Anbei die Pressemitteilung der NRV (Neue Richter Vereinigung), eine gegenüber dem DRB (Deutscher Richterbund) als progressiver auftretende Richtervereinigung, vom 25. Mai 2011. „Mediationsgesetz als erster Schritt zu einer neuen Rechts- und Streitkultur“ lautet der Titel. Nachfolgend lesen Sie eine mit Kommentaren versehene Fassung (Kommentare in Kursivschrift):

Der Kommentierungsbedarf beginnt schon beim Titel der Pressemitteilung.  Das Mediationsgesetz erlaubt lediglich ein neues Dienstleistungsangebot (das keinesfalls verboten war) und zugleich die Etablierung dieser Dienstleistung im öffentlichen Angebot des Gerichts. Das hat nichts mit einer neuen Streitkultur zu tun. Das Gerichtsverfahren selbst bleibt wie es war. Die Justiz erweitert lediglich ihr Portfolio. Eine neue Streitkultur mag aufkommen, wenn sich Auswirkungen auf das konventionelle Gerichtsverfahren ergeben und die Richter dort versuchen, die Anliegen der Parteien besser zu verstehen. Von einer Kultur mag dann die Rede sein, wenn dieses einander verstehen wollen auch außerhalb der Justiz im Alltag einzieht.

Der Rechtsausschuss des Bundestages wird sich heute (25. Mai 2011) im Rahmen einer Sachverständigenanhörung mit dem Entwurf eines Mediationsgesetzes (Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung – BT-Drucksache 17/5335) befassen.

Die Neue Richtervereinigung (NRV) begrüßt den Entwurf als Ausdruck einer sich grundlegend ändernden Kultur der Streitbeilegung in Deutschland.

Interessanterweise sind es die Professionen und genau gesehen auch nur ein Teil von ihnen, die eine Veränderung herbeiführen wollen. Mediation wächst bis heute nicht aus einem Nachfragebedarf. Eher aus dem Bedürfnis der am Konflikt arbeitenden Berufe, die Arbeit am Konflikt für alle etwas erträglicher zu machen. Normalerweise wächst Nachfrage aus einem kundengerechten und zum Bedarf des Kunden passenden Angebot. Damit die Kunden den Bedarf erkennen, müssten sie mehr über Konflikte und den Umgang mit Konflikten wissen.

Er unterscheidet zwischen außergerichtlicher, gerichtsnaher und gerichtsinterner Mediation, …

Ja, leider bleibt die gerichtsferne Mediation außen vor. Gerichtsfern sind solche Fälle, die niemals vor Gericht landen, die aber sehr gut geeignet sind für Mediation. Zu denken ist an die Schulmediation, die innerbetriebliche Mediation, die Mediation innerhalb der Verbände und nicht zuletzt innerhalb der Familie.

… ohne diese zueinander in Konkurrenz zu stellen.

Die Konkurrenz ergibt sich aus den Fakten. Die Justiz bietet dieses neue Produkt Mediation derzeit als kostenloses „add on“ an, das zudem aus Steuergeldern finanziert wird. Daraus ergibt sich eine Verzerrung des Wettbewerbs.

Dies gewährleistet, dass für spezifische Konfliktlagen jeweils geeignete Verfahren nebeneinander ihre Berechtigung haben.

Eigentlich haben wir in Art 1 und 2 Grundgesetz ein Recht auf Würde und Handlungsfreiheit. Die Vertragsfreiheit ist grundgesetzlich garantiert. Die Berechtigung der Mediation sollte also gar nicht in Frage stehen. Mediation ist eine Verhandlung der Parteien die an und für sich unter Art 2 GG fällt und die durch die Grundrechtsgarantie ohne weiteres möglich ist. Das ist weder neu noch originell. Im Gegenteil! Wenn der Gesetzgeber etwas ausdrücklich erlaubt, was ohnehin erlaubt und möglich ist, dann fragt es sich, was der Gesetzgeber uns damit sagen will.

Weiterhin ist es aus der Sicht des natürlichen Konfliktverhaltens der Parteien gerade nicht so, dass die Partei willkürlich zwischen dem einen oder dem anderen Verfahren wählen könnte. Die Mediation als kooperatives Verfahren ist eine Konsequenz aus dem Scheitern der Konfrontation, so wie sich die Konfrontation als eine Konsequenz aus dem Scheitern der Kooperation ergeben hat.

Damit ist das Hauptaugenmerk auf die Bedürfnisse der Rechtssuchenden gelegt …

Das erscheint fraglich. Zunächst sei angemerkt, dass ein Mediand kein Rechtssuchender ist sondern ein Lösungssuchender. Die Bedürfnisse des Kunden stehen im Wettbewerb zu den Bedürfnissen der Professionen, der Politik und des Marktes.

… und nicht auf die Entlastung der Justiz und ihres Haushaltes.

Es ist zutreffend, dass die Justiz mit dem erweiterten Angebot keine Kosten einspart, sondern Kosten produziert. Dies ergibt sich schon aus der Personalbedarfsberechnung, dem Pensenschlüssel. Ein Richter, der einen Fall erledigt „verdient“ ein 100% Pensum. Das verdient der Mediationsrichter ebenfalls. Nun wird ihm der Fall aber erst im Laufe eines bereits anhängigen Verfahrens zugewiesen. Der ursprünglich und originär mit dem Fall befasste gesetzliche Richter „verdient“ also auch ein Pensum. Selbst wenn dieses niedrig mit 30% angesetzt wird, ist die Gesamtbelastung 130%, also 30% mehr als konventionell. Eine Ersparnis ist möglich, wenn Fälle erst gar nicht zur Justiz kommen. Bezüglich der gerichtsinternen Mediation ist sie möglich, wenn die Lösung nachhaltig und dazu geeignet ist, Folgesachen und Rechtsmittel zu vermeiden. Die gerichtliche Mediation ist jedoch eher eine evaluative und keine transformative. Es ist deshalb fraglich ob sie zu der Nachhaltigkeit führt, die immer behauptet wird. Der Unterschied zwischen beiden Varianten der Mediation kommt sehr schön in dem Filmbeitrag von Recht brisant zum Ausdruck. Die Gerichtsmediation führte zwar zum Abschluss des Verfahrens nicht aber zu einer Bereinigung der Beziehung der Kontrahendinnen zueinander, ganz anders als die ebenfalls dargestellte aussergerichtliche Mediation, welches eine transformative Mediation war.

Wenn die Mediation zu deren Entlastung führen sollte, ist das zwar zu begrüßen, darf jedoch nicht das zentrale Anliegen der Mediation sein.

Richtig, es darf nicht das Anliegen der Mediation sein, sollte aber das Anliegen der Justiz sein. Es besteht kein Bedarf, dass eine öffentliche Verwaltung ein Produkt anbietet, das es auf dem freien Markt zu haben gibt.

Nachbesserungsbedarf sieht die NRV allerdings und zuallererst bei der Aus- und Fortbildung von Mediatorinnen und Mediatoren. Die vorgesehene Pflicht, diese in eigener Verantwortung sicherzustellen, reicht bei weitem nicht aus.

Schade, dass diese Mangelsicht nicht begründet wurde. Gegen wen richtet sich das Misstrauen? Richtet es sich gegen die Anbieter oder gegen die Intelligenz des Kunden? Der Kunde wird letztlich zu dem Mediator gehen, der ihm empfohlen wurde. Ein Anbieter wird nicht in der Lage sein, ein Geschäft aufzubauen, wenn er nicht in der Lage ist, die Mediation zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Da reguliert sich der Markt ganz von alleine.

Im Interesse der Parteien muss der Gesetzgeber klare Vorgaben zum Berufsbild des Mediators bzw. der Mediatorin machen und die grundlegenden Standards der Aus- und Fortbildung selbst definieren. Nur so ist sichergestellt, dass die erforderlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen erworben werden.

In einer Situation, wo das Profil des Mediators noch völlig ungeklärt ist, wo viele Mediatoren selbst nicht einmal den Unterschied zwischen den verschiedenen Formen der Mediation (transformativ, evaluativ, integriert) kennen und wo sich die Mediation in einer interdisziplinären Vielfalt darstellt, deren Grenzen noch nicht einmal ausgelotet sind, ist eine Festschreibung der Standards nicht unbedingt eine Motivation zur Entwicklung. Es ist eine große Gefahr, dass sie eher zu einer Manifestation des Unvollständigen wird. Es entspräche doch eher dem Interesse der Parteien, eine Transparenz für die Unterschiede herzustellen. Darüber hat die Mediation nicht nur berufliche Aspekte. Es gibt Schulmediation und innerbetriebliche Mediation, um nur zwei gerichtsferne Anwendungsfälle zu benennen. Ein wirklicher Schritt in eine veränderte Streitkultur wäre es, wenn die Schulen Mediation als Ausdrucksform einer sozialen Kompetenz als Unterrichtsfach anböten. Dann ist der Kunde schlau genug, den Bedarf für Mediation selbst zu kennen und zu unterscheiden, welcher Mediator qualifiziert ist und welcher nicht.

Nur so kann es gelingen, die Parteien in sachkundiger Weise, vertrauensvoll und letztlich erfolgreich durch eine Mediation zu führen. Sinnvoll könnte auch eine Zertifizierung der Mediatorinnen und Mediatoren sein.

Es gibt sicherlich auch andere Wege, dieses Ziel zu erreichen. Wege, die besser zu dem Geist der Mediation als ein Verfahren autonomer Bürger passt.

Zur Sicherung eines vertraulichen Mediationsverfahrens bedarf es außerdem nicht nur der vorgesehenen Verschwiegenheitspflicht der Mediatorin bzw. des Mediators, sondern eines umfassenden – auch strafprozessualen – Aussageverweigerungsrechts sowie eines Verwertungsverbotes für die im Rahmen eines Mediationsverfahrens erlangten neuen Erkenntnisse und Beweise im Falle eines Scheiterns der Mediation.

Dieser Gedanke vedient volle Zustimmung. Das was das Gesetz bisher regelt, kann privatschriftlich vereinbart werden. Die Verschiegenheit ist zudem aufgeweicht durch den „ordre public“. Sie ist derzeit also wesentlich schächer als die Verschwiegenheit der Rechtsanwälte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Regelung der Kosten, die bislang noch fehlt. Rechtsbereiche mit Kostenprivilegierungen wie das Arbeits- und insbesondere das Sozialrecht müssen auch in der Mediation dauerhaft privilegiert bleiben. Es darf nicht sein, dass Mediation nur ein Instrument für Reiche wird. Um die Waffengleichheit auch in der Mediation sicherzustellen, wäre eine Mediationskostenhilfe nach Art der Prozesskostenhilfe angebracht.

Das ist ein gefährlicher Gedanke, denn die Mediation kann z.B. auch für innere Konflikte und Fragen eingesetzt werden. Sie ist hervorragend geeignet für Fragen wie z.B. „Sollen wir unsere Beziehung fortsetzen oder nicht?“. Eine Mediationskostenhilfe würde die Mediation völlig in den juristischen Bereich verlagern und möglicherweise dazu führen, dass man Fälle über Staatskosten abdeckt, die ansonsten niemals vor Gericht kämen. Auch hier werden Grenzziehungen erforderlich sein, die der Mediation sicherlich nicht gut bekommen werden und eher einschränken als erweitern.

Dazu Martin Wenning-Morgenthaler von der NRV: „Mit dem Mediationsgesetz wird Bürgerinnen und Bürgern ein formalisierter Weg zur erleichterten Befriedung auch komplexer Sachverhalte angeboten. Damit ist ein erster Schritt auf dem Weg in eine neue Rechts- und Streitkultur getan.

In der Formalisierung liegt ein anderes Problem verborgen. Die Mediation wird als ein vertrauliches Verfahren definiert. Was ist, wenn die Medianden auf Vertraulichkeit verzichten. Ist die Mediation dann keine mehr? Der Reiz der Mediation besteht darin, informelle Kommunikation zu ermöglichen. Es ist die Aufgabe der Parteien die Kommunikation so weit zu formalisieren, dass sie im konkreten Fall möglich wird. gesetzgebersiche Vorgaben irritieren, weil sie den Eindruck erwecken, dass die Disposition über das verfahren den Parteien entzogen wird.

Dass dieser Ansatz in der täglichen Praxis tatsächlich Erfolg haben wird, darf aufgrund der bisherigen Erfahrungen in den Gerichten erwartet werden.

Das stimmt so nicht. Richtig ist, dass es bei manchen Gerichten eine gute Nachfrage nach Mediation gibt. Statistisch ist das Aufkommen von Mediation in und ausserhalb des gerichts jedoch ökonomisch noch völlig unbedeutend. Soweit Gerichte Mediation anbieten, geschieht dies meist aufgrund von freiwilligen Mehrbelastungen der einzelnen Mediationsrichter. Wenn dies in Pensen umgesetzt wird, wird die Justiz wohl Mediatoren einstellen müssen, damit die konventionellen Pensen der Justiz bewältigt werden können. Der Trend ist schon erkennbar.

Dennoch sollte der Gesetzgeber mit einer zeitlich befristeten Experimentierklausel von vornherein die Möglichkeit schaffen, Nachbesserungsbedarf zu einem bestimmten Stichtag strukturiert zu ermitteln und dann zügig umzusetzen.“

Sinnvolles Planen könnte eine Alternative sein. Denn es ist schon absehbar, wie sich die Mediation entwickelt, wenn es bei dem Trend bleibt. So gibt es eine Reihe von Problemen, die in der Diskussion um das Gesetz besonders hinsichtlich der Richtermediation gar nicht angespeochen werden. Z.B. die spannende Frage der Karriereplanung. Ein Richter wird wie jeder Beamte alle zwei Jahre beurteilt. Dazu werden seine Aktenführung, die Zahl und die Geschwindigkeit der Fallerledigung als Kriterum zugrunde gelegt. Wie wird ein Richtermediator beurteilt? Die Parteien haben (sollten haben) die Möglichkeit ihren Mediator selbst auszuwählen. Wie kann diese Option in einer Gerichtsorganisation verwirklicht werden? Die Einrichtung einer Mediationsabteilung erfordert eine eigene Infrastruktur, die erst noch zu schaffen ist. Ist die Justiz wirklich bereit die dafür erforderlichen – und bisher nirgends aufgelisteten Kosten zu tragen?

Martin Wenning-Morgenthaler, Sprecher des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung

Es wird deutlich, dass die Richter sich für Mediation interessieren. Es wird auch deutlich, dass die Parteien sich für deeskalierende Streitlösungen interessieren. Ob die Erweiterung des Portfolios der Justiz um ein Produkt, das es auf dem freien Markt zu haben ist, dazu beiträgt, ist zu bezweifeln. Worauf es ankommt ist doch, die Parteien besser zu verstehen und sich besser auf deren Belange einzulassen. Dafür besteht ein hinreichender Reformierungsbedarf in den konventionellen Verfahren. Allgemeine Kenntnisse über Kommunikation und Wahrnehmung würden wesentlich dazu beitragen das einander zu verstehen zu verbessern. Mediation sollte ein Kulturgut sein nicht das privilegierte Wissen einer esotherischen Berufsruppe. Bleibt zu hoffen, dass die Gerichtsmediation Ausstrahlungen darauf und auf den Umgang, den wir miteinander pflegen oder eben nicht. Nur dann wird sich die Streitkultur wirklich verändern.

Siehe auch: DRB Stellungnahme, Der zivilgerichtliche Vergleich