In der letzten Zeit habe ich viele Diskussionen über das Verhalten, Pflichten und natürlich die Haltung erlebt. Darf ich mich von meiner Frau trennen, wenn sie unheilbar krank ist, nur weil ich eine andere habe? Fragen wie diese werden an der Moral gemessen. Es ist eine Herausforderung für Mediatoren. In dem weiteren Gesprächsverlauf nach Anwendung der Mäeutik kommen wir dann schnell und immer wieder auf das Thema „Verantwortung“. Es ist auch in Thema in der Mediation, das auch den Mediator betrifft.

Moral ist die Handlungsanweisung an den Einzelnen, gemessen an den Normen der Gruppe. Sie beinhalten ebenfalls eine Zuweisung von Verantwortung. Wen wundert es, wenn die Verantwortung auf Einzelne abgewälzt wird. Das ist nicht verwerflich – eher verständlich. Die Frage ist also auf wen kann und soll sie abgewendet werden?

Das Thema Verantwortung ist nicht neu und die dahinter verborgenen Sichtweisen und Erkenntnisse zur Wahrnehmung auch nicht. Ich erinnere Epiktet (mein Lieblingsphilosoph), der vor mehr als 2000 Jahren sich zu solchen Fragen im „Handbuch der Moral“ geäußert hatte. Dort finden wir eine ganz einfache Logik in dem folgendes Zitat:

„Das eine steht in unserer Macht, das andere nicht. In unserer Macht stehen: Annehmen und Auffassen, Handeln, Wollen, Begehren und Ablehnen – alles, was wir selbst in Gang setzen und zu verantworten haben. Nicht in unserer Macht stehen: unser Körper, unser Besitz, unser gesellschaftliches Ansehen, unsere Stellung – kurz: alles, was wir selbst nicht in Gang setzen und zu verantworten haben.

Was sich in unserer Macht befindet, ist von Natur aus frei und läßt sich von einem Außenstehenden nicht behindern oder stören; was sich aber nicht in unserer Macht befindet, ist ohne Kraft, unfrei, läßt sich von außen behindern und ist fremdem Einfluß ausgesetzt. Denk daran: Wenn du das von Natur aus Unfreie für frei und das Fremde für dein Eigentum hältst, dann wirst du dir selbst im Wege stehen, Grund zum Klagen haben, dich aufregen und aller Welt Vorwürfe machen; hältst du aber nur das für dein Eigentum, was wirklich dir gehört, das Fremde aber für fremd, dann wird niemand jemals Zwang auf dich ausüben, niemand wird dich behindern, du brauchst niemandem Vorwürfe zu machen oder die Schuld an etwas zu geben, wirst nichts gegen deinen Willen tun, keine Feinde haben, und niemand kann dir schaden; denn es gibt nichts, was dir Schaden zufügen könnte. …“

Was lernen wir daraus?

1. Weisheit ist keine Erfindung der Gegenwart.

2. Selbst mehrere tausend Jahre haben nicht gereicht, diese (oder ähnliche) Weisheit(en) zu leben. Wir wissen z.B., dass Kriege nur Vernichtung bringen (den Meisten wenigstens). Kultur und Besitz zerstören, zu Unterdrückung und Unfreiheit führen. Trotzdem können wir nicht davon lassen.

3. Verantwortung endet da, wo die eigene Macht endet. Die Grenzen sind IMMER das eigene Ich. Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass andere sich korrekt, friedlich oder sonst wie verhalten. Ich bin aber verantwortlich dafür, dass ich mich korrekt friedlich oder sonst wie verhalte. Darüber habe ich unbegrenzte Macht.

4. Statt andere zu zwingen, sollte man sie motivieren etwas zu tun. (Dieser Appell richtet sich auch und insbesondre an den Gesetzgeber). Die Frage ist also nicht: Wie kann ich andere dazu bewegen etwas zu tun? Die Frage ist: Was muss ich tun (an mir ändern) dass andere sich ändern (falls das dann überhaupt noch gewünscht wird).

5. Der Mediator – so hört man oft – ist für das Verfahren verantwortlich. Tatsächlich sind die Parteien für das Verfahren verantwortlich (soweit sie es kennen). Der Mediator hat weder eine Legitimation (wenn der gesetzgeber das nicht auf den Kopf stellt) noch eine Macht über das Verfahren!!!! Er ist deshalb lediglich verantwortlich dafür, dass die Parteien in dem Prozess die richtigen Entscheidungen treffen können.

6. Der Markt / die Nachfrage gehört nicht den Mediatoren, wie sie auch keinem anderen gehört. Sie gehört dem Nachfrager. Man sollte also dem Nachfrager seine Macht belassen und ihn nur informieren, dass er sie korrekt ausüben kann.

7. Standards und Regeln neigen dazu, nicht zu informieren. Sie sollen vereinfachen und sind zur Vereinheitlich auch nötig. Nicht aber wo sie das Denken verhindern und unseren Medianden das nehmen, was wir Mediatoren ihnen eigentlich zusprechen wollen. Selbstverantwortung.

8. Selbstverantwortung ist selbst für sich verantwortlich sein. Ich bin also nicht verantwortlich dafür, dass ein anderer seine Selbstverantwortung trägt. Ich bin auch nicht verantwortlich es zu kompensieren, wenn er es nicht tut.

Epiktet war ein Schüler der Stoa. Die Stoiker sind für ihre innere Ruhe bekannt geworden. Die Philosophie und die Art des Denkens erläutert, warum sie so ruhig und gelassen sein konnten.

Ein Vorbild für die Mediation?

Ich denke ja. Wer mehr über Epiktet und die spätstoische Philosophie wissen möchte, kann sich hier informieren:

Es ist immer wieder überraschend, wie aktuell diese Sprüche und Weisheiten sind. Deshalb zitiere ich Epiktet zum Abschluss dieses Beitrages:

Nicht Sprüche sind es, woran es fehlt;
die Bücher sind voll davon.
Woran es fehlt, sind Menschen, die sie anwenden!

Ganz im Sinne der Selbstverantwortung bitte ich darin keinen Appell oder Aufruf zu sehen, iregndwelche Regeln zu befolgen. Das ist jedermanns persönliche Entscheidung. Besser ist es, darin einen Hinweis und eine Einladung zur Selbstreflexion zu sehen. Dann mag jeder für sich selbst entscheiden wie er mit seiner Erkenntnis umgeht. Aber bitte: Die Verantwortung endet spätestens dort, wo ich denke, das ich Selbstverantwortlich zu handeln habe. Das ist dann der Bereich des Selbst, in den man sich nicht gerne hinienreden lässt. denn ließe man dies zu, dann verriete man seine  Selbstverantwortung.