Oder: „Was ist Integrierte Mediation für mich?“

Im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Vereins für Integrierte Mediation im März wurde die Frage aufgeworfen, was die Teilnehmer denn persönlich und nach ihrem jeweiligen aktuellem (Wissens-/Überzeugungs-)Stand unter der Wendung „Integrierte Mediation“ verstünden.

Mir geht die Frage seit dem durch den Kopf. Daher stelle ich im Folgenden meinen Zugang als Beitrag zu dieser Abfrage dar, als Klärung für mich, aber auch als Anstoß zur Debatte.

Da die Darstellung der Meinungen und Ideen eine sehr subjektive Tendenz haben sollte, stelle ich dabei vor allem die Aspekte heraus, die mich vorrangig interessieren und erhebe nicht den Anspruch, das Konzept in Gänze durchleuchten zu wollen.

Eigenes Mediationserlebnis als Initialzündung

Ich hatte mich, wie es meinem Eindruck nach recht üblich ist, bereits als Student und Referendar eine Weile und doch etwas akademisch mit „Mediation“ beschäftigt; das war lange bevor sich Politik und Rechtsschutzversicherungen (übrigens etwa gleichzeitig) für das Thema zu interessieren begannen. Im Prinzip waren damals im Markt keine Fälle vorhanden, die der Verbraucher als Gegenstand einer etwaigen (Rechts-)Dienstleistung einordnete. Ein lebensnahes Training war daher auch kaum durchführbar.

Die Mediation kam für viele Konfliktgeplagte und (Achtung Ironie:) „Titelmediatoren“ (für mich damals vielleicht auch) nur als eine vermeintlich „friedlich-private Parallel-ZPO“ daher. (Achtung Ironie:) Deswegen war man auch so sauer, als das auf einmal Richter machen sollten, die haben ja schließlich ihre eigene. (Achtung weitere Ironie:) Als Anwalt machte man „das“ im Rahmen der vorgerichtlichen, heute nach 2300 VV RVG abrechenbaren, Vertretung des Mandanten in Kenntnis des § 1 BORA (man lese den mal und staune) sowieso schon.

Dann gab es bei mir einen privaten „Ernstfall“. Ich war unvermittelt – anstatt wie sonst in der anwaltlichen Beraterrolle – auf einmal Konfliktpartei. Gut daran war, dass man dafür keine Vergnügungssteuer abführen musste, sonst verstecken sich die Vorteile einer solchen Situation vor der eigenen Wahrnehmung.

Damals hatte ich das Glück, an einen „echten“ Mediator zu geraten, der den Parteien gekonnt im Konflikt assistierte, was hier zu einer tatsächlichen Lösung führte. Einer Lösung, die ich auch heute noch als Gewinn betrachte. Ich kam damals nicht umhin, die kommunikativen, psychologischen, vielleicht sogar „entertainementgeneigten“ Erfahrungen, die ich damals machte, als schlichtweg „magisch“ einzuordnen.

Die Suche nach der Struktur der Magie

Damals entstand auch der Schulungsfilm der Integrierten Mediation „Magic of Mediation“, der Titel erschien mir sehr passend. Ich bin kein Esoteriker; bevor sich jemand an dem Begriff stört: Mit „magisch“ meine ich einen elektrisierten, interessierten, lebendigen, wachen Zustand auf dem Weg zu einer echten Konfliktlösung, dessen und deren Ursachen man sich nicht unmittelbar erklären kann. Seit dem interessiert mich brennend, was da passiert war – und ob ich so etwas auch herstellen konnte. In diesem Sinne wurde ich zu einem „Zauberlehrling“.

Im Verband der Integrierten Mediation fühle ich mich deswegen so wohl, weil es hier ein Parallelansinnen gibt. Es findet der taugliche und fortgeschrittene Versuch statt, zu  erkennen, wie man das, was als Hintergrundprozess in der „Mediation“ kommunikativ, psychologisch, sozial – wie auch immer, aber tatsächlich – funktioniert, zu fassen. Insofern vielleicht zu erkennen, was die Mediationswelt im Innersten Zusammenhält. Zu fassen, um sodann des „Pudels Kern“ in anderen Verfahren, die nicht „Mediationen im engeren Sinne“ sind, nutzbar zu machen. Eine Übertragung der Magie sozusagen. Man könnte auch sagen, man versucht, die Wirkungsweise mediativer Elemente in einer Art Hybridverfahren pragmatisch mit tradierten Ansätzen zu verbinden.

„Mediation-Sein“ oder Nichtsein, das ist hier die (vermeintliche) Frage

„Ist das Mediation?“ ist die Lieblingsfrage von Abgrenzungsliebhabern. „Tragen mediative Elemente zu sinnvollen Konfliktlösungen bei?“, würde ich mir als sinnvollere Fragestellung vorstellen. Tasten wir uns mal über Letztere zur Ersteren.

Ich versuche mich an einer Metapher: um geographisch von A nach B zu kommen, kann man Laufen, Radfahren, Auto fahren, Busfahren, Schwimmen, Fliegen …. Je nach Entfernung, Art der Strecke, Budget ist das eine oder andere sinnvoll. So ist es auch mit Konflikten. Um einen Konflikt zu lösen, kann man Vermeiden, Klagen, Mediieren, Schlichten … auch hier passt manchmal das eine, manchmal das andere.

Es gibt Konflikte und Situationen, da ist Mediation in einem engeren Sinne sinnvoll. Es gibt aber auch Anlässe, da ist sie es (noch) nicht. Insofern mag ich es auch nicht, wenn man von der Mediation als „Alternative“ spricht. Es gibt Konflikte, die schlichtweg vor einem Gericht ausgetragen werden sollten. Es gibt aber auch Konflikte, schnell erkennbar im Familien- und Arbeitszusammenhang, die man vielleicht besser nicht gerichtlich austrägt.  Konfliktprozesse sind – es steckt bereits im Wort „Prozess“ – dynamisch und Entwicklungen unterworfen. Manchmal kann indizieren, dass man auch das Verfahren wechselt und vom Flugzeug ist Taxi umsteigt und umgekehrt. Das sind strategische Entscheidungen, keine ideologischen.

Das Besondere an der „Mediation“ ist dann allerdings, dass sie – meiner Ahnung nach jedenfalls – die „DNA“ der kooperativer Konfliktösung „an sich“ enthält; diese ist, so meine Hypothese, isolierbar. Und in diesem Sinne kann man dann andere Verfahren durch Übertragung „gentechnisch“ zum Besseren manipulieren. Das macht vielleicht das jeweilige andere Verfahren nicht zu einer „Mediation“ mit allen Katalogaspekten, die dafür zu fordern sind. Aber die erfolgsfördernden Aspekte bleiben hinsichtlich ihrer Wirksamkeit enhalten.

Ein Blick ins Zauberbuch

Ich wage an dieser Stelle einen kurzen und schüchternen Ausblick auf grundlegende Erkenntnisse zu dem, was man denn in den metaphorischen Tank des jeweiligen Konfliktvehikels füllen könnte, was denn da in der DNA steckt und in tradierten Verfahren wirken könnte. 

Konstruktivismus 

Jeder hat seine eigenen Wahrnehmungen, die zur eigenen Wirklichkeit werden; bei dem Gegenüber – etwa der  Gegenpartei in einem Konflikt – ist das genauso. Diese Wirklichkeiten gehen auf Beobachtungen und Zuschreibungen zurück.

Systemik 

Wenn die jeweiligen, nach Beobachtung und Zuschreibung jeweils konstruierten Wirklichkeiten aufeinander treffen, fangen sie an, aufeinander zu wirken – und bilden eigene Abläufe, die eine Tendenz haben, sich zu verselbständigen und perpetuieren. Diese Systeme, frech, selbstreflexiv und autopoietisch wie sie sind, treten dann neben die Akteure, die dafür in der Regel kein Bewusstsein haben, und erzeugen sich selbst immer wieder neu.

Der Konflikt ist dann „Wirklichkeit“; man denke an Romeo und Julia, die nicht zueinander finden können, weil es einen Konflikt zwischen zwei Familien gibt, der zunächst mit Ihnen selbst nichts zu tun hat, aber so wirkungsmächtig ist, dass er letztlich beider Leben kostet. Da der Konflikt nunmehr ein selbsterzeugendes systemisches Eigenleben führt, wird er sich selbst weiter führen wollen, wie bei Shakespeare auch gerne mal über Generationen hinweg.

Dialektik 

Mit entsprechender Technik können die Systeme erkannt und verändert werden, etwa, indem man die Beobachtungen und Zuschreibungen überprüft; es wird möglich, etwaige verbliebene Widersprüche in den Wirklichkeitswahrnehmungen nebeneinander stehen zu lassen und in einer dialektischen Bewegung neue Wirklichkeit zu vereinbaren, die zu günstigeren Systemen führt.

Systematik 

Hinsichtlich des Transfers der oben genannten Werkzeuge und nutzungsfähigen Phänomene kann ich mir vorstellen, dass man künftig so etwas wie „Formate“ finden und definieren könnte. Ich habe einen Richter erlebt, der einen Prozess alleine dadurch zum Vergleich geführt hat, dass er paraphrasierte und ein sanftes „Refraiming“ betrieb. Das etwa könnte man als Einheit fassen und verwenden – und lehren. Das steht nicht in der ZPO, nutzt aber in der Verhandlung.

Und: warum soll man bei der Konfliktlösung in „Nichtmediationsverfahren“ nicht der Phasenlogik im Hintergrund folgen und beachten, dass man keine überspringt? Als eine Art Sicherungsdatei im Hintergrund, die die Richtung zu einer Konfliktlösung weist und ggfls. sichert, anstatt die Nachteile eines Nullsummenspiels erdulden zu müssen?

Abrakadabra. Zauberhaft, so eine Integrierte Mediation.