Letztens war ich auf einer Tagung . Wie üblich stellten sich zu Beginn alle Teilnehmer vor. Jeder der Anwesenden machte von dieser Gelegenheit Gebrauch. Mir fiel auf, dass keiner der Anwesenden über nennenswerte forensische Erfahrungen verfügte. Statt dessen gab es Vertreter der verschiedensten Berufsgruppen. Einige hatten gerade eine Mediationsausbildung abgeschlossen, ich glaube es war an der Fernuni in Hagen. Einschlägige Berufserfahrung hatten wohl die wenigsten. Dennoch nannten sich alle unbeanstandet „Mediator“.

Jetzt war ich daran, mich vorzustellen. „Ich bin Richter und deshalb der geborene Mediator“ sagte ich nicht ganz ohne Trotz und Stolz. Man kannte mich, deshalb verursachte diese Äußerung nur ein gequältes Gelächter. Im weiteren Verlauf der Tagung kam es zu den üblichen Diskussionen: „Was kann man tun, um die Verbreitung der Mediation zu fördern?“ Unter dieser Zielsetzung stellte sich sodann ein Kreis von Experten die Aufgabe, weitere Standards zu entwickeln. Auch das ist nichts neues in diesem Genre. Man baut Schienen, ohne dass es einen Zug gibt, der darauf fahren könnte. Diesmal sollte es darum gehen, Qualitätsmerkmale für eine gerichtsnahe Mediation festzulegen. Es versteht sich fast von selbst, dass sich unter den zuvor erwähnten Experten kein Richter befand. Ein Richter kann eben kein Mediator sein. In der Diskussion ergab sich die Frage, welche Vorstellungen die Anwesenden von der Tätigkeit des Richters, seiner Konfliktrelevanz und seiner Kompetenz im Bezug auf die Herbeiführung konsensualer Lösungen habe. Mir fiel auf, dass der Richter durchweg in einem konservativen Bild gesehen wird. Ein Bild, wie es ein Anwalt auf seiner Homepage zeichnete, als er die richterliche Gütekompetenz für einen Vergleich beschrieb:

„Da bohrt der Richter auf der einen Seite, schüchtert diese ein und malt in düsteren Farben, wie schlecht ihre Chancen sind, solange, bis er auf Granit stößt. Dann wendet er sich der anderen Seite zu und bohrt auch da, bis er auf Granit stößt. Das geht dann so mehrmals hin und her. Und wenn er Glück hat, sind beide Seiten so eingeschüchtert, dass sie sich – in der Mitte – "einigen". Das ist alles wenig erfreulich – auch für die meisten Anwälte ….

Derartige Einschätzungen sind auch für den Richter wenig erfreulich. Es ist schade, wenn das Bild der Justiz derart beeinträchtigt wird. Es verkennt ihre Möglichkeiten zum Krisen- und Konfliktmanagement und den positiven Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben. Ich denke, die Justiz kann – ebenso wie die Anwälte – einen Imagewechsel vertragen.

Eigentlich sollten die Parteien keinen Anlass haben, den Gegner mit dem Gericht zu bedrohen. Die Gerichtsentscheidung als eine Vision von Angst und Schrecken. Die Sorge, als Verlierer abgestempelt zu werden. Dies ist ein Bild, das – zumindest in bestimmten Rechtsbereichen (z.B. dem Familienrecht) – schon längst der Vergangenheit angehören sollte. Der Richter besitzt nämlich nicht nur eine gewisse Sensibilität, sondern auch sehr gute Möglichkeiten für eine konstruktive Krisenintervention. Er muss sie nur nutzen!

Warum wird die Kompetenz des Gerichts für eine positive Intervention innerhalb eines Konfliktes nicht einfach gefordert? Das Gericht ist keine Waffe und sollte auch nicht als eine solche gebraucht werden. Zugegeben, die konventionelle Rolle ist auf Konfrontation ausgerichtet. Die meisten Konflikte müssen über eine Beweisaufnahme reguliert werden. An und für sich sollten beide Parteien ein Interesse an der mit der Tatsachenfeststellung einher gehenden Aufklärung haben. Dennoch wird im forensischen Procedere der zur Aufklärung führende Beweisantrag als Angriff verstanden. Jedenfalls sind in der ZPO die Beweisanträge noch konsequent als Angriffsmittel bezeichnet. Kein Wunder, dass der Gegner, der eigentlich auch ein Interesse an der Aufklärung hat, sich dennoch genötigt fühlt, den Angriff abzuwehren. Die Verteidigungsstrategie führt zu Gegenanträgen. Sie versucht, den Beweisantritt zu vereiteln.

Wir wissen aus der Erfahrung, dass ein kontradiktorisches Verfahren eine gute Plattform für ein aggressives Streitpotential bereit stellen kann. Was wir nicht wissen ist, dass es auch anders geht – und zwar auch ohne nennenswerte Gesetzesänderungen.

Die Beobachtung zeigt, dass die Parteien bzw. Parteivertreter immer einen Weg finden, die prozessualen Maßnahmen des Gegner zu behindern. Dies ist ein Bestandteil ihrer Konfliktstrategie. Die Behinderungen sind nicht das Ergebnis von Verfahrensvorschriften. Gesetze können hieran etwas ändern, wenn sie zu konstruktiven Strategien gegebenenfalls in einem neuen Rollenverständnis motivieren. Für diese Motivation ist die Erkenntnis ausschlaggebend, dass ein Konflikt nicht zwingend über den Dualismus „Gewinner – Verlierer“ zu regulieren ist, sondern dass auch der forensische Bereich WIN -WIN Ergebnisse herbeiführen kann. Niemand hindert uns daran, den Beweisantritt statt als einen Angriff, als eine weitere Chance für eine positive Konfliktlösung zu verstehen. Motiviert ein derartiges Verständnis nicht zur konstruktiven Mitwirkung an der Beweiserhebung? Was hindert den Richter daran, die Mitverantwortung der Parteien und der Anwälte an der Sachverhaltsaufklärung einzufordern und kontraproduktive Strategien zu ächten?

Die gerichtliche Vorgehensweise in den Modellen „Altenkirchen“ und „Cochem“ hat gezeigt, dass eine derartige Erwartung sogar auf äußerst fruchtbaren Boden fällt. Schließlich erkennen auch die Anwälte den eigenen Profit in dieser Art der Prozessführung. Hier verstehen sich die Juristen als ein Team, das die Verantwortung für die Beilegung des Konfliktes gemeinsam trägt. Hierzu bedarf es des Verständnisses für Probleme und konstruktive Lösungen. Das Werkzeug ist nicht nur das Gesetz sondern besonders die Kommunikation und die Kenntnis einer systemischen Krisenintervention.

Es wäre fatal, den Einfluss des Gerichts auf den Konflikt zu unterschätzen. Der Konflikt überschreitet während der Dauer des Gerichtsverfahrens oft seinen Höhepunkt. Die Wut verraucht, das Siegesbedürfnis lässt nach. Man wird mürbe. Die Bereitschaft, nach Auswegen und Lösungen zu suchen nimmt zu. Den Parteivertretern war es bisher nicht gelungen, den Ausweg herbeizuführen. Jetzt bildet also der Richter die zentrale Schnittstelle. Auf ihn fokussiert sich die Erwartung einer Problemlösung oder zumindest einer Streitbeendigung. Der Richter hat jetzt eine gute Chance, den Weg in andere Formen der Konfliktbewältigung zu weisen. Ihm schenkt man das nötige Vertrauen und die erforderliche Aufmerksamkeit.

Wenn das Verhalten des Richters unter mediativen Aspekten bewertet wird, assoziiert man sofort die mündliche Verhandlung. Tatsächlich beginnen die kommunikativen Interaktionen aber bereits mit der Klageeinreichung, also im schriftlichen Verfahrensstadium. Die ersten Phasen der Mediation, das Kennen lernen, die Klärung des Auftrages, die Festlegung der Verhandlungsbedingungen usw. findet somit bereits hier statt. Der Richter macht durch entsprechende prozessleitende Verfügungen deutlich, dass er keine Polemik erträgt, welche Strategien erkennbar werden und welche Motive zu verfolgen sind. Besonders die Familiensachen eignen sich dafür, dass der Richter auf die spezifische Situation der Parteien eingeht. Oft fällt es ihm leicht, die Parteien für verfahrensbeendende Lösungen zu interessieren und damit ihre freiwillige Teilnahme herbeizuführen. Das gleiche betrifft die Bereitschaft der Parteien zur Eigenverantwortung. Hierzu ein Beispiel:

In einer Sorgerechtssache befragte ich die Antragstellerin, „Wie würden Sie Ihren Fall an meiner Stelle als Richter entscheiden?“ Die Antragstellerin antwortete: „Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken“. Ich befragte den Antragsgegner in gleicher Weise. Auch er antwortete: „Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken“. Danach erklärte ich „Wenn Sie als Betroffene mit meinen Möglichkeiten als Richter schon nicht wissen, welche Lösung es für Ihren Konflikt gibt, was erwarten Sie dann von mir als Außenstehenden?“ Dieses Rollenspiel hatte den Parteien verdeutlicht, dass nur sie selbst die Lösung für ihr Problem finden können, was sie dann auch taten.

Wir mögen endlos darüber diskutieren, ob eine derartig unjuristische Vorgehensweise den Bestandteil einer Mediation bilden kann oder nicht. Bisher fehlte es an einer Begrifflichkeit, die diese, offenbar als alternativ verstandene, Kompetenz des Richters bezeichnete. Somit ist diese Verfahrensweise auch nicht kommunizierbar gewesen. Wie nennt man den Richter, der aktiv konsensuale Lösungen herbeiführen kann, ohne die Parteien in der beschriebenen Weise unter Druck zu setzen? Unter welchem Begriff macht man die positiven gerichtlichen Zielsetzungen transparent und damit kommunizierbar? Nachdem sich die Mediation als ein außergerichtliches Verfahren bezeichnet, die beschriebene Verhandlungsweise aber virtuell und zumindest teilweise innergerichtlich vonstatten geht, hat sich der Begriff „integrierte-Mediation“ geprägt. Hier wird die Auffassung vertreten, dass der Richter in der gesetzlich vorgeschriebenen Güteverhandlung durchaus mediativ agieren kann. Seine Grenzen erreicht er spätestens an dem nur begrenzt zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen. Ein Rechenmodell belegt, dass dem Richter nicht mehr als 50 Minuten für Vergleichsverhandlungen zur Verfügung stehen – inklusive der schriftlichen Vorbereitung und Aktenführung. Er muss seine eigenen Bemühungen um WIN-WIN Ergebnisse also kurzfristig realisieren können, wenn sie nicht auf außergerichtliche Angebote zurückgreifen will. In den Modellen „Altenkirchen“ und „Cochem“ hat sich die wichtige Erfahrung eingestellt, dass nicht der Verweis im Sinne eines Screenings sondern die aktive Überführung, die Begleitung in ein neben- oder außergerichtliches Konfliktlösungsverfahren darstellt.

Einen wesentlichen Katalysator für das konstruktive Verhandlungsklima im Gerichtsverfahren bildet die informelle Kommunikation unter den beteiligten Professionen. In Altenkirchen war diese informelle Kommunikation durch einen direkten Austausch möglich. In Cochem war diese Kommunikationsebene durch den Arbeitskreiskreis hergestellt worden. Über diesen praxisbezogenen Erfahrungsaustausch war es möglich, gemeinsam akzeptierte Standards für die Verhandlung in bestimmten Angelegenheiten aufzustellen. Man hat gelernt, die Funktionalität der Konfliktbezogenen professionellen Interventionen zu verstehen und arbeitsteilig einzuplanen. Man hat gelernt, dass nicht der Richter, sondern alle gemeinsam die Verantwortung für ein brauchbares Ergebnis zu tragen haben. Man hat gelernt, sich als ein Team zu begreifen. So durfte ich erleben, wie Anwälte in einer nicht anhängigen Sache bei Gericht anfragten, ob es nicht möglich sei, einen außerordentlichen Termin abzuhalten, damit die juristisch korrekte Beratung gegenüber den Mandanten den Segen des Gerichts erhielte. Wäre eine derartige Sprechstunde möglich, könnten die Anwälte eine gerichtliche Flankenhilfe erfahren, die wiederum die außergerichtlichen Bemühungen fördert. Vergleichbare Interventionen könnten auch für die Mediatoren nützlich sein.

Für mich steht fest, dass es wichtig ist die Rollen und Ziele zu überdenken, welche die Juristen im Verlauf einer Konfliktüberwindung spielen. Die Mediation lehrt uns, dass es keiner konträren Strategien bedarf, wenn man bereit ist beide Partei in einen Sieg zu begleiten. Wenn man umgekehrt an der Strategie festhält, nicht die Partei zum Sieger, sondern den Gegner zum Verlierer zu machen, wird man immer Mittel und Wege finden, das Gerichtsverfahren zu boykottieren. Hieran ändern auch nichts die Verfahrensvorschriften.

Vor diesem Hintergrund vertrete ich die These, dass eine gerichtsnahe Mediation aus der Justiz heraus entwickelt werden muss und nicht von aussen an sie herangetragen werden sollte.

Arthur Trossen

Eckwerte einer gerichtsnahen Mediation

1.) Die für eine konsensuale Konfliktregelung erforderliche Freiwilligkeit und die Bereitschaft zur Eigenverantwortlichkeit sind durch den Richter herzustellen.
2.) Erforderlich ist eine gerichtsseitige Begleitung (nicht nur Vermittlung) in die Mediation oder andere außergerichtliche Konfliktlösungen.
3.) Während des außergerichtlichen Konfliktlösungsverfahrens sollte der Richter weiterhin für Interaktionen zur Verfügung stehen.
4.) Beim Scheitern der Mediation erfolgt eine Abstimmung mit dem Richter, wie weiter zu verfahren ist