroffen und gezeigt, dass die integrierte Mediation funktioniert, auch wenn es einem anfangs unmöglich erscheint.

Nach meinen Erfahrungen sollte im Fall der integrierten Mediation die Phase 1 um einen Schritt erweitert werden. Wenn man gleichzeitig Konfliktpartner ist und als Mediator handelt, ohne, dass das nach außen hin zutage tritt, hat man hinterher keine Möglichkeit mehr, ein evtl. vorhandenes Machtgefälle auszugleichen, da bei dieser Art der Mediation ein wesentlicher Aspekt der triadischen Brückenfunktion wegfällt. Es ist also wichtig, als erstes darauf zu achten, ob der Konfliktpartner einen respektiert oder nicht. Falls ja, kann man einfach wie gewohnt mediieren, falls nein, müssen erst die Grenzen abgesteckt werden. Dabei muss der Mediierende gleichzeitig seine Grenzen setzen und die des anderen überdeutlich respektieren, damit der Konflikt nicht weiter eskaliert. Wenn man das beachtet, sind kleine Wunder möglich.


[1] Manuel Smith, Sag nein ohne Skrupel, München 2003, S. 81

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