Auf der Konferenz in Fort de France stellte eine erfahrene Mediatorin in einem Workshop die Frage, wie mit folgendem Fall umzugehen sei: In einer Mediation, bei dem es um einen Vater Sohn Konflikt geht, erzählt der Sohn der Mediatorin, dass er von seinem Vater geschlagen wurde. Er zeigte ihr die blauen Flecke am Arm. Er beklagte das Verhalten des Vaters, wollte aber auch nicht, dass die Mediatorin den Vater mit der Information konfrontiert. Er hatte Angst vor den Konsequenzen.

Die Diskussion erfolgte vor einem internationalen Kontext. Es waren Mediatoren der ganzen Welt vertreten in dem Workshop. Die meisten Teilnehmer waren Richtermediatoren. Spannend war, dass die Grenze der Verschwiegenheit nun mit einer Anzeigepflicht gleich gesetzt wurde.

Die Verschwiegenheit in der EU Direktive beschreibt aber nur die Schweigepflicht, keine Informationspflicht. Die Vorschrift lautet:

Article 7 – Confidentiality of mediation
Given that mediation is intended to take place in a manner which respects confidentiality, Member States shall ensure that, unless the parties agree otherwise, neither mediators nor those involved in the administration of the mediation process shall be compelled to give evidence in civil and commercial judicial proceedings or arbitration regarding information arising out of or in connection with a mediation process, except:
(a) where this is necessary for overriding considerations of public policy of the Member State concerned, in particular when required to ensure the protection of the best interests of children or to prevent harm to the physical or psychological integrity of a person; or
(b) where disclosure of the content of the agreement resulting from mediation is necessary in order to implement or enforce that agreement. 

Die Direktive besagt, dass ein Mediator grundsätzlich nicht als Zeuge benannt werden kann. Genau genommen besagt sie, dass ein Mediator nicht gezwungen werden soll, in einem Prozess als Zeuge auszusagen. Ausnahmen ergeben sich, wenn dies die Parteien anders vereinbaren, wenn öffentliche Interessen entgegen stehen oder wenn es das Gesetz anders regelt. Das bedeutet, dass ein Mediator eingeschränkt im Verhältnis zum Anwalt, in den genannten Ausnahmefällen vor Gericht aussagen muss. Es bedeutet nicht, dass der Mediator seine Aussage etwa durch eine Anzeige herbeizuführen hat. Die Frage der Anzeigepflicht ergibt sich aus dem nationalen Recht. In Deutschland gibt es dazu ein Gesetz, nämlich § 138 StGB. Danach besteht eine generelle Anzeigepflicht für jedermann nur bei nur bei bestimmten geplanten Straftaten: Hochverrat, Landesverrat, Geld- und Wertpapierfälschung, Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Raub, Erpressung und gemeingefährliche Straftaten. Die Strafvereitelung des § 258 StGB ist nicht einschlägig. Diese Vorschrift betrifft eine aktive Vereitelung der Strafverfolgung. Sie kann zwar auch durch ein Unterlassen begangen werden. Allerdings erfordert dies eine sogenannte Garantenpflicht, also eine rechtliche Verpflichtung zum Handeln. Eine allgemeine Rechtspflicht zur Anzeige erginbt sich nicht. Eine über diese gesetzlichen Vorschriften hinausgehende Anzeigepflicht des Mediators ist weder geregelt noch zu regeln beabsichtigt.

Da die Tat des Vaters in der Vergangenheit liegt, ist im vorliegenden Fall (nach deutschem Recht) keine Anzeigepflicht gegeben. Im Workshop kam nun eine heiße Diskussion auf, dass man doch die Interessen des Kindes schützen müsse und vor allem seine Gesundheit. Jetzt offenbarten sich die Phantasien der Mediatoren. Was wäre wenn … Es mag sein, dass der Sohn bei dem Vater mit weiteren Übergriffen rechnen muss. Das war aber weder vorgetragen noch bekannt. Weil sich die Mediatorin in einem Einzelgespräch (Caucasing) befand, tauchte die spannende Frage auf, inwieweit das Causcasing im Verhältnis zu den Parteien untereinander eine separate Verschwiegenheitspflicht erzeuge. Hier wurde man sich schnell einig. Die Informationen im Einzelgespräch werden nur dann und insoweit weiter gegeben, wie es die jeweilige Partei gestattet. Allerdings muss der Mediator über das Einzelgespräch in irgendeiner Form wenigstens zusammenfassend berichten. Wenn er auch nur sagt, dass es nichts zu berichten gibt. Thomas Fiutak, ein Mediator aus den USA erzählte eine sehr clevere Vorgehensweise in seiner Praxis. Er informiert die Parteien nach dem Causcasing, dass er nichts sagen dürfe. Er fügt dann aber hinzu: „Nach den Informationen, die mir jetzt vorliegen, bin ich aber sicher, dass Sie eine einvernehmliche Einigung hinbekommen!“. In der Workshop-Diskussion kam man nun überein, dass zwischen der Vertraulichkeit in Wirtschaftssachen oder in Familiensachen zu differenzieren sei. In Wirtschaftssachen stelle sich das Problem nicht so, weil es ja nur um Geld gehe, nicht um den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit.

Nach meinem Dafürhalten, was ich auf dem Workshop auch geäußert hatte, verletzt der Mediator die Vertraulichkeit, wenn er im vorliegenden Fall eine Anzeige macht. Hier ist zu bedenken, dass der Mediator zu Beginn der Mediation zu einem offenen Gespräch aufgerufen hat. Wenn dies in einer Anzeige endet, hat er die Parteien über die Mediation getäuscht. Das ist aus meiner Sicht also schon deshalb unzulässig, weil der Mediator nun selbst gegen das Gebot der Fairnes verstößt. Wenn er beabsichtigt, in solchen Fällen eine Anzeige vorzunehmen, dann muss er es in die Vertraulichkeitsinformation einbeziehen und die Parteien dementsprechend belehren. Anderenfalls wäre deren Schutz vor dem Mediator geringer als vor den staatlichen Organen. Dann ist zu bedenken, dass der Verdacht etwa auf Kindesmissbrauch nach meiner Erfahrung als ehemaliger Familienrichter sehr oft aufgebracht wird, weil beispielsweise die Mutter nicht will, dass ihr Kind Kontakt mit dem Vater hat. In fast allen Fällen hat sich der Verdacht als unbegründet erwiesen. Wenn der Mediator sich berufen fühlt eine Anzeige zu machen, stellt er sich hinter den Verdacht einer Partei und bezieht selbst eine Meinung. dann ist seine Neutralität in Frage gestellt. Er müsste also den Sachverhalt weiter hinterfragen, um herauszufinden, ob der Verdacht begründet ist oder nicht. Falls er sich dazu berufen fühlt, mag er dies nach einer Belehrung tun. Ohne eine Belehrung halte ich die Fortführung des Gesprächs für eine Täuschung, ganz abgesehen davon, dass die Ermittlung eines Sachverhaltes nicht die Aufgabe eines Mediators ist. Schließlich übernimmt der Mediator eine Verantwortung, die ihm nicht zusteht.

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass  der Sohn ein Vorgehen der Mediatorin gar nicht in Auftrag gegeben hatte. Im Workshop entfaltete sich nun eine Diskussion über die Vorgehensweise bei Kindesmissbrauch. Das müsse doch zur Anzeige gebracht werden, wurde behauptet. Ich teilte auch diese Ansicht nicht. Nun muss man aber differenzieren, was Kindesmissbrauch ist und wie er sich ausgestaltet. Hier haben die Diskussionspartner offensichtlich ganz unterschiedliche Phantasien und Vorstellungen. Meiner Meinung nach ist es ein gewinn, wenn die Parteien in einer Mediation sich dem Thema stellen. Unter der Voraussetzung, dass die Familie das Problem bewusst anspricht mit dem Vorsatz dafür eine Lösung zu finden, gehe ich davon aus, dass der Ausgang der mediation für alle Beteiligten, einschließlich des Kindes, günstiger ausfallen kann, als die Durchführung eines Strafverfahrens. Das sind letzten Endes aber Einzelfallentscheidungen. Der Mediator sollte sich im Vorfeld klar machen, welche Haltung er zu diesen Fragen einnehmen will und kann. Er sollte die daraus entstehenden Konsequenzen im Vorfeld den Parteien bewusst machen, damit wenigstens er dem Fairnesgebot des Verfahrens entspricht. Im Workshop fragten die Teilnehmer zum Abschluss, was denn die Mediatorin gemacht hatte, die den Fall vorgestellt hat. Sie hatte eine anonyme Anzeige gemacht.