Die Bedeutung ist dem Wort sein Tod

Sie kennen den witzigen Lernspruch: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Dieser grammatikalische Fehler ist nicht bedeutungslos. Er sagt etwas über den Verwender aus. Als Mediatoren sind wir ganz besonders darauf trainiert die Aussagen unserer Klienten auf ihre Bedeutung hin zu analysieren. Wenigstens sollten wir es sein. Mit unseren Paraphrasen versuchen wir den Bedeutungsinhalt der Aussagen unserer Klienten wiederzugeben und darüber ein Einvernehmen herzustellen. Diesen Prozess verstehen wir als eine Synchronisation der Kommunikation. Mit dem Blick auf den Bedeutungsinhalt fällt es mir immer öfter auf, dass bestimmte Aussagen, die uns im öffentlichen Leben begegnen irgendwie eine andere Bedeutung bekommen als ihnen eigentlich zukommen sollte, ohne dass es zu einer Synchronisation kommt. Man glaubt ja genau zu wissen was gemeint war.

Dieser Mangel an Synchronisation ist ebenso gefährlich wie bedauerlich. Denn derartig unklare Aussagen führen nicht nur zu einem grundlegenden Missverständnis unter den Menschen, sie rechtfertigen manchmal auch den Krieg. In jedem Fall verändern die Sicht auf die Dinge und damit die Welt, ind er wir leben. Ich habe also angefangen solche „schiefen“ Aussagen zu sammeln. Vielleicht gelingt es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir oft Dinge sagen, die so nicht gemeint sein sollten. Jeden Tag begegnen mir derartige Irritationen. Aussagen, die mit unserem Grundverständnis  im Widerspruch stehen. Ich beginne eine Sammlung. Vielleicht helfen Sie mir dabei?

Aussagen, die wohl anders gemeint waren (sein sollten):

  • Kinder sind unsere Zukunft
    Richtig wäre es zu sagen: Wir sind die Zukunft der Kinder. Immerhin müssen sie ausbaden, was wir versäumen. Die Verantwortung liegt bei uns nicht bei den Kindern. Verwendet wird die Aussage mit dem Hinweis, dass wir uns besser fortpflanzen solten, damit unser Rentenaufkommen gesichert ist. Es gibt bessere Gründe Kinder zu zeugen als eine ökonomische Ratlosigkeit.
  • In einer Fernsehsendung sagte ein Polizist, der auf Autobahnen Verkehrtssünder ahnden soll:
    Ich hab heute kein Glück, es ist wenig Verkehr!
    Wusste nicht, das ein Polizist Glücksgefühle hat, wenn er Verkehrssünder verfolgt. Eigentloich sollte er sich glücklich schätzen, wenn es keine Zwischenfälle gibt. Aber vielleicht geht es dem Polizisten gar nicht darum, Zwischenfälle zu vermeiden helfen, sondern Knöllchen zu verteilen.
  • Nach Autobahnbaustellen sehen Sie oft ein Schild:
    Wir danken für Ihr Verständnis
    Ich frage mich stets, wieso sollte ich kein Verständnis haben, wenn die Straße die ich benutze repariert wird.
  • Ein großes Warenhaus warb mit der Aussage:
    Wir vergrößern für Sie
    Ich dachte, die tun das für ihre Umsatz- und Gewinnmaximierung.
  • Manchmal, vorwiegend im banachbarten Ausland begegnen mir Schilder mit folgendem Inhalt:
    Radarkontrollen, für Ihre Sicherheit
    Ich frage mich, wenn ich das einzige Auto auf der Strasse bin, wieso es der Sicherheit dient, wenn ich zu schnell fahre. Es ist ja niemand da, den ich gefährden könnte und ich selbst fahre natürlich nur so schnell, dassich mich nicht selbst gefährde. Sinn macht die Erklärung wenn es um Disziplinierung geht. Mag sein dass sich daraus dann in einem weiteren Schritt ein Gefühl für Sicherheit herstellt.
  • Ich selbst hatte früher behauptet:
    Mediation fördert das demokratische Denken
    Heute weiss ich, dass Mediation eigentlich ein Feind der Demokratie ist. In der Demokratie werden Meinungen über die Macht der Mehrheitsverhältnisse gebildet. Konsens besteht lediglich über das Mehrheitsverfahren, nicht jedoch über die von der Mehrheit getroffene Entscheidng. Aus der Sicht der Minderheit ist Demokratie Unterwerfung. Aus der Sicht er Mediation wäre die Unterwerfung ein vollständig abzulehnendes Ergebnis.
  • Bei fast jedem Unfallbericht wird als Unfallursache ermittet:
    Der Unfall wurde durch überhöhte Geschwindigkeit verursacht.
    Die Konsequenz dieser Aussage ist, dass die Schnellfahrer als Raser attributiert werden. Man hat jetzt einen Sündenbock. Sicherlich ist ein zu schnelles Fahren nicht unbedingt das was gewollt ist. Das schnelle Fahren alleine ist aber nicht die Ursache eines Unfalls. Da kommt noch etwas hinzu, nämlich Unachtsamkeit oder Selbstüberschätzung. Die Reduktion auf zu schnelles Fahren lenkt davon ab, dass man aufmerksam und rücksichtsvoll fahren sollte. Indem die Schnellfahrer zum Sündebock gemacht werden, fürchte ich, fühlen sich die unachtsamen Fahrer nicht von den Warnungen betroffen. Ich fände es also gut, wenn die Kritik auf Mangelnde Achtsamkeit oder mangelnde Rücksicht gelegt werden würde. Stattdessen stellt man Schilder an Autobahnen auf, die vor dem Rasen warnen und ausgerechnet so gestaltet sind, dass sie die Aufmerksamkeit vom Verkehr weglenken.
  • Gestern (14.Juni 2010) las ich in der FAZ (Nr. 134) einen Kommentar von Frau von der Leyen über die Präsidentenwahl. Sie führte aus:
    Wer das höchste Amt im Staat innehat, sollte beharrlich seine Kraft dafür einsetzen, Widersprüche und Entfremdungen zwischen Bürger und Staat aufzulösen.
    Diese Aussage hatte mich überrascht. Die Aufgaben des Bundespräsidenten sind im Grundgesetz geregelt. Eine derartige Aufgabe ist dort nicht erwähnt. Ich frage mich auch, warum ausgerechnet der Bundespräsident, der die Republik nach aussen hin vertritt, dafür herhalten soll, die Versäumnisse der Politiker nachzubessern. Wenn es eine Entfremdung zwischen dem Staat (der Politik) und den Bürgern gibt, ist es ein Zeichen dafür, dass die Politik nicht funktioniert. Die Verantwortung sollte nicht verschoben werden.
  • Rauchen schadet Ihrer Gesundheit
    Einverstanden. Aber was bedeutet es, wenn ich diesen Hinweis nur auf Rauchwaren finde? Soll es bedeuten, dass die Produkte vor denen nicht gewarnt wird ungefährlich sind? Soll ich mich jetzt fragen, ob es dem Gesetzgeber in den wesentlicheren Angelegenheiten des Lebens glichgültig ist, ob ich mir schade oder nicht?
  • Du sollst nicht lügen
    An den 10 Geboten von Moses ist nichts auszusetzen. Beim Lesen sollte man sich aber bewusst sein, dass es sich um Zitate handelt. Manchmal vergessen wir das. Gott sagt zu uns „Du sollst nicht …“. Wenn wir das Zitat verwenden, richtet es sich gegen Andere. Vielleicht hätte Moses die Gebote besser nicht als ein Gotteszitat sondern als dessen Umsetzung formuliert. Dann hieße es nämlich „Ich soll nicht lügen“. Der Fokus ist etwas verschoben und lenkt die Aufmerksamheit auf mein eigenes Handeln und weniger auf  das was die Andere falsch machen.
  • Ich denke, also bin ich
    Das war die Erkenntnis von Descartes. Ich nehme an, der Spruch spielt auf das Bewusstsein ab. Weniger auf die Intelligenz. Käme es darauf an, so würde nach Einstein niemand sein. Er sagte, das menschliche Denken und das Universum seien unendlich, Erw ar sich bei dem Universum nicht sicher. Ob Denken das Sein bestimmt erscheint mir also fraglich. Was aber das Sein erlebbar macht ist meines Erachtens weniger das Denken als das Fühlen. Das bezieht die Tiere mit ein. Wie wäre es also zu sagen: Ich fühle also bin ich?
  • Heute (18.6.2010) las ich im Handelsblatt:
    Stromkonzerne drohen mit Klage
    Als ehemaliger Richter frage ich mich, wiese die Klage eine Drohung ist.  Wikipedia definiert die Klage wie folgt:  „Die Klage ist im Zivilprozess die Verfahrenseinleitung, also der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, durch den Kläger gegen den Beklagten“. Auch diese Formulierung deutet auf einen Kampf um eine Entscheidung hin. Wenn ich den Prozess idealiter aus der Metaebene betrachte, ist es eine Klärungshilfe für einen Konflikt, den die Parteien selbst nicht auflösen können. Aus dieser Perspektive ist das Gerichtsverfahren eine Entscheidung für die Parteien, da sie selbst nicht in der Lage sind diese Entscheidung herbeizuführen. Was also ist daran so bedrohlich? Eine Drohung ist laut Wikipedia die glaubhafte Ankündigung einer unangenehmen Maßnahme gegen jemanden, um ihn in seiner zukünftigen Handlungsweise zu beeinflussen. Ich frage mich, was ist an einer Klärung so unangenehm?
  • Immer öfter bekomme ich Anrufe von Firmen, die sich freundlich und interessiert zeigen wollen und fragen:
    Waren Sie zufrieden mit unserer Leistung?
    Das ist nett gemeint. Das Problem ist, der Anrufer weiß nicht in welcher Lage er den Angerufenen antrifft. Solch ein Anruf kann auch störend sein. Er ist dann besonders störend, wenn sich der Angerufene im Ausland aufhält oder wenn er sich in einem Geschäftsgespräch oder sonst im Zeitdruck befindet. Meistens erfolgen derartige Anrufe anonym. Das Telefon identifiziert den Anrufer als „unbekannt“ oder „privat“. Die Telefonnummer wird nicht angezeigt. Die gut gemeinte Freundlichkeit kostet somit nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch den Roamingtarif. Es handelt sich um ein Customer Relationship Management (CRM) auf Kosten des Kunden. Natürlich erfolgen die Anrufe auch während der Geschäftszeit – wo man meistens andere Sorgen hat. Ich bejahe dann die Anfrage, weil es meistens schneller geht als die Zurückweisung des Anrufs. Man will ja nicht unhöflich sein 😉 Dann wundere ich mich darüber, dass der Gesprächspartner sich bedankt und auflegt. Er hat diese Art des CRM wahrscheinlich in einem Kommunikationstraining gelernt. Jedenfalls kann der Anruf nicht dem Qualitätsmanagement dienen. Dann müsste der Anrufer nämlich fragen, warum genau ich gegebenenfalls zufrieden war, wie ich die Leistung wahrgenommen und verstanden habe und welches meine Zufriedenheitskriterien sind. Freundlicher wäre es (aus meiner Sicht), weder die Zeit noch die Nerven oder das Geld des Kunden für die Imagepflege des Unternehmens in Anspruch zu nehmen.