In einem der letzten Seminare kam eine spannende Fallkonstellation auf, die mich veranlasst, einige Gedanken zur Freiwilligkeit in der Mediation zu äußern. Mir war zuvor schon aufgefallen, dass dieses wichtige Prinzip der Mediation von vielen sehr akademisch angegangen wird. Damit tun sie der Mediation keinen Gefallen, wie der folgende Fall beweist. Der Fall basiert auf einer realen Mediation:

Mutter und Sohn befinden sich in einer Familienmediation. Es geht um die Nutzung des Hauses, das dem Sohn seinerzeit übertragen wurde und in dem die Mutter ein Wohnrecht behalten hat. Deneben geht es um Nebenkostenabrechnungen, die sich im Laufe der Zeit zu einem beträchtlichen Betrag angehäuft hatten. Über die Jahre hat sich ein recht hoch eskalierter Beziehungskonflikt entwickelt. Die Mediation wurde den Parteien von beiden Anwälten empfohlen.

In der Mediation streiten die Parteien ganz zu Beginn über die Frage der Kostenteilung. Witzigerweise besteht die Mutter darauf die gesamten Kosten der Mediation zu tragen, während der Sohn darauf besteht, die Hälfte als seinen Anteil der Kosten selbst zu tragen. Der Mediator knüpft die Frage der Kostenteilung an die Bedingung der Freiwilligkeit. Er meint, solange die Parteien darüber nicht einig sind, sind sie nicht freiwillg in der Mediation. Im Rollenspiel eskalierte der Streit an dieser Position. Die Parteien bekamen die Gelegenheit, ihren Beziehungskonflikt auszuleben.

Ich denke, der Fall ist eher theoretisch, denn in der Summe, würden die Parteien nicht nur die Kosten decken, sondern 150% der Kosten tragen. Die Praxis ist eher die, dass eine Partei die Zahlung verweigert. Aber trotzem ist der Fall sehr spannend und lehrreich.

Im Rollenspiel ging der Mediator davon aus, die Frage der Uneinigkeit hinsichtlich der Zahlungsvereinbarung bedeute, dass die Medianden die Mediation nicht freiwillig durchführen wollten. Die Mediation musste schließlich abgebrochen werden, bevor sie begonnen hatte. Die Parteien konnten sich über die Kostenteilung nicht einigen.

Die Situation kann auch anders bewertet werden:

Zunächst ist die Anwesenheit der Parteien ein Indiz dafür, dass sie die Mediation wünschen. Streit besteht deshalb nicht wegen der Durchführung der Mediation, sondern wegen der Kostenteilung. Grundsätzlich waren die Parteien bereit sich auf Verhandlungen einzulassen. In der Auseinandersetzung über die Kostenfrage gaben die wechselseitig Parteien an, dass ihr Motiv für den Streit um die Kostenteilung die Sorge sei, die eine Partei könne später der anderen Partei einen Vorwurf machen. Diese Sorge hatten sie gemeinsam. Das wäre zum Beispiel eine sinnvolle Rückmeldung. Auch die Wertschätzung, dass die Parteien ja schlussendlich den Weg in die Mediation gefunden haben sollte gewertschätzt werden.

Die Ausgangshypothese für diesen Fall ist die Annahme eines eskalierten Beziehungskonfliktes. Die Hypothese wird durch das Verhalten der Medianden bestätigt. Der Streit drückt den Beziehungskonflikt aus. Die Bearbeitung der  Streitfrage gehört deshalb eigentlich in die Phase drei der Mediation. Dort hat der Mediator die Gelegenheit, sich auf das Beziehungsproblem und das damit einhergehende Misstrauen einzulassen. In einem eskalierten Beziehungskonflikt kann die Phase drei, besonders wenn der Mediator transformativ arbeitet, mehrere Sitzungen erfordern. Der Mediator würde also der Mediation vorgreifen, wenn er schon jetzt, bei der Kostenfrage erwartet, dass sich die Parteien darüber einigen können. Er hat natürlich die Möglichkeit, auf der Sachebene etwa durch Mäeutik die Parteien zu einer gewissen formalen Einsicht zu bewegen. Sinnvoll ist es aber, den Beziehungskonflikt anhand des Verhaltens der Parteien anzusprechen (Verbalisierung) und aufzudecken, um an dem Beispiel zu zeigen, warum die Parteien sich auch in anderen Fragen nicht einig werden können. Dann sollte er die Kostenteilungsfrage ebenso wie den Beziehungskonflikt ansprechen und den Ursachenzusammenhang zwischen dem Einen und dem Anderen herausstellen. Beziehungskonflikt und Kostenteilung sollten Themen in Phase 2 werden.

Der Mediator könnte also sagen: „Ich gehe davon aus, dass Sie beide die Mediation grundsätzlich durchführen wollen, sonst wären Sie ja nicht hier. Ist das korrekt?“ Die Parteien bejahen. dann fährt der Mediator fort: „Sie streiten über die Kostenteilung, nicht darüber, dass die anfallenden Kosten zu decken sind, Korrekt?“  Die Parteien bejahen abermals. Der Mediator fährt fort: „Der Anlass für den Streit deutet auf ein großes Misstrauen hin. Ist das auch korrekt?“ Die Parteien bejahen und führen aus. Der Mediator erfährt etwas mehr über die Beziehung der beiden zueinander. Jetzt hebt er hervor, dass in dem Verhalten ein grundsätzlicher Beziehungskonflikt erkenbar wird und dass die Bearbeitung des Konfliktes in der Mediation erfolgen sollte und nicht außerhalb oder in Phase eins. Er bekommt die Zustimmung der Parteien. Der Mediator kann sich dann auf Fragen der Kostenteilung einlassen und erklären, dass es in der Mediation der Idealfall ist, wenn die Parteien die Kosten hälftig teilten. Das sei wegen der Balance eine gute Strategie und diese komme der Mediation entgegen. Er holt sich wieder das OK für diesen Gedankengang ein. Dann mag er vorschlagen, dass die Kostenfrage endgültig im Verlauf der Mediation zu klären sei und dass – nur für den Fall des Scheiterns – er beabsichtige, die Kosten hälftig einzufordern. Er mag auch auf die Gesamtschuldnerschaft eingehen und die hälftige Kostenteilung als eine Metapher dafür sehen, dass beide Parteien in gleicher Weise Verantwortung für das Verfahren tragen sollen (Reframing) und dass diezu klärende Frage eher mit der Verantwortlichkeit als der Vorwerfbarkeit zusammen hängt. Hier gehen wir davon aus, dass die Sorge um den Vorwurf zuvor vom Mediator hinterfragt worden ist. Schließlich kann er eine Vereinbarung vorschlagen, dass die Parteien aus der Kostenfrage keine Vorwürfe ableiten. In jedem Fall – strategisch betrachtet – sollte er sehen, dass er diesen Punkt überwindet, um ihn später in Phase 3, wo er hingehört, wieder aufzugreifen.