„Streitkultur im Wandel“

Vom 11.-13. Juni 2015 fand in Hamburg unter dem Motto „Streitkultur im Wandel – weniger Recht?“ der 66. deutsche Anwaltstag statt. Hieran habe ich als „Standbesatzung“ für unseren Verband Integrierte Mediation teilgenommen. Gerne fasse ich meine Gedanken zu meinen Eindrücken einmal zusammen:

Zur Thematik der „Streitkultur im Wandel“ muss ein Mediationsverband etwas beizutragen haben.

1.

Kultur ist letztlich (gesellschaftlich) vereinbartes und gelerntes Verhalten, das soziale Akteure wechselseitig antizipieren, voneinander erwarten. Dies gilt auch für die Kultur des Streits; auch hier gibt es vereinbartes und gelerntes Verhalten.

Es ist dann ein zentraler Gedanke der Mediation, dass sich künftiges Verhalten interessenbasiert – konkret zur Beilegung eines Streits – vereinbaren lässt. Auch ohne gesetzliche Normerwartung.

2.

Für solche kulturellen Gestaltungsvorgänge sind Anwälte wichtige Multiplikatoren.

Als Organe der Rechtspflege und „geborene Berater“ der Konfliktbetroffenen und Rechtssuchenden prägen sie das Bild des Verhaltens im „Streit“. Sie beeinflussen die „Streitkultur“, die eine Zusammenfassung dieses Bildes ist, dadurch erheblich.

Überdeutlich wurde mir auf dem Anwaltstag, dass das Leben und Wirken der anwaltlichen Multiplikatoren aktuell drei großen Trends unterworfen sind. Diese sind (in Anlehnung an Richard Susskind, Tomorrow`s Lawyers, Oxford 2012, S. 3 ff.):

  • Liberalisierung,
  • „Mehr für Weniger“ (im Sinne von Leistung gegen Geld),
  • Fortschreiten der Informationstechnologie.

Die Stände und Themen, die mir während des Anwaltstages begegneten, sind so gut wie immer „Symptom“ jedenfalls einer dieser Entwicklungen gewesen:

Das Anwaltsleben wird – Fluch und/oder Segen – immer weniger stark (berufsrechtlich) reglementiert, die Mandantschaft wird zunehmend kostensensibler und Informationstechnologie schrittweise ab dem 01.01.2016 (vorgeschriebene elektronische Erreichbarkeit für Anwälte) einer prägendsten Faktoren in Kanzleien sein.

Exemplarisch und deutlich habe ich das bei den sympathischen Betreibern unseres Nachbarstandes auf dem DAT gesehen: „Jurato“. Hier geht es um Vermittlung von Mandaten über eine (Internet-) Plattform. Anwälte können hier überregional und mit größter Kostentransparenz an Mandanten unter Nutzung diverser Technischer Möglichkeiten vermittelt werden.

Diese Trends werden daher erhebliche Einflüsse auf die „Streitkultur“ haben. Mediatoren müssen sie beachten:

  • Der Kommentar „Mediation (un)geregelt“, der der „Star“ unseres Stands auf der Messe war, trägt einen „Kommentar“ zur Liberalisierung bereits im Titel: Mediation ist regulierungsfeindlich – die Medianten vereinbaren ihr eigenes Prozessrecht. Dies ist eine Antwort der Mediation auf die vorgenannten Trends: es ist der Befürwortung und Förderung wert, wenn es eine Kultur gibt, in der erwachsene Akteure ihre Probleme selbst lösen.
    Insofern: „weniger Recht“ ja – aber an den richtigen Stellen. Vielleicht kann man auch sagen: gerne weniger unnötige Regulierung unter Gewährleistung des Zugangs „zum Recht“.
  • Eine Antwort, die die Mediation entgegen häufiger Vermutung auf den zweiten Trend nicht gibt, ist, dass sie „mehr für weniger“ bietet. Mediation ist nicht immer „schneller und besser“; sie ist in bestimmten Fallgestaltungen geeignet und sinnvoll, etwa häufig dort, wo Arbeitsbeziehungen aufrechterhalten werden sollen oder eine hohe Komplexität von Gegenständen und Konfliktlagen gegeben ist. In solchen spart sie tatsächlich Zeit und Geld und fördert nachhaltige Ergebnisse.
  • Der Nutzung von Informationstechnologien wird sich die Mediation gleichfalls nicht verschließen können. Sie steht dort vor der Herausforderung, dass das Wesen der Mediation auch im virtuellen Raum erhalten wird, heißt, wie kann unter den Einflüssen der Informationstechnologie ein Erkenntnisprozess eingeleitet und transportiert werden, der zu einer interessenbasierten Konfliktlösung führt (?).

Der Beitrag der integrierten Variante der Mediation kann hier ein wertvoller sein, da er sehr flexibel ist. Der Erkenntnisprozess im Wege des Suchspiels – gglfs. erst nach Wechsel vom Nullsummenspiel -, der die eigentliche DNA der Mediation ist, profitiert von der Liberalisierung der Verfahren, die er hybridisiert; er kann tatsächlich zu einem echten Mehrwert der Parteien führen, die so „Mehr“ erhalten; schließlich stört er sich auch nicht an Virtualisierung, da das Konzept sich auch unter Nutzung von Fernkommunikation im weitesten Sinne umsetzen lässt.

Die Zeiten sind spannend. Nutzen Sie die Möglichkeiten.

Peter Wallisch